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142 Britisch-Birma zu Ende des Jahres 1881. der britischen Provinz himmelweit verschieden; die despo tische Regierung des in wüster Genußsucht immer mehr herunterkommenden Königs gewährt dem Volke dort keinerlei Sicherheit der Person oder des Eigenthums; die Kultur des Bodens wird gänzlich vernachlässigt, und die Einwoh ner benutzen jede Gelegenheit, um aus diesen unaushalt baren Zuständen auf britisches Gebiet zu entkommen. So massenhaft hat diese Auswanderung stattgefunden, daß strenge Maßregeln dagegen ergriffen worden sind. Der birmanische Unterthan, dem es gelingt, mit seiner ganzen Familie auf das britische Territorium zu flüchten, ist dort geborgen; wer nicht so glücklich ist, wird durch die un menschliche Bedrückung, der die Seinigen zum Opfer fal len, zur Rückkehr in die Heimath gezwungen. Zur Zeit der Reisernte, d. h. gegen Ende des Jahres, ist es den Männern erlaubt, für einige Wochen als Arbeiter nach Britisch-Birma zu gehen, wo sie dann in großen Schaaren von den Plantagenbesitzern gemiethet werden. Der Han del zwischen der britischen Provinz und dem obern Reiche hat in letzter Zeit durch das vertragswidrige Vorgehen des Königs, der sich eine Monopolisirung gewisser Handels artikel angemaßt hat, bedenkliche Stockungen erlitten. Wie im ganzen britischen Indien, so spielt auch in der Provinz Birma der Volksunterricht (vgl. obenS. 126) eine her vorragende Rolle. Unserm Berichte zufolge hat der Vicekönig sich mit den Lehranstalten von Rangun noch nicht ganz zufrie den erklärt: er verlangt mehr und höhere Schulen. Ohne den verdienstlichen Bestrebungen, welche die britisch-ostindische Regierung aus dem Gebiete der Volksbildung bethätigt, zu nahe treten zu wollen, kann man sich bei einigem Einblick in die Verhältnisse doch der Thatsache nicht verschließen, daß hier vielleicht des Guten etwas zu viel geleistet wird. Ostindien ist mit höheren Lehranstalten förmlich über schwemmt und wird mit der Zeit eine einzige große Uni versität werden, deren vollendetstes Produkt der „Bengali Babu" sein dürfte, ein Philologe und Metaphysiker, der alle bescheidenen und für das tägliche Leben nothwendigen Disciplinen der Wissenschaft neben seinen abstrakten Speku lationen gänzlich verachtet. Das Ziel, das allen an diesen Universitäten Graduirten als Ideal vorschwebt, soll eine Regierungsanstellung mit 15 Rupien monatlichen Gehaltes sein; alle Fächer, die nicht zu diesem Ziele führen, werden heute vernachlässigt. Die Missionäre von Birma, unter ihnen viele energische und talentvolle Männer, betheiligen sich ans das Eifrigste an dem Volksnnterrichte. Natürlich ist der Hauptzweck, den sie dabei im Auge haben, der, Pro selyten zu machen, eine Thätigkeit, für welche sich unter den erwachsenen Buddhisten hier wenig Chancen, weil gar keine Handhaben, darbieten. Es giebt unter ihnen weder Arme noch Elende; ihre Moralität ist vielleicht größer als die manches sogenannten christlichen Volkes-, dabei ist ihre Religionsform, wenn auch viel älter, doch dem Christen- thume so ähnlich, daß dies allein genügt, um das Missions werk von vornherein lahmzulcgen. Eine vor Kurzem er schienene kleine Schrift des Bischofs von Rangun, in der in dialogischer Form die Bekehrung eines buddhistischen Prie sters geschildert wird, läßt dies deutlich erkennen. Wenig förderlich wirkt überdies der Umstand, daß die Missionäre ihr heimisches Scktenwesen noch in verschärfter Form hier her verpflanzt haben und durch die üblichen Formstreitig keiten ihrem Ansehen und Einfluß gegenseitig Abbruch thun. Sie könnten sich die Toleranz ihrer Missionsobjekte zum Vorbilde nehmen; auch der Buddhismus hält es für eine Pflicht, Proselyten zu machen; trotzdem zollen die bir manischen Buddhisten den christlichen Lehren aufrichtige Bewunderung, und ist es vor Kurzem erst vorgekommen, daß einer von ihnen, freilich vergeblich, sich erbot, eine reiche Beisteuer zum Baue einer christlichen Kirche zu geben, für die es noch an den nöthigen Fonds fehlte. Seit mehreren Jahren schon wird in verschiedenen Gegenden von Britisch - Birma eifrig auf Petroleum, Anti mon und andere mineralische Schätze geforscht; einstweilen aber wird der ganze ungeheure Reichthum der Provinz noch durch die Reispflanzungen repräsentirt, deren jährlicher Ertrag sich auf eine Million Tonnen beläuft. Die jährliche Ausfuhr des Landes beträgt 1 200 000 Ton nen, von denen eben 1000 000 auf Reis, 150 000 auf Teakholz und 50 000 Tonnen auf diverse andere Artikel kommen. Von dem Teakholze, dessen Werth sich auf eine Million Pfund Sterling beziffert, gehen 86 000 Tonnen nach Indien, 64 000 nach Europa, hauptsächlich England. Was den großartigen birmanischen Reishandel an betrifft, so ist derselbe für die damit beschäftigten Ranguner Handlungshäuser durchaus nicht so vortheilhaft, wie man annehmen könnte; besonders die jüngstverflossene Saison hat ihnen fast nur negative Erfolge gebracht. Daran waren einestheils die ungemein niedrigen Neispreise Schuld, an- derntheils aber die eigenthümliche Art des dortigen Ge schäftsbetriebes. Der Handel von Rangun befaßt sich fast ausschließlich nur mit dem einen Artikel, dessen Verschiffung auf eine verhältnißmäßig kurze Zeit im Jahre beschränkt wird. Von einer zweckmäßigen Beurtheilung oder Aus wahl der Waare in Hinsicht auf ihre Qualität ist dabei kaum die Rede; das einzige Streben der Kaufleute geht dahin, eine möglichst große Quantität zu verschiffen. Das hat dann die unausbleibliche Folge, daß die Produccnten, die unter anderen Umständen von den Abnehmern abhän gen und zum Verkaufe gezwungen sein würden, jetzt das Uebergewicht über die Kaufleute haben, die sich selber eine künstliche Nothwendigkeit zum Einkäufe schaffen. Sehr un- vortheilhaft und dabei vollkommen überflüssig ist auch die Einrichtung, daß die Kaufleute sich alle selber in den Be sitz von Dampfmaschinen setzen, um den Reis zu enthülsen; denn wenn einerseits die Zinsen des Anlagekapitals die Kosten einer zeitweise zu miethenden Dampfkraft schon hier beträchtlich übersteigen, so muß andererseits die einmal an geschaffte Maschine möglichst während der ganzen Saison ausgenutzt werden: daraus entsteht wieder ein künstlich ge schaffener Mehrbedarf, der von den eingeborenen Produ- centen nicht außer Acht gelassen wird. Schließlich, wie um alle die möglichen ungünstigen Chancen allein auf sich zu nehmen, Pflegt der Ranguner Kaufmann die Transport- dampfcr und Schiffe schon lange vor der Reisernte zu chartern. Wenn die Schiffe im Hafen anlangen, tritt die Nothwcndigkeit, die Ladung zu beschaffen, zwingend an ihn heran, und dann haben wieder der eingeborene Producent und der, meist chinesische, Vermittler den Europäer in Hän den. Vielleicht wird das letzte ungünstige Jahr die bir manischen Kaufleute über diese seltsamen Fehler aufgeklärt haben und sie dazu veranlassen, sich von den selbstangeleglen Fesseln zu befreien. Wie überall im britischen Ostindien, so gehören auch in der Provinz Birma die Gefängnisse zu den merkwürdigsten und sehenswerthesten Instituten. Die beiden großen Ge- fangnenhäuser von Rangun und Moulmein, von denen das erste 1600, das letztere 1200 Gefangene faßt, sind Civili- sationscentren im eigentlichen Sinne des Wortes. Wird man von der ungewöhnlichen Sauberkeit und Zierlichkeit der Außen- wie der Jnnenräume schon auf das Angenehmste überrascht, so erregt der Anblick der rastlosen künstlerischen Thätigkeit der Bewohner die höchste Bewunderung. Alle diese Gefangenen, die sich mit feinster Tischlerarbeit, mit