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108 Dr. F. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. müßte eigentlich Waldverwüstung lauten. Von Forstkulturen sah ich nirgends eine Spur; der Unterschied in der „Be- wirthschaftung" besteht darin, daß man in den Staatswal dungen und denen einiger Privatbesitzer die Schätze der Na tur so gut es geht planmäßig ausnutzt, um ihr Zeit zu lassen, ihr altes Waldkleid wieder zu ergänzen, während in den mei sten Gemeindewäldcrn in kopfloser, frevelhafter Weise ge- wüthet wird. Waldfrevel ist an der Tagesordnung und wird auf erlaubtem und verbotenem Terrain in geradezu schwung voller Weise geübt. Schon in Hermannstadt hörte ich Klagen über die Schwierigkeit, die großen Waldbesitzungen gegen die widerrechtliche Ausraubung zu schützen, und die Ver sicherung, daß oft das in den Hermannstädter Waldungen ge stohlene Holz ans dem Markte von Hermannstadt durch die Holzdiebe verkauft werde. Ein Bauunternehmer, der Eichen nutzholz gebrauchte, erhielt auf seine Kaufantrüge von meh reren Gemeinden eine abschlägige Antwort, bis ihm Wala chen einer Gemeinde, die auf ihrem ganzen Areal keine Eiche hatte, das Nöthige zu billigen Preisen lieferten. Aehnlich ist es in Fogarasch, wo nach Samec zuweilen 800 Wagen mit zum guten Theile „gefrevelten" Holzvorräthen anzutref fen sind. Gesetze gegen den Waldfrevel sind seit langer Zeit vorhanden, aber sie sind leichter gegeben als durchgeführt. „Bis Ende April 1864 — sagt Samec — sind für die hiesigen k. k. Aerarialwaldungen nicht weniger als 32 000 Frevelfälle mit einem Ersatzbetrage von 40 000 Gulden österreichischer Währung eingeklagt, wovon bis jetzt bloß 800 Gulden eingegangen sind!" Den Bewohnern der Thäler ar beiten die Hirten des Gebirges kräftig entgegen. Das Quan- tnm Holz, welches sie zum Bau ihrer Stinen und Hürden, zur Unterhaltung des fortwährend brennenden Herdfeuers gebrauchen, ist verschwindend klein und würde bei der Aus- dehnnng der Gebirgswaldungen kaum in Betracht kommen. Der Hirt sucht aber seine Weideplätze zu erweitern. Viele der hochgelegenen Grasplätze sind ursprünglich mit Knieholz bedeckt gewesen, das die Hirten nicdergebrannt haben. Seit der Boden in Rumänien im Werthe gestiegen ist und mit ihm der Weidezins, greifen die Gebirgshirten auch den Fichtenwald an. Nicht selten leuchten im Herbste die Feuer der Waldbrände weit hinein ins siebenbürgische Land, mit lodernder Glut die frevelhafte That, aber leider nicht den Thätcr offenbarend. Ich habe mehrfach große Strecken der artig verwüsteter Waldlehnen gesehen. Halbverbrannt und verkohlt rage» die dürren Stämme gespenstisch empor, ein trauriges, düsteres Bild nutzlosen Frevels. Gewöhnlich hat nämlich der Brandstifter den gehofften Nutzen nicht, anstatt der erwarteten Weideplätze entstehen kahle, von Runsen durchfurchte Gehänge, denen jeder Regen einen Theil der uralten Humus- und Verwitterungsdecke entführt, um die geschwollenen Wildbäche mit diesem Material zu beladen und die Niederungen damit zu überschütten. Der Hirt arbeitet der Verwüstung und Verödung des Gebirges durch Erdrutsche, Murbrüche und Laumen vor. Die Bildung der Laninen wird zwar durch die Knieholzbestände nicht unmöglich gemacht, aber doch sehr erschwert und eingeschränkt; von den glatten Graslehnen aber stürzen die Schneemassen mit gewaltiger Wucht in den Hochwald und legen Bresche auf Bresche, bis sie sich den Weg ins Thal frei gemacht haben. In den Lauinenzügen ist ohne schwierige Schutzbauten natürlich an ein Empor kommen des Waldes nicht wieder zu denken, da sich die ver derblichen Angriffe alljährlich mit steigender Gewalt wieder holen ff. Noch schlimmer als die Laninen wüthen im Fo- i) Ich empfehle meinen Lesern die interessante Schrift von I. Coaz: „Die Laninen der Schweizeralpen." Bern, Dalp'sche Buch- und Kunsthandlung 1881. garascher Gebirge die Wolkenbrüche, welche mit ihren Fluthcn Bodenkrumc und Felsentrümmcr in die Tiefe reißen. Auch ihre verheerende Gewalt ist im Wesentlichen eine Folge der Weidewirthschaft. Das Bergschaf lockert mit scharfer Klaue das in dünner Schicht die Felsen umkleidende Erdreich und reißt das den Boden bindende Geflecht der Gräser mit der Wurzel aus. So verwandeln sich die einst mit Knieholz und Wald bedeckten Gehänge in Stätten, wo Regenschluchtcn an Regenschluchten ihre tiefen Furchen ziehen, bis das lockere Erdreich hinweggespült ist und nackte, unfruchtbare Felsen emporstarren ff. Wenn der Staat den Gemeinden im Alt- Thal ihre Besitzungen im Hochgebirge ohne Entschädigung nähme, und dieselben systematisch bewirthschaften ließe, es wäre für die Bauern immer noch Gewinn. Sie erleiden durch die verheerenden Bergwasser auf Feld und Wiese weit größere Einbußen, als sie durch den Pachtzins der Schaf züchter Gewinn ziehen. An eine Regulirnng des Alt zn denken, so lange ihm eine ganze Schar »«gebändigter, stets mehr verwildernder Gießbäche in die Flanke fällt, ist ein Unsinn. Ich fuhr nach Kronstadt mit einem neu bestallten, ungarischen Forstmann, der in der Schweiz die Bekämpfung der Wildbäche im Auftrage des Staates studirt hatte; dem Manne eröffnet sich in den Gebirgen von Fogarasch und der Csik ein weites und schwieriges Feld der Thätigkeit. Ohne durchgreifende Aenderung der Verhältnisse werden Forstinspektoren und Wildbachverbauungen so wenig nützen wie die Forstgesetze. „Die Berücksichtigung des Waldvor raths ist eine sehr späte Frucht der Civilisation seßhafter Völker," schreibt Carl Neumann einmal in seinen „Hellenen im Skythenlande"; die Berücksichtigung kommt leider oft zu spät! Wer die rumänischen Bewohner und Anwohner des Gebirges gerecht beurtheilen will, darf ihre Vergangenheit nicht vergessen! Bis zum Jahre 1848 bildeten die Wala chen in Siebenbürgen die rechtlose, unterdrückte Masse; ihre Brüder jenseits der Berge hatten eine an Bedrückungen noch reichere Vergangenheit. Daß die Rumänen Siebenbürgens gegen die anderen Nationen des Landes — nicht etwa gegen die Stammesgenossen Rumäniens — zurückgeblieben sind, das gestehen und fühlen sie, d. h. ihre denkenden Köpfe, selbst. „Unser zurückgebliebenes, armes Volk," so bezeichnete Erzbischof Miron Roman bei den hochinteressanten Debat ten des ungarischen Reichstages „über den obligaten Unter richt der magyarischen Sprache in sämmtlichen Volksschulen" seine Landsleute vor der Magnatentafel. „Es ist bekannt, daß die Rumänen Ungarns — sagte der Abgeordnete Strevoiu — in der Bildung zurückgeblieben sind. Seit 30 Jahren ist der Weg des Fortschritts auch für die Ru mänen geöffnet!" Der Weg ist nicht blos geöffnet, sondern auch betreten worden mit einer oft erstaunlichen Energie und nicht ohne Erfolge. Mit Recht konnte sich Bischof Metian (Mai 1879) auf den großen Eifer berufen, mit dem die Rumänen Lehranstalten errichtet hätten; sie haben nur aus Privat- und Gemeindemitteln so viele neue Volks schulen errichtet, daß selbst ungarische Blätter nicht umhin konnten, ihrem Erstaunen Ausdruck zu geben. Die Rumä nen haben in Ungarn vier Gymnasien, eine Realschule, eine Gewerbeschule, ein Unter-Gymnasium, sechs Pfarrer- und sechs Lehrerseminare und etwa 3000 zum Theil sechsklassige Volksschulen. Auch an die Einrichtung einer Mädchen schule ist man bereits gegangen. Auf den deutschen Gym nasien finden sich Söhne einfacher, rumänischer Bauern, die sich durch angestrengten Fleiß auszeichnen und zum Theil ff Ich gehe hier nicht näher auf diese Erscheinungen ein, die ich in meiner Schrift „Die Wildbäche der Alpen" (Breslau 1879 bei Marufchke und Berendt) ausführlich behandelt habe.