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42 Oberst Unterberger's Reise in China von Tien-tsin bis Tsching-kiang. Oberst Unterberger's Reise in China von Tien-tsin bis Tsching-kiang ). Im November 1875 machte ich in Dienstangelegenhei ten eine Reise durch China. Mein Weg führte durch die nördliche Mongolei und die Wüste Gobi nach Kalgan, von dort nach Peking, Tien-tsin, Schanghai, Hongkong. Nachdem ich auf dem Rückwege dieselben Häfen Chinas be rührt, ging ich über Japan in die „Primorskaja Ob last" (das Gebiet Rußlands am Stillen Ocean) und kehrte endlich im Oktober 1876 nach Irkutsk zurück, von wo ich also im Ganzen etwa ein Jahr abwesend gewesen. Schon diese flüchtige Aufzählung der von mir berühr ten Städte weist auf die Verschiedenheit der klimatischen Verhältnisse hin, denen ich im Laufe eines Jahres ausge setzt gewesen, auf die Mannigfaltigkeit der Transportmittel, unter denen ich meine Reise habe machen müssen. Wenn einerseits dasGedächtniß mit Wohlgefallen an der Fahrt über den Stillen Ocean auf einem mit allem europäischen Luxus und Comfort ausgerüsteten Dampfer weilt, so weckt anderer seits die Erinnerung an den Marsch durch die Gobi zu Pferde bei einem Froste von — 26° (R.) viel düsterere Ge danken. Zum Glücke schwinden in der Erinnerung vor wiegend die schweren Momente und von den mannigfaltigen Reiseeindrücken bleiben besonders die erfreulichen im Ge- dächtniß zurück. So ist es auch mir ergangen. Sobald ich vom mongolischen Wüstenplateau hinabzu steigen begann und mein Blick die reiche chinesische Ebene umfaßte, voll Dörfer und wogenden Lebens, waren die schweren Tage der Gobi vergessen, wo ich trotz der 14 Stunden, die ich zuweilen im Sattel verbrachte, doch nur 5 Km Wegs zurückgelegt hatte, weil ich beständig genöthigt war von der Route abzuweichcn, bald um eine Jurte (Filzzelt) zum Obdach zu suchen, bald um einen Tabun (Herde) zu erspähen, aus dem ich meine erschöpften Pferde und Kameele durch frische ersetzen könnte. Besonders im Jahre 1875 war die Reise durch die Gobi dadurch sehr erschwert, daß auf einer Strecke von 350 Km die eine Post verbindung unterhaltenden Mongolen in Folge von Futter mangel und des Durchzuges vieler chinesischer Truppen weit vom gewöhnlichen Wege seitab gezogen waren. Nachdem ich Kalgan, an der Grenze zwischen China und der Mongolei gelegen und von der chinesischen Mauer durchschnitten, verlassen hatte, erreichte ich in wenigen Ta gen Peking, wo ich einen Monat verweilte, dann nach kurzer Reise Tien-tsin, von wo ich, ohne die Navigations periode abzuwarten, zu Lande nach Schanghai reiste. Dieser Weg, dessen Beschreibung Gegenstand gegen wärtigen Aufsatzes bildet, wird von Europäern sehr selten benutzt, weil zwischen den Endpunkten desselben jährlich neun Monate hindurch eine bequeme Dampfschiffverbindung besteht. Dennoch ist dieser Weg von großer Bedeutung, sowohl in kommercieller als auch in Politischer Beziehung, weil er die Verbindung bildet zwischen dem bedeutendsten Hafen Chinas am Stillen Ocean und der Hauptstadt des Reiches. i) Frei und verkürzt aus dem Russischen übersetzt nach einer Abhandlung aus dem 1l. Bande der Sapiski der Kaiser!. Russ. Geogr. Gesellschaft. Bekanntlich sieht die chinesische Regierung nur ungern einen Besuch des Innern ihrs Reiches Seitens eines Euro päers, und wenn sie schließlich die Erlaubniß zu einer sol chen Reise nicht verweigert, so geschieht es nur in Folge der bestehenden Traktate und nicht ohne daß sie alle nur- erdenklichen Hindernisse in den Weg zu legen sucht. Als ich die Landreise von Tien-tsin nach Schanghai be schlossen hatte, verfehlte der Gouverneur nicht unserm Kon sul eine Menge von Schwierigkeiten und Entbehrungen vorzuhalten, die eine solche Reise bieten sollte, und die Ge fahren derselben in den grellsten Farben zu schildern. Eine kategorische Erklärung von Seiten unseres Konsulates führte aber schließlich doch zum gewünschten Resultate, und ich er hielt endlich einen Schein zu ungehinderter Reise, geschrie ben auf chinesischem Papier, an den Seiten verziert mit dem bekannten Drachen und versehen mit einem großen rothen Siegel. Dieselben Erfahrungen machte das englische Konsulat, als es einen eben solchen Paß für Herrn Milne forderte, der über Schanghai nach Japan gehen wollte, wohin er als Professor der Mineralogie an eine der höhe ren Lehranstalten inÄeddo berufen war. Herr Milne hatte der bequemen Reise auf einem der fchön eingerichteten Dampfer, welche die Verbindung zwischen England und China vermitteln, die weit beschwerlichere und an Entbeh rung reichere Route über Rußland, Sibirien, die nördliche Mongolei und die Gobi nach Peking undTien-tsin vorge zogen. Als er hier meine Absicht zu Lande nach Schang hai zu reisen erfuhr, wollte er die Gelegenheit mit Land und Leuten näher bekannt zu werden nicht versäumen und beschloß sich mir anzuschließen und lieber den interessanten, aber auch beschwerlicher« Weg durch das Innere zu wäh len, als in Tien-tsin die Eröffnung der Navigation abzu warten und dann auf einem Dampfer die Reise in fünf mal geringerer Zeit zu machen. Da ich Herrn Milne schon in Irkutsk kennen, seine vielseitige Bildung und scharfe Beobachtungsgabe, seine Anspruchslosigkeit und Akkommoda tionsfähigkeit an die mannigfaltig schwierigen Verhältnisse schätzen gelernt hatte, so war ich sehr erfreut ihn als Be gleiter für meine zwanzigtägige Reise zu haben durch ein uns fremdes Land, dessen Sprache uns unbekannt war und wo die vielen neuen Eindrücke, die unserer harrten, einen Ge dankenaustausch um so erwünschter erscheinen ließen. So willigte ich denn mit Freuden ein, ihn als Kameraden in den schmutzigen Gasthöfen der Städte und Dörfer des Reiches der Mitte zu haben. Als zweiten Begleiter hatte ich einen jungen Chinesen, zum Diener und Dolmetscher angenommen. Er sprach Französisch, das er in einer Jesuitenschule Chinas erlernt hatte. Da er nur den südlichen Dialekt des Landes kannte, der nördliche aber ihm fremd war, so gaben wir uns keinen Illusionen in Bezug auf den Nutzen, den er uns als Uebersetzer erweisen würde, hin, rechneten vielmehr auf seine Eigenschaften eines guten Dieners, worin wir uns indessen täuschten, da er entschieden mehr Neigung hatte die Rolle des Herrn als diejenige des Dieners zu spielen. Es hält überhaupt schwer, einen guten chinesischen Ueber setzer zu finden. Am häufigsten erlernen die Chinesen die