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R. Andree: Ueber den Ursprung der sog. hieroglyphischen Steinschriften. 247 Neigung besaß. Diese Wittwe war nicht mehr jung, nahm aber durch ihre zierlichen Formen, angenehmen Manieren und fast europäische Gesichtsbildung noch immer ein. Da neben wohnte eine andere Wittwe vom Stamme der Schoa- Araber, welche sich von einer Liebenswürdigkeit und Zuvor kommenheit ohne Gleichen zeigte: den ganzen Abend und selbst einen großen Theil der Nacht hörte sie nicht auf, Nachtigal zu quälen, daß er ihre Tochter, ein niedliches Ge schöpf von 16 bis 17 Jahren, als Gattin mit sich nehme. Fast die ganze Nacht hindurch blieben die Einwohner aus den Beinen und feierten die Anwesenheit des Fremden mit Musik, Tanz und Lustbarkeiten. Auch sie schienen, ebenso wie die Einwohner von Bugoman, kein richtiges Verständniß von seiner Eigenschaft als Christ zu haben; glaubten doch viele, daß er direkt vom Großherrn in Stambul gesendet sei, um den vertriebenen Mohammcdu wieder auf seinen angestammten Thron zu setzen. Ueber den Ursprung der sogenannten hieroglyphischen Steinschriften. Von Richard Andree. Es vergeht kein Jahr, daß wir nicht von Reisenden über die Entdeckung „hieroglyphischer Steinfchristen" hörten, die bald in Amerika, bald in der Südsee oder Afrika gemacht wurden. Wir erhalten auch Abbildungen derselben, ihre Beschaffenheit, Lage u. s. w. wird genau geschildert, von einem Versuche diese Hieroglyphen zu lesen ist aber keine Rede, ja wir vermissen fast stets den Beweis, daß cs sich überhaupt um eine Schrift handelt. Und dieser Beweis wäre doch zuerst zu erbringen, ehe man sich erlaubt derar tige Gebilde als Bilderschrift oder „Hieroglyphen" anzu sprechen. In den allerwenigsten Fällen dürfte aber derselbe erbracht werden, denn ich glaube den Nachweis geführt zu haben, daß die überwiegende Mehrheit dieser Petroglyphen, Felsritzungen, Steininschriften, und wie man diese Gebilde nennen mag, nichts weiter als die müssigen und rohen An fänge primitiver Kunst sind. Weit über hundert Fälle habe ich in meinen „Ethnographischen Parallelen und Verglei chen" (Stuttgart 1878, S.258 bis 299) zusammengestellt, 59 Abbildungen habe ich dazu gegeben und gezeigt, wie ver zweifelt ähnlich derartige Leistungen überall in der Welt sind, daß sie auf derselben Stufe stehen, wie die Beschmierungen unserer Straßeumauern durch „Narrenhände". Der gleiche Trieb hat sich bei allen Völkern in ähnlicher Weise geäußert. Jsolirte Felsblöcke, glatte Felsufer beschiffter Ströme, Reise ziele, Flußübergänge, Jahrmarktstätten sind die einladenden Plätze, wo die Kunst der Kindheit sich breit machen kann, wo, wenn der Anfang mit der Zeichnung oder Einritzung einer Figur, eines Zeichens gegeben ist, bald sich Nachahmer finden. Selbst der Weiße ahmt dem Naturkinde nach. Bei Kab»mbo Sm obern Congo fand Stanley auf seiner be rühmten Reise eine von Felsen umgebene Höhle am Strom. „Einige Eingeborene," erzählt er, „haben auf die glatte Ober fläche des Felsens phantastische Zeichnungen, Quadrate und Kegel gekritzelt und ihrem Beispiele folgend schnitzte ich, so hoch wie ich reichen konnte, den Namen der Expedition und das Datum der Entdeckung ein." (Dunkler Welttheil II, 268.) Wie uns Dr. Buchner versichert, kön nen die Maori Neuseelands jetzt alle lesen und schreiben. „Ohne eigentliche Lehrer zu haben lernen sie es einer vom andern und an allen Mauern und Zäunen, an allen Fels wänden im Walde sieht man Namen und Zeichnungen ein gekratzt, welche die bedeutende Vorliebe der Maori für gra phische Künste dokumcntiren." (Reise durch den Stillen Ocean 157.) Aus gleichen Ursachen hervorgegangen zeigen diese primi tiven Schöpfungen auch eine merkwürdig gleichartige Gestal tung und man mag sie nun in Europa oder Asien, in Amerika oder Afrika betrachten, so bieten sie stets denselben Charak ter dar. Unregelmäßig und zerstreut angebracht stellen sie entweder einfache ornamentale Zeichen, Kreise, Vierecke, concentrische Ringe, verschlungene Bänder, Wellenlinien, Mäander dar, oder Gegenstände, wie sic dem Auge des Ein ritzenden oder Malenden am nächsten liegen: Thiere, Men schen, Schiffe, Geräthe. Ihr Stil, derjenige der primitiv sten Kunst, ist überall merkwürdig gleich und sie überraschen nur da, wo man sie einzeln und ohne Zusammenhang mit Ihresgleichen betrachtet, namentlich im Gebiete roher Natur völker, welche das Werk ihrer Vorfahren oft mit abergläu biger Furcht betrachten und leicht daran Sagen von einem untcrgegangenen, der Schrift mächtigen Volke knüpfen. Die „hieroglyphische Steinschrift", welche jüngst Dr. Theodor Wolf in Guayaquil am Rio Caluguru bei Santa Rosa in Ecuador auffand und in den Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft (1880, S. 222) abbildete, gehört völlig in das Bereich sinnloser indianischer Kritzeleien. Der Einsender hält die Zeichen „unbedingt" sür Hieroglyphen, beweist diesen kühnen Ausspruch aber nicht. Nun gut, wären sie solche, dann hätten wir quer durch ganz Südamerika eine und dieselbe Hieroglyphen schrift, denn genau die Zeichen, die uns Dr. Wolf ab bildet, kommen in Venezuela, in Guiana, am Rio Negro, am Madeira, in Peru, selbst in Nicaragua und in Nord amerika vor, worüber ich die Tafeln in meinen „Eth nographischen Parallelen" nachzuschen bitte, die einen sol chen Vergleich ermöglichen. Es läßt sich aber auch der direkte Beweis führen, wie derartige Zeichnungen und Felsritzungen noch heute entste hen, und es ist gar nicht nöthig, sie immer untergegangenen Kulturvölkern zuzuschreiben und sich dabei mit Alexander v. Humboldt in nebelhafte Fernen zu verlieren, v. Mar tius bereits sah die Felsritzüngen des nordöstlichen Südame rika als Hinterlassenschaft „kindlicher Einfalt und mittel loser Unbeholfenheit" von „Müssigen, die sich dort spielend ergötzt haben", an, und Richard Schomburgk hebt hervor, daß die Schamschürzen (rnosu) der Makusifrauen in Guiana mit ihren schönen eckigen Perlstickereien Aehnlichkeit mit den Felsbildern von Waraputa haben. „Dieselben Figuren sah man auch mit weißem Thon, rothen oder schwarzen Farben an die Wände der Hütten, an die Ruder, Corials und Waffen roh mit den Fingern oder einem Stücke Holz gemalt." (Reisen in Britisch-Guiana I, 359.) Neuerdings erhalten wir nun durch den französischen Marincarzt Dr. Jules Crevaux erwünschte Bestätigung in der von uns angedeuteten Richtung. Er bereiste 1878 Französisch-Guiana und kam.zu den Oyampy-Jndianern an den Quellen des Ojapok-Flusses. Er erzählt: „Es machte