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Die Ahmara-Race. Von CH. Nüsser in Basel. II. Man kann sich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß der Aymara ursprünglich ein sehr gutmüthiges, lenkbares Geschöpf gewesen sein muß, das aber durch eine mehr als dreihundertjährige, rücksichtslose, es dem Vieh gleichstellende Behandlung völlig degradirt wurde. In vielen Stücken sind die heute herrschenden Kreolen und Mestizen um kein Haar besser als ihre spanischen Ah nen. Nimmt es da Wunder, daß sich ein Charakter gänz lich verändert, wenn der Unterdrückte die geringe Habe, die sein eigen ist, muthwillig zerstört, seine Ernten und Her den unbarmherzig geplündert sieht; er dabei in stummer Verzweifluug noch Mißhandlungen zu erdulden hat, welchen er bloß seinen innerlichen Groll, einen furchtbaren, tödtlichen Haß gegen seine Peiniger entgegensetzen kann? Soll der Indianer säen, wo er nicht erntet, wo er um das, was ihm sein Fleiß über seine gewöhnlichen Bedürfnisse einbringt, betrogen und bestohlen wird? Die jetzigen Correjidores und Geistlichen, die der Staat über ihn setzt, sind ebenso viel Geißeln, ebensoviel Blutegel, welche ihn nicht ruhen lassen. Die Furcht vor seinen Bedrückern, der Abscheu vor Allem, was nicht seiner Race ist, ist ihm in Fleisch und Blut übergcgangen. Ein falsches, verstecktes Wesen hat er mit der Muttermilch einsaugen müssen. Er ist diebisch und, wo cs ihm gelingt, betrügerisch — doch nicht immer —; wird er ja doch unausgesetzt auf gesetzliche und ungesetzliche Weise ausgezogen und hat ihn dies gelehrt Vergeltung zu üben. Sein mürrisches, verstocktes, oft höhnisches Betragen, wo er es ungestraft herauskehren kann, hat zu dem Axiom geführt, daß er nur durch Prügel zu regieren sei. Zur Schande derjenigen, welche ihn so weit gebracht haben, muß dieser Behauptung beigestimmt werden; denn schadenfroh belächelt er, der sonst nie in ein fröhliches Lachen ausbricht, die Verlegenheit, aus welcher man sich ohne seine Hülfe nicht herausziehen kann. Sonst aber ist er unterwürfig, verschwenderisch mit sei nem „LamisarMi tatai" („Wie geht es Dir, Väterchen?"), küßt die Hand, die ihn schlägt und wartet — wohl vergeb lich — seine Stunde der Vergeltung ab. Die Zeiten der großen Jndianeraufstünde, in welchen der lange angesam melte Haß sich durch scheußliche Grausamkeiten Luft machte, sind vorbei. Gänzlich unfähig sich militärisch zu organi- siren, werden nach Tausenden zählende tumultuarische Hau fen, besonders seit Einführung der Hinterlader, von wenigen disciplinirten Soldaten überwältigt und hingeschlachtet. Dem Indianer bleibt nichts übrig, als sich ruhig in sein Schicksal zu ergeben und zu hoffen, daß gerechtere und wohl wollendere Generationen sein Loos verbessern werden. Den Ertrag der Felder hat er dem rauhen Klima, dem magern Boden der xunu (Hochplateau) durch mühselige Arbeit ab zuringen. Spinnend geht er mit seinem Weib hinter der Llamaherde her, mit welcher er durch unwirthliche Steppen und Gebirge viele Meilen weit Waaren transportirt; die Anfertigung so manchen Gegenstandes aus Llama- oder Schafwolle giebt den weiblichen Gliedern eines Haushaltes viel zu thun. Kurz, an Beschäftigung fehlt es nicht, und möchte daher der Vorwurf der Faulheit vielmals ein etwas übereilter sein. Der Indianer behandelt die Seinen selten schlecht und dann nur, wenn er berauscht ist. Endlos sind die Monologe, in welchen er in angeheiterter Stimmung den Gedanken, die sich in seinem Kopf aufgespeichert haben, freien Lanf läßt. Dann träumt er, wie er tapfer sein, wel chen Genüssen er sich hingeben will, wie seine Feinde vor ihm zittern müssen. Wäre die bedauernswürdige Kreatur nicht ein Gegenstand des Mitleides, das Plötzlich erschlossene Rednertalent würde zum Lachen reizen. Bon ihren musikalischen Instrumenten, xiuguiUos, buiim, klautas, welches Rohrpfeifen und Flöten unterschiedlicher Ge stalt sind, nehmen sie besonders das Pinquillo auf ihren ein samen Wanderungen mit. Bergab, bergauf, ohne den Athem zu verlieren, wo ein Europäer schon nach zwanzig Schritten anhalten müßte, ertönt, wenn der Spieler guter Laune ist, die schrille, einförmige Melodie. Einen gewaltigen, die Ner ven heftig aufregenden Eindruck, der sich bis zu Thränen steigern kann, bringt ihre doppelreihige Panspfeife hervor. Je nachdem sic höhere oder tiefere Töne erzeugen wollen, haben sie Instrumente von kleinerem oder größerem For mat. Bei letzterem sind die Laute, welche aus weiten und langen Bamburöhren gezogen werden, von wunderbarer Wirkung. Vier oder fünf gewandte Spieler wissen diesen Pfeifen eine gewisse wilde Harmonie zu entlocken, die aber stets von einer traurigen Stimmung durchweht ist. Die lärmende Caja (eine Art Trommel) begleitet alle ihre musi kalischen Produktionen. Auf weite Entfernung schlägt dieser wohlbekannte Ton oft dem Reisenden ans Ohr. Er weiß dann, daß in einer Haciende der Schutzpatron gefeiert wird. Beunruhigender ist der Ruf der Pututos, der aber selten ertönt, und bloß wenn die Indianer in Aufregung sind, sich dadurch zum Sammeln Zeichen geben, Diebe verfolgen u. s. w. Man hört diese großen mit einem Mundstück versehenen Ochsenhörner sehr weit. Als im Jahre 1870 gewissenlose Parteiführer einige Jndianerdistrikte zur Theilnahme an Revolutionshändeln aufwiegelten, verursachte das Blasen der die Jndianerzuzüge anführenden Pututos, besonders beim weiblichen Geschlecht, eine unheimliche Furcht vor den eige nen Verbündeten. Frauen weinten und schluchzten; es war, als ob der rachedürstende Ton, den die aufgestandenen In dianer in den Nächten der Jahre 1780 und 1811 unauf hörlich erklingen ließen, noch in den Ohren der jetzigen Generation nachklänge. Mehr noch mußte der unbefangene Zuschauer sich über das Verbrechen entrüsten, arme, nur mit der Steinschleuder (llonllu) und der Keule (maounu) bewaffnete Indianer den damals neu eingeführten Reming ton-Gewehren gegenüber zu stellen. Die christliche Religion, welche in dem für Neophyten passendsten katholischen Ritus den Indianern zugänglich ge macht wurde, ist bei ihnen zum ausgesprochenen Götzendienst herabgesunkcn. Hierfür ist aber nicht die Religion, sondern ihre Diener verantwortlich, welche in der Ausübung des Seelsorgerberufes nur ein einträgliches Amt sehen, und, statt die Untergebenen zu sittigen, sie durch schlechtes Beispiel dc- 12*