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88 Dr. F. W. Paul Lehmann: Wanderungen in den Süd-Karpathen. Bache und gingen einige Mal so dicht neben ihm hin, daß wir uns an den rauschenden Stromschnelleu und tosenden Wasserfallen erfreuen konnten. Die Thalmanderung hatte für mich einen bcsondcrn Reiz, da ich sonst immer, wie es in diesem Gebirge die Regel ist, längs der Kämme emporgcstie- gen war. Sehr üppig und artenreich mar die Vegetation ^): Tannen, Ulmen, Linden, Ahorn und Weiden gaben dem Walde ein sehr mannigfaltiges Gepräge und verliehen dem Thale einen ungewohnten landschaftlichen Reiz. An einer Felsenwand unter der Albota — die Cramer als „Fehrer- waud" bezeichnete — machten sich einige Kiefern oder Föh ren mit ihren rothleuchtendcn Stämmen bemerkbar und im Dickicht unter der Teritia ward mir von meinen: trefflichen Führer ein stattliches Exemplar von taxns daeoata gezeigt. Das enge, tief eingeschnittene Thal machte besonders bei der Vereinigung der beiden wasserreichen Qucllarme, wo die Hochfluthen Geröll und Baumstümpfe über einander gelagert hatten, einen schauerlich wilden Eindruck. Wir überschritten den von Lacu Podragu in enger Schlucht herniederbrausen den Bach und stiegen zwischen den „Thoren" — so bezeich nete Cramer den schnell ansteigenden, kurzen Gebirgs kamm 2) — und der Albota an dem linken Quellarm empor. Bald ward das Thal weiter, auf dessen vom Walde ent blößten Boden wir nach einiger Zeit zu einer zwischen mäch tigen Blöcken erbauten Stina kamen, die von allen bisher besuchten die am tiefsten gelegene ^) und zugleich die sauberste und beste war. Neben der als Wohnraum benutzten Hütte befand sich eine zweite für die Milchwirthschaft. Wir er hielten ein für die Stinen der Süd-Karpathen comfortables Nachtlager auf einer der Ruhebänke, welche nach Art der Kasernenpritschen an den Wänden angebracht waren. Am nächsten Morgen war ich vor 6 Uhr ans dem Marsche und stieg über die mehrfach von Kalksteinbänken durchsetzten Terrassen im Thale empor. In den Schutt, der sich hinter den als natürliche Thalfperren wirkenden Felsriegeln angehäuft hatte, war der Bach zuweilen 3 bis 4 m tief eingeschnitten; Lauinenschnee lagerte mehrfach in beträchtlichen Massen auf dem Boden des tiefen Thales, dessen steile Gehänge nur noch spärliche Fetzen des ehemali gen Urwaldes zeigten und höher hinauf ohne jede Spur von Knicholzbeständen (Uinus pumilio) waren. Buscherlen und Zwergwacholder fanden sich vereinzelt an der steilen Lehne, über die wir zu dem 1957 m hoch gelegenen See Podragelu emporsticgen. Der Gipfel des Vertopu (2472 m) oder Großen Arpafch war uns durch einen nach Norden vorspringenden Grat verdeckt, imposant erhob sich zu unserer Rechten der im Bertop elu oder Kleinen Arpasch gipfelnde Felsenkranz, der einen öden, breit und tief in den Hauptkamm hincingreifendeu Circus umrahmt. In den kleinen See Podragelu ergoß sich über eine hinter ihm 30 m aufragende Felswand ein Bächlein, dessen stürzenden Wassern ich entgegenkletterte. Ich gelangte auf einen von den schrof fen 400 m hohen Abstürzen des Podragu und Vertopn eng- umrahmten, an die Partie unter dem Vunatore erinnernden Thalboden. Während aber dort die losgewitterten Trümnier- blöckc wirr durcheinander lagen, waren sie hier zum großen Theil in einem sanft geschwungenen Bogen quer über das Thal gelagert und verriethen deutlich, daß sie eiust die Stirn- ft M. Fuß: „Flora Transsilvaniae". Hermannstadt 1866. L. Reissenberger: Verh. u. Mitth. d. siebenb. Vereins für Na turwissenschaften. 15. Jahrgang. Hcrmannstadt 1864. Die Arbeit von Heusler über die Kryptogamenflora des Thales Ar pasch (Wien 1853) kenne ich nicht. 2) Der Name wird in siebenbürgischen Chroniken für Heu schrecken gebraucht! b) Nach L. Reissenberger's Messung 3157,97 Pariser Fuß — 1230 m. moräne eines Gletschers gebildet hatten. Wie Piscu Domna, Builea und Buteanu zeigte auch der vom Podragu-Gipfel zwischen den Quellarmen des Arpasch-Baches nach Norden streichende Ausläufer nahe dem Hauptkamme eine schwache Einsattelung, über die ich zum Podragu-Thale hinübersticg, auf dessen oberster flachwelliger Thalstufe ein fast 2 lla großer Gebirgssee und einige kleine Teiche wie kreisrunde, flache Näpfe lagen. Längs der Nordostgehänge des Podragu- Gipfels folgte ich Cramer zu einer Einsenkuug des Haupt kammes, von der zwei Cfobanen gemächlich ausgcstrcckt ihren im Thale weidenden Schafen zuschantcn, während ihre großen Hunde uns wüthend cntgegenstürztcn und nnr mit großer Mühe abzuwehrcn waren. Ich war drauf uud dran, eine der Bestien niederzuschicßen, aber Cramer warnte vor der Rachsucht der Hirten und erzählte, daß an dieser Stelle ein mal ein Gemsjäger aus der Glashütte von rumänischen Grenzwächtern vollständig ausgeplündert worden sei. Wir erstiegen zunächst die Podragu-Spitze von der rumänischen Seite, nach der sie mit Grashängen von 42" Neigung ab fällt, und blickten von hier in die wilden Thäler hinab, durch die wir emporgeklettert waren. Im Nordwesten zeigte sich drohend aufsteigendes Gewölk, nach Süden war die Ferne auch diesmal nicht ganz klar. Samec berichtet: Vom Moldovan (Coltiu Bistea mare), Butjan (Vunatore) und Negoi sieht man nicht nur die Donau, sondern auch Balkan und das serbische Gebirge mit freiem Auge herrlich, wobei der Balkan so nahe erscheint, daß man hierüber staunen müßte, wenn nicht Moldovan u. s. w. so hoch wäre. Ich bin leider nicht so glücklich gewesen, dieses weite Panorama zu überschauen, und begreife nicht, wie man den minde stens 300 Um entfernten Balkan in staunenswertster Nähe erblicken kann. Da die Aussichtsweite von einem 2500 in hohen Punkte bei der Refraktion des Lichtes und Depression des Horizontes über 200 Irin beträgt, d. i. der durchschnitt lichen Entfernung der Donau vom Kamm des Fogara- scher Gebirges, ist die Sichtbarkeit des Stromes wie die des weiter im Süden aufragenden Balkan indessen nicht unmög lich. Unter der Podragu-Spitze zeigte sich im Süden ein kleiner mit Eis bedeckter See, hinter dem Vertopu trat iu unmittelbarer Nähe eine zweite Spitze hervor. Wer Nei gung verspürt, die Wissenschaft mit einigen neuen Namen von Felsen und Schluchten zu bereichern, würde hier auf der rumänischen Seite noch ein ergiebiges Feld seiner Thätigkcit finden. Unter den nach Osten aus dem Kamme aufragcnden Gipfeln (Cramer nannte mir Gorabia und Ucia mare) ragt dominirend der nach Rumänien vorspringende Coltiu Vistea mare (2520 m) hervor. Wir wanderten dicht am Kamme hinter den Gipfeln herum über die steil nach den oberen Schluchten des Duna-Thales abfallenden Gras halden und hatten uns der 1 üm langen Schneide des Coltiu Bistea, die steil nach beiden Seiten abdacht und nach Norden mit einem gewaltigen Praecipisse in das Hochthal Bistea mare abstürzt, bis auf 14/2 Um genähert, als sich die ersten Donnerschläge vernehmen ließen nnd graue Wolken über den Kamm jagten. Die Felsrippcn des erstrebten Gipfels, zwischen denen sich lange Schneestreifen niedcrzogcn, sahen nicht aus wie ein Asyl gegen ein vielleicht bis in die Nacht andauerndes Gewitter. Cramer, der dieses Terrain noch nie betreten hatte, mahnte zur Umkehr, „denn in Nebel nnd Wolken sei es nicht gut auf unbekannten Pfaden". Ein Csoban trat zu uns und warnte Cramer — während ich mich damit beschäftigte, zwei nur „Türkisch verstehende" Hunde durch allgemein verständliche Bewegungen meines Bergstockes fcrnzuhalten — einen Spion, der sicher nur sehen wolle, wie man am besten ins Land dringen könne, durch das Gebirge zu führen. Lebhaft bedauerte der Hirt, daß