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74 Spiridion Gopöevio: Die albanesische Blutrache. christlichen Religion, welche befiehlt, dem Feinde zu verge ben, und mit Hinweis auf das Beispiel Jesu Christi, der diese Tugend an sich bewies, seinem Feinde zu verzeihen. Zur Staffage werden mit Erfolg kleine Kinder verwendet, die kniend die Füße des Unversöhnlichen umfangen und ihn mit ihren Bitten und Jammern belästigen. Bleibt der Verwandte verstockt, so nimmt der Priester zu Drohungen seine Zuflucht, indem er ihm die Strafe des Fegfcuers und der Hölle mit den lebhaftesten Farben ausmalt und mit über zeugender Entschiedenheit versichert, daß sie alle des Unversöhn lichen harren, denn „wer seinen Beleidigern nicht vergäbe, dürfe auch seinerseits auf keine Verzeihung hoffen". Selten widersteht ein Albanese länger. Sollte es aber dennoch der Fall sein, dann entfernt sich der entrüstete Pfarrer mit entsprechendem Knalleffekt: Er verhüllt das Kreuz und schleudert über den Hartherzigen das Anathema der Kirche, welche dieser nicht mehr betreten darf. Dabei spricht er die härtesten Verwünschungen aus, welche ein Albanese zu hören bekommen kann, als: „Dein Pulver möge niemals Feuer fangen, Deine Kugel nie ihr Ziel treffen, Dein Ge schlecht vom Erdboden verschwinden und Du nebst Deiner ganzen Familie mit geladenen Waffen sterben!" Wenn der Pfarrer auf diese Art den Kirchenfluch über ihn ausgesprochen und alles nichts hilft, trocknet er sich den Schweiß und verläßt erboßt das Haus. Aber soweit kommt es selten. Der abergläubische Albanese fürchtet sich doch vor den geheimen unsichtbaren Gewalten, und um nicht seine Kugeln vergebens zu verschießen und um der Gefahr zu ent gehen, mit geladenen Waffen sterben zu müssen, ruft er den erzürnten Priester zurück und erklärt sich unter gewissen Um ständen zur Versöhnung geneigt. Um das heiße Eisen zu schmieden, drängt ihn jetzt der Pfarrer, sogleich einen Tag zu bestimmen, an dem die große Versöhnungskomödie stattfinden könnte. Am festgesetzten Tage versammeln sich die entferntesten Verwandten des Be leidigten bei der Familie des Mörders, woselbst auch der Pfarrer mit dem Meßner eintrifft. Dann setzt sich die ganze Karawane in Bewegung. Boran der Meßner mit Kreuz und Evangelium, dann der Pfarrer im Ornat, dann so viel Wiegen mit Säuglingen, als man auftreiben kann, dann der Mörder mit auf den Rücken gebundenen Händen, die Mordwaffe um den Hals hängen habend (was sehr un bequem ist, wenn der Mord mittels eines der sieben Schuh langen Gewehre stattfand), endlich seine ganze Familie und die weitläufigen Verwandten des Opfers. Vor dem Hause des Beleidigten angekommen, machen alle Halt. Die Män ner nehmen ihre Mützen ab und legen sie auf die Wiegen, welche vor der Thür so aufgestellt werden, daß die Kinder nach Osten sehen. Der Mörder wird vom Pfarrer zum Eingang geführt, wo er sich einstweilen niedersetzt. Nachdem diese Vorbereitungen getroffen, zeigt sich der Beleidigte auf der Schwelle und fragt mit geheuchelter Verwunderung, was denn dieser ganze Aufzug zu be deuten habe. Der Pfarrer (oder wenn dessen Beredtsam- kcit gerade nicht ciceronisch sein sollte, ein anderer Demo sthenes) nimmt sodann das Wort, um die Entstehung der Blutrache kurz zu rekapitulircn und alle Schuld auf den Mörder zu wälzen, der mit gesenkten Blicken dasitzt. Dann beruft er sich auf das Beispiel Christi, der seinen Feinden und Beleidigern vergab, und appcllirt an das gute Herz des Beleidigten, welcher ebenfalls Gnade vor Recht ergehen lassen solle. Dieser schüttelt verneinend den Kopf und will nichts wissen. Der Priester verdoppelt seine Bitten. Der Beleidigte scheint einen innern Seelenkampf zu kämpfen. Endlich bemächtigt er sich einer Wiege, geht mit ihr mehr mals von links nach rechts durch das Zimmer und setzt sie endlich wieder verkehrt an ihren Platz, so daß jetzt das Kind nach Westen blickt. Die anderen Verwandten folgen seinem Beispiele mit den übrigen Wiegen. Dann ziehen sie sich in das Haus zurück. Der Priester und ein halb Dutzend Freunde des Mör ders folgen ihnen, letztem hinter sich schleppend. Dann knien'sie sich vor den im Zimmer versammelten Verwand ten des Opfers nieder und flehen das Familienoberhaupt an, seinem Feinde im Namen Gottes und des heiligen Kol (Nikolaus, der in großem Ansehen steht) zu vergeben. Jener scheint abermals mit sich selbst zu kämpfen, weint, seufzt, schildert alle die guten Eigenschaften seines ermordeten Ver wandten und antwortet auf alle ihn bestürmenden Bitten mit: „Mein Herz ist nicht bereit!" Wenn er den Feind recht dcmüthigen will, setzt er die Komödie stundenlang fort, bis sich schon auf allen Gesichtern peinliche Langweile malt und er selbst müde und der Rolle überdrüssig wird. Dann tritt er endlich an den noch im mer vor ihm knienden Mörder heran, reißt die Mordwaffe von seinem Halse, schleudert sie weg, wirft auch seine eige nen Waffen von sich und hebt ihn auf, ihn mit den Wor ten umarmend und küssend: „Ich verzcih^Dir auf meine Ehre!" (Ts Klatt rüLt.) Die übrigen Verwandten sagen dasselbe und umarmen ihn gleichfalls. Damit ist die Blutrache erloschen. Gewissermaßen als Bersöhnungsge- schenk bieten alle Verwandten und Freunde des Mörders das Kostbarste an, was sie besitzen: ihre Waffen, welche der Be leidigte als Geschenk annimmt, aber gewöhnlich nach dem nun folgenden Versöhnungsmahl ganz oder theilwecse ihrem Eigen- lhümer zurückstellt. Bei den Mirediten, DukadLin und Pulati, welche cs, wie schon erwähnt, mit der Blutrache besonders streng nehmen, werden weder Waffen noch Geldentschädi gungen angenommen, da diese stolzen Bergbewohner der Ansicht sind, daß vergossenes Blut sich durch kein Geschenk vergüten lasse. Bei ihnen giebt der Hausherr seinen Gä sten nach dem Mahle alle Geschenke zurück und behält nichts für sich, als das Gewehr und die Pistolen des Mörders zur Erinnerung. Es giebt übrigens außerdem noch einen Zeitpunkt, wäh rend dessen alle Blutrachen sistirt werden, wenn sich näm lich die albanischen Stämme auf dem Kriegspfade befinden. Ich erinnere mich, daß unter den Mirediten D o d Gega's, welche während meiner Anwesenheit in Scutari daselbst ein trafen, einer von seinen eigenen Gefährten erschossen wurde, weil er während des Marsches einen Kameraden, mit dem er in Blutrache lebte, nicdergeschossen hatte. Die jetzigen Ereignisse haben überhaupt die Blutrache stark eingedämmt, und es steht zu erwarten, daß sie unter einer stärkern Re gierung, als die türkische, gänzlich unterdrückt werden wird.