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60 Zur Ethnographie der Südsee. sich eine sinnreiche Vorrichtung konstruirt hatte, um vom Ufer aus Almosen in Empfang zu nehmen. An einem sehr langen Bambusstabe hielt er einen Beutel, der durch ein Gegengewicht im Gleichgewicht gehalten war. So wie sich ein Boot näherte, senkte sich der Beutel in dasselbe und folgte ihm einige Zeit hindurch. Der Bettler beobachtete die Reisenden scharf und auf ein verneinendes Zeichen mit dem Kopfe wanderte der Beutel zum Nachbar, worauf er ans Ufer gezogen und seines Inhaltes entleert wurde. Das zweite Nachtlager wählten wir in Schao-bo (Schao-pai), 65 Uin vom ersten; hier sahen wir die ersten zweistöckigen Häuser, welche wir weiter im Süden häufig antrafen. Von Schao-bo bis Tsching-kiang blieben noch etwa 55 Irin. Auf halbem Wege passirten wir die Stadt Jang-tschau-fu, welche durch die Schönheit ihrer Frauen berühmt ist. Bei der Annäherung an diese Stadt begann auf dem Kanale ein besonders reges Leben, am linken Ufer sahen wir eine geräumige Erdbe festigung mit wehenden Fahnen an den Eckthürmen, vor welcher Truppen geübt wurden. Es erschienen Kanonen boote in Form von Dschunken, die mit alten gußeisernen Geschützen zu je einem an der Spitze und am Hintertheil armirt waren. Am Vordermast wehte die orangefarbene, mit einer Inschrift bemalte Fahne, ebensolche Inschriften schmückten die Segel. Die Kanonenboote hatten ein hüb sches, ja stutzerhaftes Ansehen und waren von gut gekleideten Matrosen bedient; ein über dieselben gespanntes Zelt schützte die Mannschaft vor den sengenden Sonnenstrahlen. Bei der Stadt Jang-tschau-fu, deren Mauern und Thürme am linken Ufer des Kanals erschienen, zeigte sich ein Ge- woge, von dem man sich kaum eine Vorstellung machen kann; so dicht gedrängt habe ich die verschiedenartigsten Boote selbst in Canton nicht gesehen, wo doch Hundert tausende von Menschen auf dem Wasser leben. Von der Zollstation, welche durch zwei festliegende Boote gebildet wurde, wurden wir bald durchgelassen, und nun befanden wir uns Plötzlich in einem Labyrinthe von Kähnen, die an einandergekettet in vier bis fünf Reihen am Ufer lagen und nur einen schmalen Weg im Kanale frei ließen. Man sieht Dschunken von den größten Dimensionen neben dem kleinsten Fischerkahne, und man kann alle Phasen chinesischen Lebens auf dem Wasser studiren. Die Chinesen richten sich auf den Booten sehr komfortabel ein, und das hübsche Schnitzwerk mancher Dschunke läßt auf luxuriöse Einrich tung der Kajüten schließen, in welchen man geschminkte und geputzte Frauen sieht, die den Kalian rauchen, sich mit ihren Kindern beschäftigen oder müssig auf- und abgehen. Ueberall wird gearbeitet, neue Segel werden genäht oder alte ansgebesfcrt, Wäsche wird gewaschen und getrocknet, Kleider geflickt, Kähne kalfatert. Man hat nicht die Zeit, all' die mannigfaltigen Bilder aufzufangen. Knaben, die Drachen steigen lassen, schwimmende Enten mit einer Schnur ans Boot gefesselt, an das Verdeck gebundene Kinder, eine Mutter, die den verkrüppelten Fuß ihres vierjährigen Töchter chens bandagirt — Alles fliegt am Auge des Reisenden vorüber. Da plötzlich erschallt Gesang, begleitet von Saiten instrumenten, aus einer zur Restauration umgewandelten Dschunke mit Räumen für Opiumraucher, Coiffeurladen, Harfenistinnen und allem zu einem solchen Lokale erforder lichen Luxus. Etwas weiter stehen mit Bambus geladene Boote, oder mit Porcellanwaare und anderen Handelsartikeln; überall drängen sich Käufer. Beständig muß man halten oder laviren, um nicht überfahren zu werden. Jede Minute gehen flache Boote von einem Ufer zum andern, in welchen die Ucberfahrenden stehen, an den Landungsstellen drängt sich das Volk in Erwartung des Fährbootes; Alles geht in dessen mit Anstand vor sich, ohne Geschrei und Willkür. Erst weit hinter Jang-tschau-fu gelangten wir aus die sem schwimmenden Gewoge, doch nicht auf lange, da wir uns in der Nähe von Gua-tschau abermals in einer Un zahl von Booten befanden. Wiederum drängen wir uns durch dieses schwimmende Labyrinth, aus dem Chaos fliegen an uns die verschiedensten Bilder vorbei — da Plötzlich er schallt der Pfiff eines Dampfers. Ein eigenthümliches Gefühl überkam mich bei diesem Laute, den ich zuletzt vor einem Jahre im fernen Westen gehört, als ich das Coups der Eisenbahn verließ und in die Kibitke stieg, die mich mit raschem Dreigespanne in den fernen Osten entführte. Das Dampfschiff schoß an uns vorüber, und in wenigen Augen blicken befanden wir uns an der Mündung des Kaiser kanals in den Jang-tse-kiang. Bor unserm Blicke erschien der herrliche breite Strom, am jenseitigen Ufer das aniphitheatralisch ansteigende euro päische Quartier der Stadt Tsching-kiang, eingefaßt von Bergen neben einer hohen, ganz mit Tempeln bebauten Insel, die malerisch aus dem Grün der Bäume vortraten. Am Nachmittage um 1^2 Uhr landeten wir in Tsching- kiang. Der englische Konsul, an welchen wir Geleit schreiben hatten, war abwesend; daher machten wir dankbar Gebrauch von der Gastfreiheit anderer dort lebender Euro päer. Am Abend desselben Tages, am 22. Februar, langte eines der großen, nach dem Systeme amerikanischer Nuß dampfer gebauten Schiffe an, welche die Verbindung zwi schen Hang-kau, dem Theehafen des Jang-tse-kiang, und Schanghai unterhalten. Wir schifften uns sogleich ein und der Komfort des prachtvollen Salons sowie der ein zelnen Kajüten ließ nns bald alles Unangenehme unserer 18 tägigen Reise vergessen. Nachdem das Schiff eine halbe Stunde gewartet, stieß es ab, und schon am folgenden Morgen befanden wir uns am Ufer des Haupthafens Chinas für den europäischen Handel, in Schanghai. Zur Ethnographie der Südsee. R. Es sind zwei hervorragende, theilweise grund legende Werke über die Ethnographie und Anthropologie der Südsee, welche wir hier kurz zu besprechen gedenken. Sie führen die Titel: Süd-See-Typen. Anthropologisches Album des Museum Godefsroy in Hamburg. 28 Tafeln mit 175 Original photographien, einer ethnologischen Karte des Großen Oceans und einem beschreibenden Text. Hamburg. L. Friederichsen u. Comp. 1880. Die ethnographisch-anthropologische Abtheilung des Mu seum Godeffroy in Hamburg. Ein Beitrag zur Kunde der Südsee-Völker von I. D. E. Schmeltz und vr. msä. N. Krause. Mit 46 Tafeln und einer eth nologischen Karte des Großen Oceans. Hamburg. L. Friederichsen u. Comp. 1880.