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Dr. F. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. 89 Cramer mit seinem Gewehr nicht früher zur Stelle gewesen sei, denn soeben habe sich ein Bür unbekümmert um ihn und seine Hunde aus der Herde einen Braten geholt. Solche Uebcrfälle Meister Brauns sind nichts Seltenes, Menschen aber fällt er uugereizt nicht an und ist ihnen mit Ausnahme der schlechten Schützen nicht gefährlich. Auch Siebenbürgens gefährlichstes Raubthier, der Wolf, zeigt sich im Sommer selten und wagt den Angriff auf den Menschen nur von wüthendem Hunger gepeinigt. Luchse sind noch in diesem Jahrhunderte erlegt worden, scheinen aber nach der Aussage meiner Führer im Fogarascher Gebirge verschwun den zu sein, wie der Steinbock und der einst neben Edelhirsch, Reh und Wildschwein in den Wäldern hausende „Auerochs" oder richtiger Wisent. Er war noch im 18. Jahrhundert vorhanden und soll erst 1814 in dem letzten seines Stam mes ausgerottet sein Ueber eine Jagd im 16. Jahr hundert berichtet eine Chronik: „Loäsm anno (1534) haben die wilden Ochsen, so in den Gebirgen von Girgau (Györgyö) schaarweis Hausen, viel Schaden gethan, auch Menschen und Weiber, so in Wald gangen, mit den Füßen gemordet, darum hat Mylad Jstwan nach aller Gewohnheit, und Gebrauch der älteren Woywoden, auf Fabianustag große Jagd hallen lassen, allwo vielt Herrn und Edellcut zusamb- kumben seynd, auch viel, und tapfer gezechct worden?' Dunkler und dichter wurden die Wolken, die über den Kamm flogen; wir wandten uns gegen Ucia mare zurück und stiegen auf einem Kletterpfade in das öde, zweitheilig in den Kamm hineingreifende Hochthal. Ein schauerlich düsteres Wolkenmeer umwogte die hier und da gespenstisch aus ihm ausragenden Höhen, Blitze durchzuckten die blau grauen und aschfahlen Massen, krachend und schmetternd ließen sich die Dvnnerschläge durch das Sausen des Nord weststurmes vernehmen. Jetzt umhüllten die Wolken auch uns so dicht, daß Cramer und ich uns einmal aus dem Gesichte verloren und nur mit der größten Vorsicht weiter klettern konnten. Ich drängte Schutz zu suchen, aber Cramer meinte: „Abwärts! Abwärts! Es ist hall nichts mit dem Blitz hier oben zwischen den Felsen!" Ein Hagel schauer rauschte nieder, dann zerrissen die Wolken und gaben einen Moment den Blick ins Ucia-mare-Thal frei. Ueber einen steilen, mit Gras und spärlichem Gestrüpp bekleideten Abhang kletterten wir tiefer hinab. Der Boden war schlüpf rig geworden, der Bergstock naß und glatt. Cramer wäre einmal beinahe hinabgestürzt, hielt sich aber glücklicherweise an einem Wachholdcrstrauche. Der kurze, heisere Schrei, den er ausstieß, ging mir durch Mark und Bein. Zum zweiten Male rauschte unter Blitz und Donner der Hagel mit Regentropfen untermischt nieder, aber wir waren jetzt soweit hinabgekommcn, daß wir unter einem vorspringenden Felsen Halt machten und Athem schöpften. Das Wetter hatte bald ausgetobt und seine größte Wuth erst weiter im öst lichen Burzenlande entfesselt, wo es aus mehreren Feldmarken (besonders Helsdorf) den ganzen Erntesegen durch Schlossen von der Größe eines Hühnereies geradezu in den Boden hineingedroschen hatte. Da die Höhen umdüstert blieben und für den kommenden Tag nichts Besseres erwarten lie ßen, beschlossen wir noch den Marsch nach Ober-Ucia hinab zu versuchen. Das Vesperbrot war bald verzehrt, und vor- Nach Petänyi. Siehe Bielz: „Fauna der Wirbelthierc Siebenbürgens". Hermannstadt 1856, S. 35. — Windisch: „Geographie des Großfürstenthums Siebenbürgen", Preßburg 1790, giebt S. 27 unter den wilden Thieren auch „wilde Ochsen" an. —Marienburg in seinem gleichnamigen Werk Hermannstadt 1813, Bd. 1, S. 59 sagt: „Auerochsen" soll man in den un geheueren Tschickcr und Gyorghör Wäldern wie auch (1775 im März) bei dem Dorfe Fülc im Udwarhelyer Stuhle gesehen haben. Globus XLI. Nr. k. wärts ging es in beschleunigtem Tempo. Der Charakter des Thales ist auffallend wild, Rüfen und Lauinenzüge gehen von den kahlen Kämmen durch den Waldmantel bis auf die enge Thalsohle, auf der eine beträchtliche Strecke weit der starke Bach unter dem Geröll vollständig ver schwindet. Der Pfad führte uns wie gewöhnlich auf den Rücken eines Gebirgsausläufers zurück. Als die Sonne unterging, schritten wir zwischen licht stehenden, mächtigen Buchen dahin und erfreuten uns an den prächtigen Aus blicken auf die Waldthäler von Ucia mare und Ucisiora. Zwischen den Bahnen, auf denen durch Ochsen die Stämme hinabgeschleift werden, stiegen wir steil hinab in die Hut waldungen, überschritten in der Nähe einiger ärmlicher Hüt ten den Ucia-mare-Bach auf einem Stege und wanderten in der Dunkelheit an seinem linken Ufer entlang. Anstrengung und Mangel an kräftiger Nahrung machten sich fühlbar; oft war es mir, als ob die Gestalt eines mächtigen Reiters in der Dunkelheit vor mir dahintrabte. Um 11 Uhr waren wir in Ober-Ucia und pochten an die Thür der Carcina. Wirth und Wirthin hatten ihr Nachtlager in einem Heu- fchober gesucht und wollten zunächst von Besuch absolut nichts wissen. Als Cramer ihnen aber in rührender Weise vorstellte, daß ein „so weit aus Deutschland gekommener Herr doch nicht in die Nacht Hineinlaufen könne", kroch Herr Fuchs aus dem Heu und öffnete uns das Haus. Neu gierig kam seine Frau hinterher und brachte uns etwas Wein. Da die Frau Wirthin rundweg erklärte, sie koche in der Nacht nicht, mußten wir uns an den Lobsprüchen er wärmen, die wir uns gegenseitig über unsere Ausdauer er- theilten. Das breite Ehebette der Wirthsleute ward mir zum Nachtlager offerirt. Cramer mußte sich ebenfalls in demselben betten, da ich fürchtete, daß sich der wackere Mann, erhitzt und durchgeregnet wie er war, in dem luftigen Schup pen erkälten könne. Also streckten wir uns nach 17stündi- gem Marsche auf unserm Lager aus und schliefen dem Mor gen entgegen. Als ich erwachte, hatte Cramer bereits einen Wagen für die Fahrt nach Fogarasch besorgt. Wir frühstückten mit sehr großem Appetit und schieden mit kräftigem Hände druck. Cramer wanderte nach seiner Glashütte zurück, ich jagte über die Steine der langen Gassen von Ober-Ucia, oft fußhoch von meinem niedrigen Sitze emporgeschleudert. Hin und wieder hielt der Wagen, da viele Bewohner aus den Häusern traten und dem Fuhrmann Aufträge für Fo garasch mitgaben. Gleich hinter dem Dorfe sprang der Kutscher, sich scheu umsehend, vom Sitze; er begann schon auf der heimischen Feldmark für Pferdefutter zu sorgen und warf neben dem Fuhrwerk hertrabend von Zeit zu Zeit gestohlene Heubündel auf den Wagen. Der Bach zeigte überall die Zerstörungen der Hochwasser, fünf- und sechs fach getheilt floß er zwischen wüsten Schotterbänken durch Unter-Ucia, bei dem wir die Chaussee erreichten. Die Fahrt ging nun ostwärts auf der schönen Straße fast wage- recht über die Diluvialflächen hin mit kleinen Senkungen zu den an den Büchen erbauten Dörfern. Zur Linken stie gen jenseits des Alt die niedrigen, hier und da kahlen Ter tiärhöhen empor, zur Rechten erhoben sich über der Ebene die bis zur Buchenregion hinab umdüsterten Berge, hinter mir schimmerten in der Ferne die Rücken des Mühlenbacher Gebirges. Ein junger Mann stieg zum Kutscher auf den Wagen, ohne daß man für nöthig fand meine Erlaubniß einzuholen. Es war ein recht gut unterrichteter, rumäni scher Volksschullehrer, der mich bald in gutem Deutsch um einen Einblick in meine Karten bat und mich lange mit Erstaunen betrachtete, als er hörte, daß ich ein Preuße sei. Er sprach mit großer Anerkennung von den Verdiensten 12