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europäisirtc japanische Dörfer führt, gelangte die Reisende nach dem an der Südseite der Bulkanbai gelegenen Mori, einem großen unsauber» japanischen Dürfe, von wo eine Dampffähre über das spiegelglatte Wasser der Bai nach Mororan geht. Ueberall befindet man sich hier noch ans vielbetretencm und zwar durchaus japanischem Gebiete. Längs der Küste läuft neben der ziemlich guten Straße die Telcgraphcnleitung bis Schiraoi, von wo sie mit der Straße nach Norden auf Satsuporo zu abbiegt. Auf dem flachen etwa zwei Kilometer breiten Küstenstreifen, hinter dem sich die Verberge des innern Gebirgslandes wie eine Mauer erheben, wechseln bambubewachsene Sumpf strecken mit Waldungen ab, in denen die blulaUa jaxonion, ein hier weit über mannshohes Gras, alle Lichtungen bedeckt. Mehrere größere Dörfer und Städte befinden sich auf dieser Strecke, dazwischen große Fischereistationen mit ausgedehnten Thranlochereien; dieselben lagen jetzt meist verödet da, in der Fischfaugsaison aber, wo aus den nördlichen Provinzen der Hauptinscl eine förmliche Auswanderung nach Jcsso statt- findet, entfaltet sich hier ein reges Leben; denn die Ergeb nisse des japanischen Fischfanges finden nicht nur im Lande selber reichlichsten Absatz, sie werden auch in ungeheuer» Masse» von Hakodate nach China exportirt. Neben den japanischen Ortschaften komme» hier schon vielfach Aino- Dörfer vor, die sich durch die abweichende Bauart ihrer Häuser wesentlich von jenen unterscheide». Die Küsten- Ainos leben vorzugsweise vom Fischfang, den sie in Canoes aus ausgehöhltcn Baumstämmen betreiben. In den Zwi schenzeiten gehen sie in den Wälder» des Jmicrn der Jagd »ach; und so war auch jetzt der größte Theil der männlichen Einwohner dieser Dörfer abwesend. In östlicher Richtung an der Küste entlang gehend, führt ein schmaler Weg von Schiraoi weiter über Jubets, Sarufuto und Mombets. Ueberall erblickt man längs der ganzen Küste Spuren älterer oder neuerer vulkanischer Thätigkcit und ragen die rothen Spitzen der Vulkane über den Waldrand der Vorbergc. Bon Sarufuto aus, wo Miß Bird mit den Herren von Siebold und Diesbach zusammentraf, die von einer strapazenreichen, leider mißglückten Expedition nach dem innern Jesso zurück kehrten, schlug sie den Weg landeinwärts nach dem Aino- Dorfe Birat ori ein, wo sie einige Tage zu verweilen ge dachte. Der Wald, durch den ein schmaler von den Aino- Jägern gebahnter Pfad leitet, besteht hier fast ausschließlich aus ^ilautbus Aluuckulosns und der AoUrova Irsalli, der schönen japanischen Ulme. Schlingpflanzen, hohes Gras, Sumpfstreckcn und zahlreiche Bäche und Flüsse machen den Weg ziemlich beschwerlich. An mehreren großen Aino-Dör- fcrn, Biroka, Saruba und Mina, vorbei gelangte niau am Abend nach Biratori, der größten Niederlassung dieser Ge gend, einem Orte von 300 Einwohnern. Nach der Be kanntschaft mit den abgelegenen Bergdörfern des nördlichen Nipon wurde Miß Bird durch das reinliche Aussehen dieser Wildendörfer auf das Erfreulichste überrascht. Der Bodeu vor den sauberen, an polynesische Wohnstätten erinnernden Rohrhänsern zeigte nirgends die hohen Schmutzhaufen oder ekelhaften Absallgrubcn jener Ortschaften; nichts, als vor jedem Hause ein ausgehöhltes Stück Baumstamm, den Futter trog für die großen, zottigen, hellgelben Ainohunde, den ein zigen Hausthieren der Wilden, die sie zur Jagd benutzen. Jedes dieser Dörfer ist von den „Feldern" der Bewohner umgeben, kleinen, urbar gemachten Flächen, auf denen zwischen hochwucherndem Unkraut Hirse, Tabak und Kürbis gedei hen sollen. Verweigert der Boden dieser kleinen -weder ge düngten noch gereinigten Aecker endlich jeden Ertrag, so wird ein neues Stück des Waldes urbar gemacht. In dem Hause des Häuptlings von Biratori fand Miß Globus XXXIX. Nr. 14. Bird Aufnahme, und, da die Bewohner sich durch ihre An wesenheit nicht aus den: Geleise ihres einförmigen Lebens bringen ließe», auch reichliche Gelegenheit zum Studium ihrer Eigenart und Sitte. Von der siebentägigen, meist zu Pferde zurückgelegten Reise von Hakodate angegriffen, wurde sie durch das rücksichtsvolle, gefällige Wesen dieser sogenann ten „Wilden" sowie durch ihre leise, ungemein sanfte Sprache auf das Wohlthucndste berührt. Mehrere von den ange sehensten Einwohnern des Dorfes sprachen, ebenso wie der Häuptling selber, geläufig Japanisch; mit Hülfe ihres stets als Dolmetscher fungirenden Dieners erhielt Miß Bird durch sie Auskunft über alles Wissenswerthe. Und wenn sie auch den meisten ihrer Mittheilungen die Bitte hinzufügten, nichts davon an die japanische Regierung zu verratheu, „weil ihrem Volke dadurch Schaden geschehen könne," so bürgt der aufrichtige Sinn und die Wahrheitsliebe, die ein Haupt charakteristikum der Ainos sind, ebenso für die Richtigkeit dieser Angaben, wie die vollkommene Uebereinstimmung dcr an verschiedenen Orten und von verschiedenen Personen über den nämlichen Gegenstand erhaltenen Auskünfte. Wir müssen uns hier die Schilderung der einzelnen kleinen Erlebnisse Miß Bird's unter den Ainos versagen, und beschränken uns nur auf eine möglichst ausführliche Wiedergabe ihrer Notizen über das interessante Volk. Die Ainos sind von mittlerer Größe, untersetzt und stark knochig, mit breiter Brust und breiten Schultern, kurzen muskulösen Gliedern und sehr großen Extremitäten. Ihre Hautfarbe, ein bräunliches Gelb, erinnert an die Bewohner des südlichen Italiens und Spaniens; doch ist die Haut meistens dünn und hell genug, um den Wechsel der Farbe auf den Wangen erkennen zu lassen. Die üppige Haar bekleidung des Körpers, die, seitdem Lapörouse zuerst dar über berichtete, so häufig in Frage gestellt worden, ist un zweifelhaft bei vielen Individuen (besonders unter den Küsten- Ainos) vorhanden, und zwar beschränkt sic sich bei ihnen nicht nur auf ungewöhnlich kräftigen Wuchs des Haupt- und Barthaarcs und Behaarung der Arme und Beine und einiger Stellen des Nackens, wie oft behauptet wordeu ist. Bei Lcbunge sah Miß Bird einige nackte Ainos an einem Canoe arbeiten, deren ganzer Körper so dicht behaart war, daß die Haut dadurch vollkommen verdeckt wurde. Am dichtesten war das Haarkleid auf dem Rücken und den Schul tern. In der Regel sind diese schwarzen Leibhaare steif, manchmal fast borstenähnlich; doch erzählt die Reisende auch von einem vollständig behaarten Aino, der sic auf einer Fähre über den Nopkobcts brachte, und dessen Schulterhaar in welligen Locken wie die Ohren eines Jagdhundes ans den Rücken herniedergehangen habe; ebenso sah sie zwei Knaben, bei denen der Rücken mit einem ganz weichen, feinen Pelz bedeckt war, der einem schwarzen Katzenfell täuschend ähn lich sah. Das schwarze weiche Haupthaar, das bei Män nern und Frauen in schweren dicken Massen auf die Schultern herabfällt, ist wie der lange Bart manchmal leicht wellig, nie lockig oder kraus. Die Form des auf kurzem Halse ruhenden Schädels ist auffallend rund, die Backenknochen treten wenig hervor, der untere Theil des Gesichts ist im Vergleich zu dem ober» sehr klein. Die stark vorgebaute Stirn ist ungewöhnlich hoch und breit und macht demnach den freilich trügerischen Eindruck großer intellektueller Be fähigung; die Nase ist gerade, aber kurz und breit; der zicmlich große, wohlgeformte Mund zeigt nur äußerst selten wulstige Lippen. Die starken Augenbrauen bilden eine ge rade Linie fast Uber die ganze Breite des Gesichts; die großen gerade stehenden Augen sind von schöner, brauner Farbe; ihr sanfter, meist träumerischer Blick ist ebenso wie cin freundlicher Zug um den häufig lächelnden Mund und wie 28