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140 Gustav Nachtigal's Reisewerk. die Känembu-Abtheilung der Kuburi, das Häuptlings- geschlecht, eine Unterabtheilung hat, welche durch ihren Na men Borkubu deutlich auf einen nördlicher» Ursprung hin weist. Daß die Kanembu, wenn sie Jahrhunderte hindurch veränderten klimatischen und anderen Lebensbedingungen ausgesetzt gewesen waren, allmälig eigenartig wurden, ist nicht zu verwundern. Sie besitzen im Allgemeinen eine etwas dunkelere Hautfärbung als die Tubu, haben einen Theil der Zierlichkeit, Magerkeit, Nervosität, Beweglichkeit und Energie derselben eingebüßt, übertreffen sie in der Muskel- und Fettentwickelung und sind im Ganzen höher gewachsen mit vorwiegend ausgebildeten unteren Extremi täten. Ihre Gesichter haben den scharfen Schnitt der Tubu- Züge verloren, den ihre Vorfahren in der Wüste gehabt haben werden, und erscheinen gerundet, doch haben sie von der Regelmäßigkeit der letzteren genug bewahrt, um die stärker gemischten Kanüri, den in Bornu herrschenden Stamm, in dieser Beziehung zu übertreffen. Sie haben also im All gemeinen edlere Formen und eine mehr oder minder allen gemeinsame ins Röthliche spielende Hautfärbung vor den letzteren voraus. An den meisten Känembu fielen Nachtigal die abstehenden Ohren auf. Wo sie bisher in größerer Anzahl zusammen gelebt haben, sind sie alle typisch; jeder einzelne trägt den Charakter des Stammes zur Schau, und gerade hierdurch unterscheiden sie sich von den Kanuri, die, erst später von Kanem nach Bornu vordringend, sich mit den dortigen Einwohnern mischten und kein charakteristisches Gepräge haben. Darum halten sich auch die Kanembu für- reiner und edler, als ihre durch Kreuzung mit heidnischen Stämmen verunreinigten Brüder und Herren. Bon besonderm Interesse sind Nachtigal's Nachrichten über den Tsade, den er im Laufe seiner Reisen fast rings umwandert hat, ohne indessen in seine Inselwelt eingedrun gen zu sein, wie vor ihm der Hamburger Overweg, der über seine Forschungen indessen nur unzulängliche Notizen hinterlassen hat. Der Tsade, d. i. Wasseransammlung, liegt circa 270 m über dem Meere und nimmt mit seinem Areal von etwa 27 000 gllm, welches fast die Größe der Insel Sicilien erreicht, den Grund einer weiten flachen Mulde ein; in ihn ergießen sich die Abflüsse von Bornu, Bagirmi, der Länder im Süden Wadatö und eines Theiles von Dar För. Doch ist seine Oberfläche keine zusammenhängende Waffer- masse, sondern zu einem Drittheile, und zwar namentlich im Osten, von zahlreichen bewohnten Inseln bedeckt; dort ist es kein See mehr, sondern eine Lagune, deren netzartig ver zweigte Wafferzüge zeitweise fast ganz versiegen, zeitweise aber auch auf das für gewöhnlich trockene Terrain der Nach- barfchaft übergrcifen. Der größte Theil seiner Umgebung trägt steppenartigen Charakter; nur im Süden sind die Ufer seiner Buchten, Zuflüsse und Hinterwässer mit einer herr lichen, tropischen Vegetation bedeckt. Die weitaus größte Menge seiner Wasserzufuhr, welche Nachtigal insgesammt auf circa 100 Kubikkilometer jährlich schätzt, erhält er durch den Schari, nämlich circa 60 Kubikkilometer; den Rest lie fern die kleineren Zuflüsse und der Negenfall. Davon giebt er durch Verdunstung etwa 70 Procent ab, während dcr Ueberschuß wahrscheinlich die Brunnen des Bahar el-Ghazal und die Niederungen Bodele, Egel und Süd-Borku mit Grundwasser speist. Früher trat das Wasser oberirdisch iu den Bahar el-Ghazal ein, ohne daß man gerade anzunehmen hat, daß derselbe jemals ein offenes richtiges Flußbett gewesen ist. Da die Mündungen des Schari nach Nordwesten und Westnvrdwesten gerichtet sind, so findet in dieser Gegend des Sees auch die geringste Jnselbildung und Landanschwemmung statt, während dieselbe im Osten sich leichter vollzog und all- mälige Veränderungen herbeiführte, in Folge deren das Tss.de- Wasser für gewöhnlich nicht mehr in den Bahar el-Ghazal einzutreten vermochte. Während der See aber nach Osten hin abgenommen hat, nimmt er nach Westen und Norden entschieden zu; er verschlingt namentlich sein Westufer, so daß Scheich Omar im Frühjahr 1873 unweit Kukas auf höherm Terrain eine neue Residenz zu gründen sich veran laßt sah. Nachtigal ist geneigt, dieses Zunehmen des Sees im Westen und Norden als einfache Kompensation für die Anschwemmungen des Schari und die Trockenlegung des Bahar el-Ghazal anzusehen, ohne gerade letztere durch eine Bodenerhebung erklären zu wollen. Unerklärlich ist es bis jetzt, warum der Tsade, ein ab flußloser See, trotz seiner salzreichen Umgebung völlig süßes Wasser führt; dieser Umstand dürfte dafür sprechen, daß seine Wasserverhältnisse noch keinen einigermaßen ständigen Charakter angenommen haben. Der Archipel im Osten des Sees wird hauptsächlich von den Bud duma oder Jödina und den Küri bewohnt, welche hauptsächlich sich mit der Zucht der Rinder beschäftigen. Erstere sollen groß, stark, muskel- und fettreich sein, ziemlich schwarz von Hautfärbung und den verschiedenen Makari- Stämmen (in Logon; also entschiedenen Negern) ähnlich. Die Frauen scheinen meist schlanker und zarter, mehr denen der Kanembu ähnlich, als den Makari-Frauen. Mit Aus nahme von zwei kurzen Einschnitten am Augenwinkel haben die Männer keine Tatuirung und tragen das Haar in natür licher Länge. Wenn möglich, kleiden sie sich in Bornu-To- ben, sonst in Lederschurzfelle; bewaffnet sind sie mit 3 bis 4 Wurfspeeren, Lanze, Schild und einem langen, am Vorder arm getragenen Dolche. Aeußerlich sind sie Mohamme daner; doch haben sich bei ihnen viele Gebräuche aus der Heidenzeit in hohem Ansehen erhalten. So spielen eine heilige Schüssel aus Kürbisschale, ein historischer Stein — Steine kommen sonst auf den Inseln des Tsade kaum vor — und ein Stammesschmert eine große Rolle. Eine Art Priester hat dieselben in Gewahrsam und er bedient sich ihrer, wenn er die Hilfe des höchsten Wesens gegen Krank heit, Unfruchtbarkeit und anderes Mißgeschick erfleht. Des höchsten Ansehens erfreut sich ein Fabelwesen, welches in Gestalt einer riesigen Schlange den See bewohnt, also wohl den Geist des Tsade darstellt, und dessen Rath und Hilfe bei besonders wichtigen Vorhaben stets erbeten wird. Von den Vorschriften des Islam wird nur die Beschneidung streng befolgt. Die Ehen sind meist kinderreich, was man der vorwal tenden Fischnahrung zuschreibt, und Frauen mit zehn oder mehr Kindern find eine häufige Erscheinung. Die Sitte eines beschränkten Verkehrs zwischen verschwägerten Personen scheint ebenso streng geregelt zu sein, als bei den Tubu; auch uehinen die Schmiede dieselbe Pariastcllung ein, wie bei den Wüsten- und meisten Sudan-Stämmen. Die Todtenbestattung findet nach mohammedanifcher Sitte statt. Stirbt ein Budduma auf dem Festlande, so führen die Ver wandten, wenn irgend möglich, seine Leiche auf die heimath- lichen Inseln; ein in ihrer Mitte gestorbener Fremder aber wird in den See geworfen. Was ihre Kunstfertigkeit an langt, so beschränkt sie sich auf Gegenstände des täglichen Bedarfs; den Verhältnissen ihrer Heimath gemäß verstehen sie sich gut auf das Zimmern von Booten und Nachen und die Herstellung von Fähren aus leichtem Phogu- und Me- lissaholze. Kleidung und Schmucksachen sowie einen Theil des nöthigen Getreides tauschen sie gegen Fische, Peitschen aus Flußpferdhaut, Natron, an dem ihre Inseln sehr reich sind, und Elephantenzähnc von den Käncmbu des Festlandes ein, mit denen sie vielfach in freundschaftlichem Verkehre