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116 Belgische Skizzen. nicht lange aus: ein spanisches Heer erschien, um den Fre vel zu strafen, und die Stadt mußte eine lange und schwere Blockade aushaltcn. Die Anstände in Brüssel waren da mals geradezu verzweifelt; Handel und Gewerbe lagen gänz lich darnieder, die Verbindung mit dem Meere war abge schnitten, die Unzufriedenheit der durch die Steucrfordcrun- gen der spanischen Regierung ohnedies hart bedrückten Bürger äußerte sich in unaufhörlichen Unruhen und Streitig keiten. Selbst die Windstille, welche die friedliche, dem Gedeihen von Kunst und Wissenschaft förderliche Regierung der Infantin Isabella nnd ihres Gemahls, des Erzherzogs Albert (1598 bis 1621), für das übrige Land brachte, vermochte in Brüssel keinen dauernden Zustand der Ord nung und Ruhe wiedcrhcrzustellen. Immer wieder schlug die im Stillen fortglimmcnde Unzufriedenheit in Hellen Flammen hervor: bald in Streitigkeiten mit den Statthal tern, bald in inneren Zwisten und Kämpfen, bald im all gemeinen Aufstande gegen die Uebergriffc und Forderungen der spanischen Truppen und ihrer Anführer. Dazu kamen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch zwei Kalami täten für die Stadt: zuerst im Jahre 1667 die verheerende Pest, die Tausende von Opfern forderte, und dann wenige Jahrzehnte später das dreitägige Bombardement durch den Marschall Billeroi, während dessen ans 25 Mörsern und 18 Kanonen nicht weniger als 3000 Bomben und 1200 glühende Kugeln hineingeschleudert wurden. Das Resultat dieser Kriegslaune des allcrchristlichsteu Königs war die gänzliche Zerstörung von 3830 Häusern und 11 Kirchen Das königliche Schloß in Brüssel. (Nach einer Photographie.) und die theilweise Beschädigung von 460 Häusern und 7 Kirchen. Aber es schien, als ob die neue Prüfung auch die Energie und den Gemcinsinn der Brüsseler neu belebt hätte: schon nach vier Jahren erhoben sich auf den Trümmerstättcn neue Straßen nnd neue Paläste, prangten die stattlichen Häuser, die dcu Markt umgeben, im reichsten Schmucke ihrer kunstvollen, vielbcwnndertcn Verzierungen. Nicht, als ob damals schon eine Zeit der Ruhe für das unglückliche Land eingetrctcn wäre: ein ohnmächtiger Spielball der Politik, ging cs aus einer Hand in die andere, wurde cs jetzt sogar mehrerer seiner Provinzen beraubt, welche das französische Gebiet vergrößern mußten. Nur zweimal noch bis zur endlichen Erreichung seiner Selbständigkeit sollte das belgische Volk die Segnungen einer ruhigen, geordneten Verwaltung genießen. Das erste Mal während der vierzig jährigen Regierung Maria Thcresia's, die den nunmehr wieder österreichischen Niederlanden in der Person des Prin zen Karl von Lothringen einen ebenso einsichtsvollen wie für das Wohl des Landes unermüdlich thätigcn Statthalter gab; das zweite Mal aber nach der Schlacht von Flenrus im Jahre 1794, in Folge deren Belgien an Frankreich fiel, bei dem cs bis zum Pariser Frieden verblieb. Von allen Phasen seiner wcchselvollcn Geschichte war diese letzte fran zösische Periode die einzige, in der das Land seine Autono mie wirklich verlor; das Volk empfand dies zuerst schwer genug, gewöhnte sich indessen mit der Zeit an die neue Ord nung der Dinge, die ihm neben der engsten Beschränkung und rücksichtslosesten Ausbeutung seiner Kräfte wenigstens gesetzmäßige Zustände, gute Schulen und verschiedene segens reiche Stiftungen brachte. Unter der Bevölkerung der gro-