Volltext Seite (XML)
12 Die Deutsche Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte rc. erwählt, während eine dritte ausersehen wurde, das ganze an den Universitäten und in den größeren Städten Deutschlands vorhandene anthropologische urgeschichtliche und ethnologische Material übersichtlich nach den vorhandenen Katalogen zu- sammenzustellen und im Archiv für Anthropologie zu ver öffentlichen, und zwar in der Weise, daß Verzeichnisse der in den verschiedenen Museen befindlichen Schädel mit kurzer Beschreibung und Angabe einiger Hauptmaßen der Racen- skelete, der fossilen Thierreste quaternärer Zeit sowie der urgeschichtlichen und ethnologischen Sammlungen, Bilder und ähnlicher Gegenstände hergestcllt würden. Von ganz besonderer Wichtigkeit für die anthropologischen Verhältnisse der Gegenwart in Deutschland waren die auf der Generalversammlung zu Wiesbaden im Jahre 1873 gefaßten Beschlüsse, die deutschen Regierungen zu ersuchen, daß sie die Schulvorstände in allen deutschen Staaten an weisen möchten, eine statistische Zusammenstellung über die Farbe der Augen und der Haare der Schüler mit Angabe des Alters zu machen, und daß dieses Material der Gesellschaft zur Bearbeitung mitgetheilt werde, ferner einen Antrag an das Reichskanzleramt zu richten, daß bei der Rekrutirung der Armee in allen deutschen Staaten Aufzeichnungen über die Farbe des Haares und der Augen vorgenommcn werden möchten, und daß sowohl dieses Material als die Aufzeich nungen über die Körperlänge, vielleicht auch über die Körper kraft bezirksweise gesammelt würden, und endlich in den ein zelnen Theilen Deutschlands Specialkommissionen für die Sammlung und Bearbeitung des Materials über die phy sische Beschaffenheit der Bevölkerung und zwar vorzugsweise der ländlichen, mit Rücksicht auf die ethnologischen Verhält nisse ins Leben zu rufen, welche Anträge sämmtlich von Virchow eingebracht und eingehend erörtert worden waren. Es waren bedeutende, umfangreiche Aufgaben, welche die Gesellschaft sich gestellt hatte und zu lösen unternahm, Arbeiten, die alle Kräfte in Anspruch nehmen und auf eine lange Reihe von Jahren unausgesetzt in Thätigkeit halten mußten. Der jüngst in Berlin abgehaltene Kongreß hat gezeigt, was bereits Alles zur Ausführung gelangt und wie viel von dem, was man sich vorgenommen hatte, bis jetzt er ledigt worden ist. Wir haben nach einem so kurzen Zeit raum schon Resultate zu verzeichnen, die der deutschen An thropologie zur höchsten Ehre gereichen, die sie der englischen und französischen würdig an die Seite stellen und uns zum wärmsten Danke gegen alle die verpflichten müssen, welche in rastlosem Eifer dazu beigetragen haben, das Unternehmen so schnell zur Blüthe zu bringen, und das Werk der Wissen schaft, das zugleich ein nationales ist, zu fördern. Drei Kommissionen sind bis jetzt thätig gewesen, um die von der Gesellschaft unternommenen Arbeiten zu leiten, zu überwachen und zum Abschluß zu bringen. Die eine der selben hat bereits ihre Aufgabe gelöst, es ist die, welcher die statistischen Erhebungen Uber die Farbe der Augen, der Haare und der Haut abgelegen haben. Zwei in der Aus stellung aufgehängte Karten veranschaulichten die erzielten Ergebnisse, von welchen die eine uns die Blonden, die andere die Schwarzen und Brünetten in Deutschland, der Schweiz und in Belgien nach ihrem Procentsatz zeigte. Bezeichnen der hiernach, anstatt von einer blonden und von einer schwar zen oder brünetten Bevölkerung Deutschlands zu reden, dürfte es sein eine Helle und dunkele anzunehmen, indem wir stets finden, daß mit dem blonden Haare auch blaue Augen und eine Helle Haut, dagegen mit den schwarzen oder braunen Haaren dunkele Augen und Hautfarbe sich vergesellschaften, so daß nicht eine einzelne Eigenschaft, sondern ein Komplex solcher charakteristisch ist, der wohl besser durch eine allge meine Bezeichnung, als durch eine Theilerscheinung gekenn zeichnet wird, wenn man auch sonst den Grundsatz: „ävxo- biori parto üt äouomiuatio" gelten lassen kann. Noch wollen wir anfuhren, daß besonders Norddeutsch land, und zwar vorwiegend Schleswig-Holstein, ferner das Land an der Unterelbe sowie Pommern und Hannover durch eine Helle Bevölkerung, dagegen Süddeutschland, und zwar sowohl Ober- und Niederbayern wie das Rheinland, und hier namentlich das Elsaß, dann das westliche Belgien und die Ost- und Westschweiz durch eine dunkele Bevölkerung sich auszeichnen, und vollkommen bestätigt sich der Ausspruch Kollmann's, „daß die sogenannte Mainlinie nicht allein eine politische Entdeckung ist, sondern in der That eine ethnische Begründung besitzt". „Wir dürfen aber nicht denken — be merkt er hierzu —, daß hier eine neue Race, modificirt durch Zuchtwahl, uns entgcgentrcte; es sind dieselben Typen, aber das gegenseitige Zahlenverhältniß zu einander ist verschie den," was Kollmann so aufgefaßt wissen will, daß man sagt, ein blonder Friese und ein blonder Holsteiner sind Stammesgcnossen des blonden Berners, der am Fuße der Centralalpcn lebt, es sind Genossen eines und desselben Stammes. Eine ähnliche Stammvcrwandtschaft existirt nun auch zwischen der dunkelern Bevölkerung Norddeutsch lands und der, welche sich bis in die tiefen Thäler der Schweiz hinein erstreckt, so daß man von einem brünetten Mecklenburger und von einem brünetten Walliser oder Waadtländer sagen kann, daß sie gleicher Abstammung seien. Danach hat eine Einwanderung der dunkelen Bevölkerung allmälig vom Süden nach Mittel- und Norddeutschland stattgefunden, während hinwiederum die blonde Bevölke rung vom Norden und Nordosten nach dem Süden und Südwesten vorgedrungen ist. Mit Recht hebt nun Kollmann hervor, daß die Er gebnisse einer solchen Statistik nicht allein genügen könnten, sondern daß sic durch die Untersuchungen der Kraniologie bis zu einem gewissen Grade kontrolirt werden müßten. Der Mensch ist eben ein Ganzes, das in seiner Gesammt- crscheinung aufgefaßt und beurtheilt sein will. So tritt hier die Kommission ergänzend und prüfend ein, welcher die Feststellung der Statistik der Schüdelformen in Deutschland, überhaupt der sämmtlichcn somatischen Verhältnisse obliegt. Manches ist schon in dieser Beziehung geleistet worden, aber noch vieles bleibt zu thun übrig. Vor allen Dingen thut aber Einigkeit der Forscher über die zu befolgende Methode noth. Bevor nicht von allen Seiten ein gleiches Verfahren beider Untersuchung nach allgemein angenommenen Gesichts punkten eingeschlagen wird, können wir nicht auf brauchbares Material rechnen; wie viel Mühe und wie viel Scharfsinn auch auf dessen Beschaffung verwendet wird, es bleibt für die Vergleichung, auf die es doch hier in erster Linie an kommt, ganz wcrthlos, und sehr zu wünschen wäre es, daß eine internationale Meßmethode zur Ausführung käme, doch wird dies vorläufig noch ein frommer Wunsch bleiben, und zwar so lange, als Deutsche und Franzosen sich nicht einigen können; wären diese über eine gleiche Verfahrungsart über eingekommen, so märe gewonnenes Spiel, und die übrigen Nationen würden sich, wie die Verhältnisse jetzt stehen, sofort anschließen. Doch sollte die gegenwärtige Unerreichbarkeit des Bessern uns nicht abhalten, wenigstens das erreichbar Gute anzustreben, eine Einigkeit unter den deutschen For schern. Diese anzubahnen und zu verwirklichen sollte unsere erste und zunächstliegende Aufgabe sein, mit deren Lösung der Wissenschaft ein großer Dienst geleistet und für dieselbe viel gewonnen wäre. Wie wichtig aber eine Statistik der Schädelformen und deren Vergleichung mit den Ergebnissen der Statistik der Farbe der Haut, Augen und Haare ist, erhellt schon aus