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Belgische Skizzen. 117 ßcn Städte jedoch, unter den Einwohnern Brüssels vor allen anderen, gab es freilich viele, die sich mit diesem Aufgehen und Verschwinden in einem großen Ganzen nicht auszusöh- ncn vermochten, und die mit stets neuem Ingrimm die Knnstschütze ihres Landes einen nach dem andern hinweg- führcn sahen. Sie begrüßten die Kriegsschrcckcn von Water loo und die neuen Leiden, die dem Lande und der Haupt stadt besonders dadurch zugcfügt wurden, als eine Erlösung von drückendem Joche — aber es währte nicht lange, so mußten sie einsehen, daß das alte, beseitigt geglaubte Uebel nur eine neue und noch unerträglichere Form angenommen hatte. Die im ersten Pariser Frieden schon festgesetzte Ver einigung Belgiens mit dem Königreiche Holland kam jetzt zur Ausführung, und die dadurch entstehenden Zustände zeigten sich bald als durchaus unhaltbar. Anstatt das ihrige zur möglichsten Ausgleichung der nationalen Gegensätze zwischen den reformieren Holländern nnd den katholischen, thcilweisc wallonischen Belgiern zu thun, bevorzugte die Re gierung ihre holländischen Unterthemen in jeder Weise. Mit Hülfe einer fingirten Majorität wurde die von einer ge mischten Kommission entworfene, von den belgischen Nota- beln aber abgelehntc Konstitution proklamirt; hierzu kam die ungleiche Vertheilung des Budgets, die Heranziehung Belgiens zur holländischen Schuldenlast, die Anerkennung vollkommener Kultusfreiheit, die verhältnißmäßig zu geringe Anzahl belgischer Deputirter zu den Generalstaaten und noch eine Menge anderer verhängnißvollcr Mißgriffe, die der gemeinsamen Agitation der belgischen Liberalen und Brüsseler Bogenschützen. des Klerus immer neue Handhaben gewährte. Endlich, am 25. August 1830, machte sich der so lange angchäufte Zünd stoff der allgemeinen Unzufriedenheit in Brüssel in einem Straßenanfstande Luft, der das Signal für die Erhebung des ganzen Landes war. Am 20. September konstitnirtc sich eine provisorische Regierung in der Hauptstadt, und trotzdem wäre eine friedliche Lösung des Konfliktes wohl immer noch möglich gewesen ohne die Unternehmung des Prinzen Friedrich der Niederlande, der am 23. September mit einem Heere von 10 000 Mann in Brüssel einrückte, und das Schloß und den Park besetzte. Das Andenken an die Hcldenthatcn des Brüsseler Volkes in jenen Septcmber- tagcn, an die erfolgreiche Bcrtheidigung der Barrikaden, welche den Holländern das Eindringen in die Seitenstraßen verwehrten, an alle die thatkräftigen, entschlossenen und ein sichtsvollen Führer der Bewegung, die inmitten des Gewchr- feuers und des Kugelregens die Verthcidigung organisirtcn und leiteten, der Anarchie weise zu steuern wußten, Gesetze gaben und die Grundlage vorbereiteten für die Verfassung des heutigen Königreiches, dieses Andenken ist vor wenigen Jahren bei dem Jubelfeste der belgischen Monarchie gefeiert und neu belebt worden. Das belgische Volk, das dem ober flächlichen Beobachter so leicht apathisch oder kindisch erscheint, gewinnt, im Lichte seiner Vergangenheit betrachtet, ein gar anderes Ansehen. Aus dem zähen Festhalten an alten Sit ten und Gebräuchen, an einer uns fremdartig berührenden Art des behaglichen Lebensgenusses einerseits, und des aus gelassensten Vergnügens andererseits tritt uns ein wahlbe rechtigtes Sclbstbcwnßtsein nnd der Stolz eines in sich gefestigten Bürgcrstandcs entgegen. In diesem Sinne betrach-