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Gustav Nachtigal's Reisewerk. Es folgen zwei Kapitel mit Erkundigungen Uber „Land und Volk der Baele" in Ennedi (östlich von Borku und Bodele) und über „Völkerverhältnisse in der östlichen Sa- härL", worin Nachtigal die schwierige Frage über die eth nologische Stellung der Tubu behandelt. Das Resultat, zu welchem er gelangte, hat der „Globus" bereits in Band XXXIX, S. 63 mitgetheilt: sprachlich stehen dieselben den Negern nahe, physisch, psychisch, gesellschaftlich den hamiti- schen Nordafrikanern. Schon Heinrich Barth hat die nahe Sprachverwandtschaft zwischen Tubu und Kanüri, der Sprache der zu den Negern zu zählenden Bewohner Bornus, entdeckt, und andererseits ähneln die Tubu in Hantfärbnng, Regel mäßigkeit der Gestchtszüge, Kleidung (namentlich im Ge brauche des Gesichtsschleiers), Waffen, Lebensweise, Aus dauer, Mäßigkeit, in der aristokratischen Gestaltung der Gemeinwesen, der Stellung der Frau u. s. w. den TuLrik in hohem Maße, während die Bornu - Bewohner in allen diesen Beziehungen sehr verschieden von beiden sind. Diese Sprachverwandtschaft aber ist durch ein in alten Zeiten stattgehabtes Vordrängen der Wüstenstämme nach Süden zu erklären. Am 16. September verließen die AulLd Soliman Budu und lagerten am folgenden Tage wieder an der Quelle Galakka, um von dort am 23. die lang ersehnte Rückreise nach Kanem anzutreten. Dieselbe wurde indessen der viel fach anzutreffenden guten Kameelweide wegen fo langsam ausgeführt, daß Nachtigal wiederum in denselben Zustand ohnmächtiger Verzweiflung wie zu Ngurr versetzt wurde, ein Gefühl, welches durch das elende Leben, zu welchem er verurtheilt war, nur noch erhöht wurde. „Für Menschen und Thiere besaß ich nur noch Dattelnahrung; unsere Klei dung war in Lumpen verwandelt, und das Zelt flatterte in langen Fetzen um seine Stange. Abends suchte ich mit Hunger im Magen und Ingrimm im Herzen mein küm merliches Lager; Morgens erhob ich mich nach unruhigem Schlafe , nahm meine spärliche Dattelmahlzeit und verharrte dann in stummer Resignation, wie alle Welt, während des sechs- bis siebenstündigen Sandwindes, bis der Tag sich neigte und nach der kurzen Zeit eines einigermaßen menschen würdigen Daseins die erlösende Nacht wieder winkte." Spä ter brach unter den Kameelen eine grippeartige Krankheit aus, welche zu langsamem Vorrücken zwang; ein anderes Mal wurden Raubzüge unternommen, welche indessen erfolg los verliefen; schließlich hielt sie der Hunger von rascherem Marschiren ab. Denn weil Datteln, welche die Aulnd Soliman zur Genüge aus Borku mitbrachtcn, allein aus die Dauer nicht zur Ernährung genügen, so mußten die Kinder und Sklaven den reifen Samen des in der ganzen Gegend so häufigen Akresch-Grases einheimsen, und die für einen ganzen Hausstand erforderliche Menge einzusammeln erfor derte bei der Kleinheit der Körner manche Stunde emsiger Arbeit. Die Samenkörnchen wurden in gewöhnlicher Weise zwischen Steinen zu Biehl zerrieben nnd dies zu dem übli chen Brei verarbeitet. Am 10. November endlich verließen sie Eger, und alsbald änderten sich die Boden- und Vege tationsverhältnisse ziemlich plötzlich. War das Land bis dahin wellig und hügelig gewesen nnd hatte zahlreiche tho- uige Einsenkungen mit ihren Fischskelctten und mannig fachen, cigenthümlichen, steinigen Konkretionen gezeigt, so wnrde es jetzt ganz eben und bedeckte sich gleichmäßig mit Kräutern und Gräsern. Auch das Thierleben regte sich wieder; Hasen von merkwürdiger Kleinheit, sprangen hier und da auf, Gazellen- und Antilopen-Unrath und zahllose Spuren der Trappe bedeckten den Boden, und zahlreiche Ameisenbaue bewiesen, daß man die Grenze der regelmäßi gen Regen überschritten habe. Am selben Tage noch erreichte man die nördliche Grenze des Baumwuchses (Sajal-Akazien, Tundub und Serrah) und lagerte am Abend zum ersten Male nach langer Zeit im Baumschatten. Am 12. Novem ber wurde der erste Brunnen Kanems erreicht, welcher in dem Thale Killori liegt. Letzteres gehört auch durch seine Muldenform, welche die Thäler des nördlichen Kanem über haupt kennzeichnet, schon zur letztem Landschaft und trägt auf seinem Grunde graziöse Baumgruppen, wie überhaupt fast alle tiefeingeschnittenen Thäler Kanems rings um die Brunnen dicht bewaldet sind. Am 14. November betrat man Gegenden, wo schon Wildschweine, Stachelschweine, Ameisenbären und besonders Hyänenhunde sich aufhielten, und zugleich das Gebiet der Dogorda, welche bereits Acker bau treiben, aber unlängst von den Wadai-Leuten arg aus geplündert worden waren. Obwohl die Araber mit den Dogorda in einem freundschaftlichen Verhältnisse stehen, so lehnten sie es doch zum Theil wegen ihrer numerischen Schwäche ab, mitWadai deswegen Krieg anzufangen, mach ten sich vielmehr alsbald daran, etwa verschonte Getreide gruben aufzuspüren, um ihren nagenden Hunger zu befrie digen. Besonders einer, der auch als Pfadfinder ausgezeich nete Husein NgomLti, erwies sich so geschickt dabei, daß man allen Ernstes behauptete, er rieche das Getreide durch die deckende Erdschicht. Die Leute sind übrigens außerordent lich geschickt in der Anlage dieser Gruben: die Bodenschicht, welche die gefüllte Grube bedecken soll, wird in ansehnlicher Dicke mit allen ihren Gräsern und Kräutern abgetragen und wieder so geschickt an ihre Stelle gebracht, daß für den gewöhnlichen Beobachter keine Spur des menschlichen Ein griffes mehr zu sehen ist. Husein wußte freilich immer noch verrathende Merkmale herauszufinden: leichte Unter schiede in der Frische der Vegetation, eine beim Heraus graben beschädigte Pflanze, einige eingeklemmte Grashalme oder ähnliche für die meisten Anderen unbemerkbare Zei chen. Tag für Tag durchstreifte er die Umgegend, verschwieg sorgfältig den etwaigen Fund einer verdächtigen Stelle, um mit Niemandem theilen zu müssen, und schlich dann heim lich um Mitternacht zum Lager hinaus, um nachzugraben. Am 23. November war ein Festtag für den Stamm durch die Ankunft seines angesehensten und achtbarsten Edel- mannes Bll Aläq, des Vaters jenes Hazüz, welcher unsern Reisenden von Bornu nach Kanem geführt hatte. Bu Alüq kehrte von einer langen Gesandtschaft an den König Ali von Wadai zurück; nachdem er einige Tage ruhig im Kreise der Seinen verbracht, schilderte ihm Nachtigal sein trauri ges und langweiliges Leben in Ngurr, seine Sorge und Betrübniß über das stete Aufschüben der Rückreise und seine Enttäuschung, nicht bis Enneri vorgedrungen zu sein, und das so eindringlich, daß sich der gutherzige Mann entschloß, znm Ersätze mit ihm eine kleine Reise nach Süden in das eigentliche Kanem zu unternehmen, bis wohin noch kein Europäer vorgedrungen war. Globus XUI. Nr. 8. 1V