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Zur Ethnographie der Südsee. 61 Wenn es nicht schon zu Genüge bekannt wäre, daß die Südsee-Völker, zumal die östlichen, im raschen Hinschwinden begriffen sind, so würde dieses durch neuere Reisende, wie Finsch und Bastian, vollauf bestätigt werden. Finsch klagt, wie schwer es ihm selbst auf den abgelegenen Marshall- Inseln geworden sei, noch ursprüngliche ethnographische Gegenstände zu sammeln, so schnell schreitet auch dort die „Europäisirung" fort. Selbst die heimische Fauna geht zu Grunde und wird (z. B. auf den Hawaii-Inseln) durch eine fremde ersetzt. Bastian endlich, der kürzlich verschiedene Südsee-Jnseln besuchte, hebt hervor, daß selbst das Bild von dem vor der Sonne schmelzenden Schnee nicht mehr genüge, um den schnellen Untergang der Polynesier zu charakterisiren. Die zwölfte Stunde sei hier hxreingebrochen, der Ethnograph habe die höchste Eile von Nöthen, wenn er noch etwas fixiren wolle. Unter solchen Verhältnissen tritt uns die Publikation des größten auf die Südsee bezüglichen Schatzes entgegen, der sich in Europa befindet, und sagen wir es gleich, in einer- ganz vorzüglichen, ja theilweise mustergiltigen Ausführung. Beide Veröffentlichungen präfentiren sich als Originalwerke, die von nun an, wenn es sich um die Ethnographie der Südsee handelt, von Niemandem außer Acht gelassen werden dürfen. Wenn die braunen und schwarzen Völker im Stillen Ocean dahingegangen, zerschmolzen oder durch Mischung mit einströmenden Fremden — Weißen, Chinesen, Malayen — gänzlich verändert sein werden, dann mag später der Forscher das Südsee-Typen-Album aufschlagen und ihre Bilder we nigstens anschauen. Sie sind fast durchweg nach Original negativen wiedergegeben, die sich im Museum Godeffroy befinden und von den Reisenden desselben, Kubary, Hübner, Kleinschmidt, Garrett, ausgenommen wurden. Von manchen Inselgruppen, z. B. Duke of Mrk, erhalten wir hier über haupt die ersten guten Racentypen. Auch von den Ancho- rites-Jnseln, die kürzlich Miklucho-Maklay schilderte, erhalten wir hier gute Abbildungen, wie denn überhaupt Melanesien im Album am stärksten vertreten ist. Der kurze aber inhalt schwere Text zu dem Album, von L. Friederichsen herrührend, giebt über Lage, Größe, Einwohnerzahl der Inseln, von denen Typen dargestellt sind, Auskunft, erläutert das anthro pologisch Jnteressirende an dem abgebildeten Individuum und bringt allgemein wichtige ethnographische Notizen. „Die ethnographisch-anthropologische Abtheilung", welche gegen 700 Seiten umfaßt, ist ein in seiner Art einzig dastehen der Katalog, welcher mit einer ganz ungewöhnlichen Genauig keit von dem Custos des Museum, I. D. E. Schmeltz, ausgearbeitet ist. Einen besondern Werth erhält dieses Werk noch dadurch, daß ihm zahlreiche, unveröffentlichte Be richte der Reisenden des Museum einverleibt sind. Selbst verständlich ist die einschlägige Literatur reichlich benutzt und stets darauf verwiesen; keine kleine Arbeit, da es sich um mehr als 3500 Objekte handelt. Freilich hätten wir bei der Literaturbenutzung gewisse sekundäre Kompilationen, die ihre Abbildungen erst aus Wood und anderen kopirten, gern ver mißt. Die Anordnung ist geographisch nach den einzelnen Inselgruppen; innerhalb derselben werden zuerst die auf die Religion, dann die auf Kleidung und Schmuck, Krieg, Jagd, Fischerei und Schifffahrt, endlich die auf Haushaltung, Nah rung, Spiele rc. bezüglichen Gegenstände abgehandclt. Auch hier ist Melanesien vorzugsweise gut vertreten, dann Mikro nesien. Von Polynesien wiegen Samoa und Tonga vor. Einzelne Sachen sind auch aus Australien und Alaska vor handen. Das Ganze wollen wir als überreiche Fundgrube zur Kunde der Südseeinsulaner bezeichnen; ein Eingehen auf Einzelheiten ist bei der ersten, rein ethnographischen, Ab- theilung jedoch unmöglich. Es könnte sich dieses doch nur auf ein willkürliches Hervorheben erstrecken. Eine ganz musterhafte Arbeit, welche den zweiten Theil des Katalogs des Museum Godeffroy ausmacht, ist das Verzeichniß der Schädel und Skelete von Dr. R. Krause. Das Museum besitzt 375 Schädel und 53 Skelete, fast alle nach ihrer Herkunft genau bekannt; viele stammen aus alten Begräbnißstätten und Höhlengräbern, geben also Kunde von der frühern Bevölkerung jener Gegenden zu einer Zeit, als die Möglichkeit einer Racenmischung noch nicht so leicht ge geben war, wie jetzt. Vom Neu-Britannia-Archipel mit Ein schluß der Duke-of-Uork-Gruppe, von den Neu-Hebriden, von den Fidschi-Inseln, von den Gilbert-Inseln, von den Carolinen, selbst von den Tonga- und Samoa-Jnseln sind Schädel in solcher Anzahl vorhanden, daß Dr. Krause brauchbare Mittelwerthe aufstellen konnte. Für die Aufstellung nahm er Jhering's Horizontale (un terer Augenhöhlenrand — Mitte der Ohröffnung) an; die Maße der Länge, Breite und Höhe wurden mit dem Spen- gel'schen Apparat ermittelt, die Kapacität wurde mit Hirse gemessen. Krause bearbeitete das reiche Material lediglich in Bezug auf die Schädelmessung ohne auf die Ethnologie und Linguistik Rücksicht zu nehmen; diese beiden wurden erst zuletzt zu Rathe gezogen und auf Uebereinstimmung ver glichen. Zwei Typen, der dolichokephale und brachykephale, sind die vorherrschenden in der Südsee und zwischen diesen beiden zeigen sich verschiedene Mischformen. Die 74 Fidschi- Schädel ergeben eine durchschnittliche Kapacität von 1359,2 ooin; sie bleibt etwas hinter der von A. B. Meycr für die Papuas von Neu-Guinea von 1398 oem zurück, über steigt aber jene des Neu-Britannia-Archipels (1232,1 oom) bedeutend. Die von Krause für die Fidschi-Schädel berech neten Indices sind folgende: Längenbreitenindex . . . 69,5 Längenhöhenindex ... 76 Breitenhöhenindex . . . 109,3 Es besitzen danach die Fidschi-Insulaner sehr hohe schmale, hypsistenokephale Schädel mit extremer Dolichokcphalie. Ethnographisch sehr interessant und für den Werth der Mes sungen sprechend ist die von Dr. Krause gefundene Thatsache, daß der Längenbreitenindex und der Längenhöhenindex wächst, während der Breitenhöhenindex abnimmt, je weiter wir von Westen nach Osten innerhalb der Insel gruppe vorschreiten, und dies bedeutet eine Zunahme der Breite und Abnahme der Höhe der Schädel im Verhält- niß zur Länge. Offenbar tritt hier die Einwirkung der brachykephalen Tonganer in Erscheinung, deren Einwande rung auf den östlichen Fidschi-Jnselnzeine bekannte That sache ist. Von Mallicollo und den Neu-Hebriden sind 16 Schädel vorhanden, die sämmtlich Spuren künstlicher Defor mation zeigen, ohne indessen ihren papuanischen Typus im geringsten einzubüßen. Die Kapacität beträgt im Mittel 1274; die Indices lauten: Längenbreitcnindex ... 69,8 Längenhöhenindex ... 76 Breitenhöhenindcx . . . 106,8 Vom Neu-Britannia-Archipel sind 150 Schädel vorhanden, darunter allein 120 von Mioko (Dukc-of-dork- Gruppe). Die Kapacität (1232 oom) ist geringer als bei den Fidschi-Insulanern. Die Indices sind folgende: