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feierlichem Ernste sitzen die alten Bürger hier in der nie- dern rauchgeschwärzten Stube, ihr Glas Faro oder Lam- bicq vor sich; hölzerne Bänke und Tische der rohesten Art bilden das ganze Mobiliar. Da ist nichts, was von dem beschaulichen Genüsse abziehen könnte; an den Wänden aber hängen häufig große Zettel, auf denen der mit der feierli chen Sitte des richtigen Estaminet nicht Vertraute in großen Lettern: Hst io vsrllooäsn ts vlooüüsn (es ist verboten, zu fluchen) oder ähnliche, das Singen, laute Sprechen u. s. w. untersagende Warnungen lesen kann. Begreiflicherweise findet das politische Leben unserer Tage, das ja gerade in Belgien so tief in das Volk gedrungen ist, an diesen Orten und in diesen Kreisen keine Vertreter; man muß in die neuen Stadttheile gehen und in die wallonischen Kaffees, um die lebhaften Dispute Uber die Kammerverhandlungen und Regierungsmaßnahmen zu hören. Wie in eine andere Welt versetzt erscheint man sich, wenn nian aus einer jener ernsthaften Versammlungen in das Brüssel von heute kommt, wo uns überall schon die banalen Erscheinungen des mo dernen Lebens entgegentreten. Dankbar muß man frei lich anerkennen, was gerade die heutige Regierung für die Verschönerung, und zwar für eine möglichst eigenartige Verschönerung der Stadt zu thun bemüht ist. Die obere Stadt, deren unter Maria Theresia angelegte Hauptstraßen an der nüchternsten Einförmigkeit leiden, hat an dem groß artigen Justizpalast, einem Werke des Stadt-Architekten Poelaert, einen monumentalen Schmuck erhallen, der vor den mittelalterlichen Prachtbauten Brüssels nicht zurückzu stehen braucht. Derselbe Meister hat vor wenigen Jahren auch in der Unterstadt die neue Katherinenkirchc vollendet, die, auf dem ausgetrockneten Bassin St. Catherine errichtet, eine Verschmelzung des gothischen mit dem Renaissancestyl zeigt. Gustav Nachtigal's Reisewerk. ii. Bei der Vertheilung der Dattelthäler Borkus waren die Oasen Ngurr und Elleboö (östlich und südlich vom Brunnen Galakka) Nachtigal's Begleitern zugefallen; nach ersterer also zogen sie, langten dort am 6. Juni an und schlugen im südwestlichen Theile der Oase, deren Datteln indessen noch wenig in der Reife vorgeschritten waren, ihr Lager auf. Es begann nun eine traurige Zeit der That- losigkeit, der Hitze und des Windes, deren Monotonie auf Geist und Gemüth höchst lähmend wirkte. Die höchste Tagestempcratur während der folgenden Wochen war nie geringer als 35" und überstieg meist 40" C. Obendrein entwickelte sich der mit der vorschreitenden Sommerzeit immer stetiger aus der östlichem Hälfte der Windrose wehende Wind mehr und mehr zu einem täglichen Sandsturm, der jede Beschäftigung unmöglich machte. Der Reisende brachte die Zeit damit zu, unter Leitung seines Nachbars Haran den Dialekt der Daza oder südlichen Tübu zu studiren und Erkun digungen Uber die Topographie der Tubu-Länder und die dor tige Stammeseintheilung einzuziehen. Noch einförmiger aber wurde sein Leben, als ein Theil der Krieger einen Raub zug nach Ennedi unternahm, an welchem er sich gern be- theiligt hätte, nm diesen unbekanntesten Theil der östlichen Wüste kennen zu lernen; allein der Zustand seines einzigen Kameels hinderte ihn daran, sehr zu seinem Glücke, da die Ghazia sehr bald ein böses Ende nahm. Nun drang er in Hazaz, daß er ihn, wie er versprochen hatte, nach drei bis vier Monaten wieder nach Bornu zurückbegleite; dieser sagte wohl auch zu, die Dattelernte in den nördlichen Oasen Bor kus nicht mehr abwarten zu wollen, hatte aber die Rechnung ohne die Frauen seiner Abtheilung gemacht, welche jene Ernte nicht preisgeben wollten. Und die Frauen scheinen bei den Auläd Soliman fast durchgängig das Regiment zu führen; cs war nicht uninteressant, schreibt er, diese rohen Männer, deren ganzes Leben ein harter Kampf gegen Muhe und Gefahr war, diese weit und breit gefürchteten Räuber uud Halsabschneider im eigenen Hause machtlos zu scheu. So schlichen Tage, Wochen und Monate in ertastender Einförmigkeit dahin. Der Gespräche mit den Arabern, welche in jener Abgeschlossenheit sich stets um die alten, für sie unerschöpflichen Thcmata über Kameele und Beutezüge drehten, war Nachtigal bald überdrüssig nnd zuletzt gerietst er in eine so gereizte Stimmung gegen seine gesetzlosen Ge fährten, daß selbst ihr Anblick ihm widerwärtig wurde uud er sich schon um Sonnenaufgang mit einigen Büchern und Schreibmaterialien in die Einsamkeit des Dattelhaines zu rückzog. Dort verbrachte er im Schatten der ihm bei der Vertheilung zugefallenen Bäume bei verhältnißmäßiger Kühle, auf dem reinlichen Sande nnd unter dem Rauschen des Windes in den zierlichen Palmcnkronen träumerisch den Tag und nichts hinderte ihn, unbekümmert um Raum und Zeit, seine Phantasie in die glückliche Vergangenheit der fernen Heimath und in die unbekannten Länder seiner näch sten Zukunft schweifen zu lassen. Gegen Mitte September zog mau nordostwärts nach der Oase Budu, wo, ebenso wie in den benachbarten Tiggi nnd Jarda, die Araber die Datteln nicht selbst abzuernten pflegen, sondern erst nach der Ernte eintrcffen. Die Dör fer werden dann unter die Stammesabtheilungen verthcilt, und die Chefs derselben repartiren die zu leistende Abgabe unter ihre Untergebenen. Ehe dies geschah, benutzte Nach tigal die Zeit, zwischen den die Oase im Osten begrenzen den Felsen, in welchen die Dörfer der Eingeborenen ver steckt liegen, herumzustreifen. Von Süden gegen den Budu im Norden begrenzenden circa 100 m hohen Ei' (Berg) Koroka vordringend, stieß er zunächst auf einen dichten Pal menhain und dann auf die schmale, aber wohl eine halbe Stunde weit von Westen nach Osten gestreckte Salzfläche Am, deren Salz durch Auslaugung gewonnen, und womit ein Theil WadaW und Kanems versorgt wird; weiter folgte wiederum ein Palmenhain, eine niedrige felsige Bodenerhe bung, dann ein kleiner Süßwaffer-See, eine Sandebcnc nnd zuletzt am Fuße des gleichnamigen Berges die Pflän zlingen und verwüsteten Gärten des Dorfes Koroka. Bon der obcrn, durchaus ebenen Fläche des^Ei Koroka erblickt man in ansehnlicher Entfernung (nach der Karte 140 bis l50lrm) eine ausgedehnte Gebirgskette, welche von Tibesti kommend den ganzen nördlichen und nordöstlichen Horizont einnimmt und mit dem Auge bis dahiu verfolgt werden kann, wo dem Reisenden im Osten die Lage von Wanjanga angegeben wurde. Gerade im Norden trat ein ansehnlicher