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138 Gustav Nachtigal's Reisewerk. und S. Thoms betrifft, deren Studium ich meine Zeit hauptsächlich widmete, so sind natürlich der weiteren Aus breitung einer Meeresfauna und Aufnahme neuer For men in dieselbe aus anderen Gebieten nicht solche Schran ken gesetzt, wie der insularen Landfauna, vielmehr bieten die Meeresströmungen, namentlich die stetigen Ströme, und Winde zu vielseitiger Verbindung die natürlichen Wege. Ans ihnen wandern die Thiere, wenn auch ganz allmälig, von einem Meerestheil zum andern, von einer Küste und einer Insel zur andern und durchkreuzen schließlich den gan zen Ocean, ja dringen, wo sie offene Verbindungen finden und die Weilerwanderung begünstigt wird, von einem Meere znm andern vor. Selbst diejenigen Thiere, die auf dem Grunde des Meeres leben und hier festgewachsen sind, wie die Korallen und Schwämme, oder langsam umherkriechen, wie Weichthiere, Stachelhäuter, Würmer rc., sind von diesen großen Wanderungen nicht ausgeschlossen. Ihre frei beweg lichen Larven schwimmen längere Zeit an der Oberfläche des Meeres umher und sind hier den treibenden Einflüssen von Wind und Strömung ansgesetzt. Gerade an den Gui nea-Inseln und weiter nördlich an den Capverden stoßen, als Resultat jener großen Wanderungen der marinen Thier welt, mehrere Faunengcbiete zusammen, unter denen die der westafrikanischen Küste, namentlich aber der gegenüberlie genden ostamcrikanischen Küsten, eine hervorragende Rolle spielen. Auch die Mittclmeerfauna erstreckt sich bis hierher, offenbar durch den Nordostpassat in den Atlantischen Ocean eingeführt. Formen, die im Mittelmeer eine große Ver breitung zeigen, finden sich an der Küste von Madeira, den Azoren, Canaren, Kapverden und reichen bis zu den Guinea- Inseln, einzelne, wie es scheint, noch weiter bis nach Südwest- Afrika. Im Großen und Ganzen indessen werden durch wesentlich veränderte Lebensbcdingungen, besonders durch klimatische Veränderungen und mit ihnen durch Unterschiede in der konstanten Wärme des Wassers, Grenzen der im Uebrigen noch so sehr begünstigten Weiterverbrcitungen und damit anch Grenzen gewisser Faunengebiete gezogen. Ich habe während meines Aufenthaltes auf Rolas, so wohl der Strandfauna und der Tiefenfauna, soweit die letz tere meinen Schleppnetzen zugänglich war, als auch der sogenannten pelagischen Fauna meine Aufmerksamkeit zugc- wandt und im Allgemeinen eine reiche Ausbeute erlangt, die ich wiederum zum nicht geringen Theile der stets bereit willigen Hülfe meines verehrten Gastfreundes, des Herrn d'Araujo, verdanke. Während der ganzen Zeit meines Auf enthaltes auf Rolas standen mir seine Boote zu Exkursio nen aufs Meer zu Gebote. Nach einiger Unterweisung waren die mich begleitenden Neger, insbesondere der intelli gente „Meta Graza" und „Gabriel", im Stande, die mir beschwerlichen und zeitraubenden Fahrten in den Canoes und dem „Amerikaner" allein zu unternehmen, und erwie sen sich bald in der Handhabung der Apparate so geschickt und meinen Wünschen entsprechend, wie ich es bei den Fischern der europäischen Küsten selten fand. Gegen Mitte März 1880 Morgens traten wir in unserm „Amerikaner", nnd wiederum unter dem Geleite des Herrn d'Araujo, die Rückreise nach der Cidade de S. Thoms an. Lange noch blieb die kleine liebliche Insel Ro las in Sicht, bis sie hinter den hohen, waldigen Borsprün gen der Küste von S. Thoms meinen Blicken nnd meinen Grüßen entschwand, nicht meiner Erinnerung, die ich ihr, dankbar für die schöne, reiche Zeit, die ich auf ihr verleben konnte, stets bewahren werde. Gustav Nachtigal's Reisewerk. m. Der kleine Ausflug, welchen Bll Alag mit Nachtigal nach dem füdlichen Kancm unternahm, hatte zunächst MLo, die jetzt dem Könige von Wadai untergebene Hauptstadt des Landes (etwa 13" 48' nördl. Br.), znm Ziele. Dieselbe macht, ohne Ringmauern und nur etwa 150 Gehöfte, fast lauter Strohhütten, umfassend, einen sehr unansehnlichen Eindruck, ebenso wie ihr Herrscher, der Allfa (Gouverneur) Mohammed«, dessen Macht trotz der Oberherrschaft Wadaks größtentheils auf seiner Freundschaft mit den Aulad Solk- mlln beruhte. Da deren angefehenster Edelmann unseren Reisenden begleitete, so konnte dieser es auch wagen, an die verräthcrischc Ermordung Moritz von Beurmann's tadelnd zu erinnern und die Entschuldigungen der allerdings unschul digen Leute entgegen zn nehmen. Etwa 30lcm südlich von Mao, in Mondo, lernte er wenige Tage darauf eine grö ßere Kolonie der Tundscher kennen, welche H. Barth für einen jenen Gegenden entsproßenen Stamm erklärt, der seine ursprüngliche Sprache vergessen habe. Sie selbst sind über ihren arabischen Ursprung vollständig einig und haben nicht die geringste Ueberlieferung von einem ihnen früher eigen- thümlich gewefencn Idiome. Ihre Hütten und Saatfelder — Süd-Kanem ist überhaupt eine, nach unseren Begriffen freilich nicht fchr reiche, Kornkammer für jene Gegenden — zeugten von dem Fleiße nnd Wohlstände der Bewohner. Diese selbst ähnelten in Zügen nnd Habitus durchaus den in Inner-Afrika einheimifch gewordenen Arabern, wie sie Nachtigal in Kuka kennen gelernt hatte; doch waren sie größere Sprachkenner geworden, denn viele verstanden und sprachen das Kanllri und manche das DLzaga, während sie sich unter einander ausschließlich des Arabischen bedienten. Ihre Zahl wird auf etwa 5000 geschätzt; sic sind durchaus seßhaft geworden und haben sich als die zuerst cingewander- ten Araber mehr als andere Fremdlinge dem Leben und den Einrichtungen der Vorgefundenen Bewohner (Känembu) angepaßt. Westlich von diesen, näher dem Tsade-See, sitzen die DLnoä, 6000 Köpfe stark, welche sich der Kanllri-Sprachc bedienen und bis dahin sowohl gegen Wadal als gegen die Aulad Soliman ihre Selbständigkeit bewahrt haben. So bald ein Feind naht, besteigen sie die hohen Bäume ihrer Thüler und überschütten ihn von diesen natürlichen Festun gen aus mit ihren vergifteten Pfeilen, deren sie sich allein von allen Bewohnern Kanems mit einer gewissen Aus schließlichkeit bedienen. Merkwürdig ist auch, daß sie sowohl von den Arabern als von den Dllza mit dem Namen „Schmiede" belegt werden; denn weder giebt es unter ihnen besonders viele Eiscnarbeiter, noch werden sie, wie diese, von den umwohnenden Stämmen verachtet, noch klebt ihnen