Volltext Seite (XML)
Die Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte rc. 31 keit unseres Wissens und dem berechtigten Zweifel Uber die archäologische Deutung einer ganzen Reihe von Funden, wobei die „skandinavische Trilogie« nicht wenig verwirrend mitgewirkt hat. Fraas glaubt nicht, daß man auf dem bisherigen Wege zum Ziele und zu brauchbaren und erfreulichen Resultaten gelange, er verwirft die bisher beliebte Methode, nach wel cher alle Funde der verschiedenen Perioden zusammen nach einem doktrinären Schema in Eine Karte eingetragen wer den sollen, und hält es für viel zweckmäßiger, die sämmtlichen prähistorischen Alterthümer in mehrere Karten einzutragen, und zwar mit den vier adoptirten Farben, Roth für Stein, Gelb für Bronze, Grün für Bronze und Eifen und Blau für Eisen, auf vier verschiedenen Karten. Die erstere würde die ältere, paläolithische Steinzeit umfassen und die Gestaltung dieser Periode innerhalb Deutschlands auf den ersten Blick zeigen, wonach der Schwerpunkt derselben in den Süden fällt. Eine zweite Karte würde die Zeit des geschliffenen Steines und die ersten Anfänge der Metall zeit umfassen, welche etwa bis in die etrurische Zeit hinab greift. Die dritte Karte würde die Periode bis zur römi schen Okkupation umfassen und das eigentlich Römische darstellen, das von nun an alle Verhältnisse beherrscht. In ein viertes Blatt wäre endlich das Nachrömische bis zur Zeit der Merowinger aufzunehmen. Als Grundlage für die prähistorische Karte schägt Fraas die auf der zoologischen Karte Deutschlands zu Grunde liegende von Dechen'fche Karte vor, in welche je eine der vier unterscheidbaren Pe rioden der deutschen Vorgeschichte einzutragen wäre. Es ist nicht zu leugnen, daß der Fraas'sche Vorschlag viel Verlockendes namentlich in praktischer Beziehung hat, denn die verschiedenen Farben und zahlreichen Zeichen sämmt- lich auf ein Blatt einzutrageu würde ungemein verwirrend wirken und große Unzuträglichkeiten mit sich bringen, abge sehen von der Schwierigkeit der Herstellung. Ob damit aber alle Uebelstände, die sich bisher bemerklich gemacht ha ben, sollten beseitigt werden, möchten wir doch bezweifeln. Ja neue streitige Punkte werden sogar dadurch geschaffen, welche beizulegen die prähistorische Archäologie, mit den ihr gegenwärtig zu Gebote stehenden Mitteln, nicht wohl in der Lage sein dürfte. Nicht minder als der Unternehmungen der Gesellschaft in ihrer Gesammtheit müssen wir auch der Thätigkeit der verschiedenen Lokalvereine wie der Leistungen einer großen Anzahl von Mitgliedern Erwähnung thun. Die Berichte im Korrespondenzblatt wie die größeren Arbeiten im Archiv für Anthropologie legen ein beredtes Zeugniß dafür ab, wie eifrig und wie erfolgreich gegenwärtig bei uns in Deutsch land das Gebiet der Anthropologie, das vor einem Jahrzehnt noch ziemlich brach dalag, bebaut wird, und wobei die For scher von den Regierungen und Behörden wie von der Laienwelt nicht nur das bereitwilligste Entgegenkommen, sondern auch die erwünschteste Unterstützung finden. Es ist unmöglich hier auf die Thätigkeit und die Lei stungen der einzelnen Zweigvereine näher einzugchen, ob gleich auch von diesen zahlreiche treffliche Unternehmun gen, welche meistentheils lokale Verhältnisse ins Auge saffen, in Angriff genommen und ausgesührt worden sind. Diese Specialuntersuchungen haben zum Theil sehr wichtiges Ma terial geliefert, welches für eine Gesammtdarstellung der deutschen Urgeschichte und Anthropologie ganz unentbehr lich ist und eine solche erst dann ermöglichen wird, wenn eine hinreichend umfassende Menge vorlicgt. Vieles ist bereits geschehen, aber noch sehr viel bleibt zu thun übrig. Bor allen Dingen gilt es aber das vorhandene Material herbeizuschafsen und cs vor dem Untergange zu bewahren, denn überall droht in unseren hochkultivirten Ländern den Ueberrcsten aus einer frühem urgcschichtlichen Zeit eine nicht zu unterschätzende Gefahr, indem dieselben durch Fluß-, Wege- und Eisenbahnbautcn, sowie durch die weiter und weiter sich ausdehnende Melioration des Bodens immer mehr der Vernichtung preisgegeben werden und zu Grunde gehen. Unsere zunächstliegende Aufgabe muß daher sein, schleunig zu retten, was noch zu retten ist, denn die Zeit dürfte nicht mehr allzufern sein, in welcher das ganz un möglich sein wird und die frühesten Spuren unserer Ver gangenheit gänzlich verwischt und unwiederbringlich verloren sein werden. Hier ist auch der Laie im Stande, an der Arbeit Theil zu nehmen und am Gelingen des großen Werkes mit bcizutragen. Oft wird es genügen, guten Wil len und ein offenes Auge zu haben, und wo mehr erfordert wird, da wird auch die Gesellschaft mit Rath und That helfend zur Seite stehen. Sehr erfreuliche Wahrnehmun gen sind in dieser Beziehung zu verzeichnen, aber trotzdem herrscht auch andererseits noch viel Gleichgültigkeit unter den großen Massen, unter denen ein lebhafteres Interesse für die Sache zu erwecken eine Hauptaufgabe der Gesellschaft sein dürfte. Der so wohlgelungene Berliner Kongreß, wie die unvergleichliche anthropologisch-prähistorische Ausstellung, auf welche wir zum Schluß noch zurückkommen, werden nicht wenig zur Erreichung dieses Zweckes beigetragen haben. Gewinn genug, selbst wenn nichts mehr erzielt worden wäre. Mag man gegen derartige Versammlungen einwendcn, was man will, mag man sie als überflüssig oder gar nutzlos be zeichnen, so sind sie doch unstreitig das beste und geeignetste Mittel, um das allgemeine Interesse wach zu rufen, und da durch wenigstens indirekt der Wissenschaft zu dienen und ihr Nutzen und Vortheil zu bringen. Ganz besondere Verdienste um die Lokalforschung hat sich der Zweigverein in München erworben, was wir hier an erkennend hervorheben müssen, wenn wir hier auch nicht näher darauf eingehen dürfen; nur erwähnen wollen wir noch, daß von demselben eine ganz vortreffliche Zeitschrift: „Beiträge zur Anthropologie und Urgeschichte .Bayerns«, von welcher gegenwärtig der dritte Band vol lendet vorliegt, in München im Verlag der „Literarisch artistischen Anstalt« herausgegeben wird. Wir können, sowohl was den Stoff wie die Behandlung desselben betrifft, das Unternehmen als mustergültig hinstellen und es der allseitig sten Beachtung bestens empfehlen. Daß natürlich von allen Zweigvereinen der der Reichs hauptstadt obenansteht, ist wohl selbstverständlich. Was derselbe in dem Decennium seines Bestehens geleistet, davon kann man sich in dem Organ der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, der Zeit schrift für Ethnologie überzeugen; dieselbe, seit 1869 bestehend und gegenwärtig bis zum zwölften Jahrgang ge diehen, ist eine wahre Fundgrube werthvollen Materiales aus den verschiedensten Gebieten unserer Wissenschaft. Die Ausstellung vorgeschichtlicher und anthropologischer Funde Deutschlands in Berlin bildete den Glanz- und Schwerpunkt der diesjährigen Versammlung, durch welche derselben die Signatur aufgedrUckt worden ist, die ihr alle zeit eine hervorragende Stellung einräumen und deren Bedeutung kund thun wird. Dieselbe bildete ein Seiten- stück zu den Ausstellungen, welche im Jahre 1878 in Pa ris und im Vorjahre zu Moskau stattgefunden haben. Lernten wir dort vornehmlich die Urgeschichte des Westens, hier die des Ostens kennen, so wurde durch die Ausstellung in Berlin das Bindeglied zwischen beide eingefügt, und der Reigen, welcher Europa umschlingt, damit abgeschlossen, denn auch der skandinavische Norden wie der romanische