Volltext Seite (XML)
vorliegt. Die für unsere Zwecke wichtigere Zahl der Chi nesen in Japan hat die Zählung von 1877 geringer erscheinen lassen, als man nach so manchen Schilderungen über die große Bedeutung des chinesischen Elementes in der japanischen Bevölkerung erwarten durfte. Es gab nämlich diese Zählung die Zahl von 2110 Chinesen in den offenen Häfen an. Ueber die der etwa anderweit im Lande An wesenden fehlen alle nähere Angaben. Es scheint diese Zahl, wenn wir auch annehmen, daß sie etwas zu klein sei — es gehört zu den Eigenheiten der Chinesen im Aus land sich den Zählungen zu entziehen—, als nicht sehr bedeu tend, aber es ist eine wachsende Zahl. Die Chinesen sind als Handelsleute in Japan seit der Oeffnung des Landes für den fremden Handel auf allen Punkten nur vorge schritten und eine rasch zunehmende Masse kleiner Leute, hauptsächlich Trödler und Tagarbeitcr, hat sich an die Fersen der einflußreichen Großhändler geheftet. Eine große Anzahl armer Auswanderer aus den Nordprovinzen suchte in der Hungerzeit von 1878 und 1879 in Yokohama und anderen japanischen Hafenplätzen Schutz vor der Hungers noth. Starkes Zeugniß für den reger werdenden Verkehr der beiden Länder legt auch die Thatsache ab, daß seit 1877 die Chinese Merchants Steamship Cy. einen Dampfer zwischen Schanghai und den japanischen Häfen laufen läßt in Konkurrenz mit der japanischen Regierungslinie der Mitschu-Bischi-Gesellschaft; ebenso die andere charakteristische Thatsache, daß der japanische General-Postmeister in dem selben Jahre eine Anzahl von Postanstalten an chinesischen Hafenplätzen errichtete, „um den Verkehr der Bevölkerungen von Japan und China zu erleichtern und zugleich um den in China wohnenden Fremden die Vortheile einer organi- sirten Post zu verschaffen, bis die Regierung von China die Einrichtung einer solchen selbst in die Hand genommen haben wird/' Das stolze Gefühl der Japaner, die ost asiatische Kulturmacht zu sein, welche selbst das große, aber alte und langsame China mit sich fortreißen muß, ein Ge fühl, das wesentlich zur Verfeindung der beiden so sehr auf einander angewiesenen Mächte bcigetragen hat, könnte sich wohl nicht leicht in irgend einer amtlichen Kundgebung naiver aussprechen. Auch in Korea, das man sonst in China zu den Tributärstaaten zu zählen liebte (s. u.), haben die Japanesen seit Decembcr 1876 ein Postamt (in Fusan) errichtet, dessen Vorstand der japanische Konsular-Agent ist. Daß sie dabei die Chinesen doch keineswegs unterschätzen, beweist die Berufung eines eigenen Professors für chinesische Sprache, des gelehrten Tscho-ji-ho aus Peking, auf einen neugegründeten Lehrstuhl in Tokio. Mit derselben That- kraft haben die Japaner die das Kousularwesen betreffende Klausel des Vertrages von 1873 ausgenutzt und in allen wichtigeren offenen Häfen des Nachbarreiches ihre Konsuln angestellt. Die japanischen Kaufleute sind freilich diesen Schritten nicht eben so rasch gefolgt und ist noch heute, wie wir gesehen, die Zahl japanischer Häuser in China unbedeutend. Dagegen ist der Handel der chinesischen Häuser in Japan in beständigem Wachsen. In Hiogo ist seit 1877 der ganze Raum der früheren niederländischen Faktorei von chinesischen Händlern eingenommen und hat sich hier nicht bloß eine bedeutende Reisausfuhr nach China während der Hungersnoth entwickelt, sondern auch eine erhebliche Ausfuhr von Weizen, diesem erst seit Kurzem in japanischen Ausfuhrlisten vorkommenden Artikel, nach süd chinesischen Häfen. 1878 wurden von hier 165 000Pikuls Reis nach China versandt. Nagasaki, welches noch von der Zeit her, wo es der einzige offene Hafen für Chinesen in Japan war, eine starke chinesische Kolonie besitzt, führt nach China hauptsächlich Kampher und Wachs aus, in neuerer Zeit auch Thee (nach Nordchina). In Yokohama ist die Bedeutung der Chinesen als selbständiger Kaufleute weniger groß, aber sie nehmen hier als Makler (Compradores) eine so hervorragende und nicht immer nützliche Stellung ein, daß 1878 eine große Zahl japanischer Kaufleute sich ver pflichtete, keinen von denselben mehr zu beschäftigen. Natür lich war die Maßregel nicht durchzuführen. Diese Kolonie soll die reichste sein. Die Ankunft der chinesischen Gesandt schaft in Yokohama, an deren Spitze die Exccllenzen Ho und Tschang standen, im December 1877, gab den Chinesen von Yokohama Gelegenheit, sich bei einem Feste, das sie jenen in ihrem Tempel gab, in ihrem ganzen Reichthum zu zeigen. Doch ist offenbar nur ein kleiner Theil der chinesischen Gesellschaft in Japan auf solcher Höhe; es fehlt im Gegcn- theil hier ebensowenig wie in Singapur oder San Francisco trotz der geringem Gesammtzahl au einer verhältnißmäßig großen Zahl dunkler Existenzen, auf welche der viel zahmere, mildere Japaner mit selbstgefälligem Entsetzen schaut. Piraten, Hasardspieler und Buhlerinnen setzen für den gut gesinnten Japaner einen erklecklichen Theil der Chinesen zusammen, die an seine Küsten kommen. Thatsächlich macht in Japan wie anderwärts diese halb niedrige halb verwegene Gesellschaft der Polizei viel zu schaffen. Letztere hat ein aufmerksames Auge auf die Spielhöllen, welche das japa nische Gesetz nicht duldet. In der Regel sind sie chinesisch. Bei den Japanesen gilt cs als sicher, daß die Chinesen ihr in Südchina in so hoher Blüthe stehendes Gewerbe der Menschenfängerci auch auf Japanesen ausdehncn, und in Kobe mußte vor einigen Jahren mühsam ein Ausbruch der Volkswuth gegen wirkliche oder angebliche chinesische Men schenfänger unterdrückt werden. In Yokohama drohte ganz wie in San Francisco das enge schmutzige Chinesenviertel ein Schmutzfleck im Gesicht der Stadt und ein Herd an steckender Krankheiten zu werden. Dasselbe ist 1877 mit großen Kosten Seitens der japanischen Behörden in denjenigen sanitären Zustand versetzt worden, welcher möglich war ohne sie zu zerstöre» und neu aufzubaueu. Alles Grüude für den Japaner, sich als den „höhern Menschen" gegenüber seinem chinesischen Nachbar zu fühlen. Die Politischen Beziehungen zwischen Japan und China sind, wie oben angedeutct, seit mehreren Jahren nicht be- sriedigend gewesen, und wird cs wohl auch lange dauern, bis dieselben sich wieder bis zu jenem Grade erwärmen, welchen 1873 der in die Oeffentlichkcit gelangte Entwurf eines Freundschafts- und Handelsvertrages erkennen ließ. Aus ihm sprach entschieden etwas wie ein Gefühl ostasiatischcr Solidarität. Damals schienen beide den au und zwischen sie sich drängenden westlichen Großmächten gegenüber eine wechselseitige Stütze in einem festen Zusammenschluß suchen zu wollen. Darauf wurde auch die Thatsache gedeutet, daß bei der ersten und dementsprechend besonders bedeutungs vollen Audienz, welche 1873 die fremden Vertreter zu Peking der chinesischen Negierung abrangen, der japanische Gesandte den Bortritt erhielt. Aber schon 1874 brachte die formosanischc Angelegenheit eine starke Trübung in diese Beziehungen und scheint bei China einen Verdacht gegen japanische Herrschgelüste wachgerufen zu haben, welcher noch immer nicht ganz beseitigt sein dürfte. Indessen hat Japan sich inmitten der kriegerischen Atmosphäre, welche die chinesisch-russischen Verwickelungen seit Ende 1879 Uber Ostasien ausbreiteten, einer klugen Zurückhaltung befleißigt, welche zu ausgeprägt war, um nicht aufzufallen. Es ist sehr bemcrkenswerth, daß von keiner Seite derVerdacht aus gesprochen ward, es werde sich der aufstrebende Inselstaat die Verlegenheiten Chinas zu Nutzen machen wollen, und der Freund ruhiger Einbürgerung der Kultur in den ost- 44*