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140 Spiridion Gopöevie: Die Ehe in Oberalbanien. Jüngling sein 18. Jahr erreicht hat, denkt gewöhnlich seine Mutter oder verheirathete Schwester (im Nothsall thut es auch eine alte erfahrene Tante) daran, ihm eine passende Frau zu suchen. Wenn sie unter den ihr bekannten Fa milien kein Mädchen findet, das würdig wäre, ihre Schwie gertochter zu werden (was aber schwer glaublich), so hat sie das Recht, in das nächstbeste Haus zu treten, die Frau zu besuchen und zu fragen, ob heirathsfähige Mädchen vor handen. Auf die bejahende Antwort läßt sich die Mutter dieselben vorstellen, und wenn ihr eine davon gefällt, beginnt sie die Hausfrau um ihre Verhältnisse auszufragen. Lauten die Antworten befriedigend, so theilt die Mutter ihrerseits der Hausfrau alles mit, was dazu dienen kann, die guten Eigenschaften ihres Sohnes in das richtige Licht zu setzen und ebenso die Ehre und die Vortheilc, welche eine Hcirath des Mädchens mit ihm böte. Wenn die Hausfrau davon überzeugt ist, folgt sie der Einladung der Mutter, besucht diese, sieht sich durch das vergitterte Harcmfenster den Sohn an, und wenn sie von dem Gehörten und Gesehenen befrie digt ist, giebt man sich gegenseitig das Eheversprechen. Weder Sohn noch Tochter werden dabei gefragt. Da sie sich gegenseitig nicht kennen, ist es ihnen ganz gleichgültig und verlassen sie sich in dieser Beziehung ganz auf den Ge schmack und das Urtheil ihrer respectiven Mütter. - Selbstverständlich darf kein gesetzliches Ehehinderniß be stehen. Solche aber sind: 1. wenn der Bräutigam schon vier rechtmäßige Frauen hat; 2. wenn die Braut vor Zeugen erklärt, daß sie nicht freiwillig die Ehe eingehen wird. Doch hat zu einer solchen Erklärung (die über haupt nur äußerst selten abgegeben wird) bloß eine majo renne Braut Berechtigung. Eine minorenne hat keinen Willen; 3. wenn eine dec vier oben angeführten Be stimmungen des „Scherijat" nicht vorhanden; 4. wenn es bekannt ist, daß Braut oder Bräutigam wahnsinnig, hin fällig (resp. impotent) oder mit einer ansteckenden Krank heit behaftet ist; 8. wenn die zu Verheirathenden Ver wandte sind. Bezüglich des letztem Punktes hat man jedoch in Al banien ganz eigene Ansichten. Die beide» Familien dür fen seit Menschengedenken nicht mit einander verwandt ge wesen sein. Die Verwandten selbst der Amme sind von der Ehe in der betreffenden Familie ausgeschlossen. Auf dem Laude uud in den Bergen heirathen die Mitglieder mancher Stämme oder Barjaks niemals unter sich, weil sie behaupten von gemeinsamen Vorfahren abzustammcn. In den Städ ten dürfen die beiderseitigen Familien niemals mitsammen verschwägert gewesen sein, wobei auch die Verwandten der cingeheiratheten Weiber mit einbezogen sind. Wenn ein Mohammedaner mehrere Frauen nimmt, so dürfen dies niemals Schwestern sein, noch Nichten einer seiner Frauen oder auch Verwandte von Weibern, mit denen er illegitime Verhältnisse unterhalten hat. Also auch niemals Ver wandte seiner Odalisken, Kabinen und als Konkubinen be nutzten Sklavinnen. Ist alles in der Ordnung, so wird der Vermählungstag bestimmt und die Ehe vor dem Kadi abgeschlossen. Er befragt das Brautpaar um seine Zustimmung und fleht dann den Segen des Himmels auf dasselbe herab. Es ist auch ge staltet psr procura zu heirathen: nur muß in diesem Falle der abwesende Theil durch zwei Zeugen vertreten sein (selbstverständlich mohammedanische), und wenn er minder jährig, durch seinen Vormund. Als solcher gelten der Vater, Bruder oder Onkel für den Mann, der Herr für den Sklaven, die Mutter für das Mädchen. Doch verdient bemerkt zu werden, daß bloß bei dieser Gelegenheit die Mutter als Vormund gilt; sonst kann sie niemals diese Stelle bekleiden. Nachdem der Kadi sein Gebet hcrabgeleiert, wird der Ehekontrakt unterzeichnet. In demselben ist die Summe festgesetzt, welche der Bräutigam für seine Frau zahlt, sowie die Mitgift, welche letztere mitbekommt; diese besteht jedoch lediglich in einer Ausstattung, d. i. Kleidern, Wäsche, Schmuck, selten Geräthschaften. Nachdem der Kontrakt unterfertigt, drücken sowohl der Kadi wie auch die Beistände und Vormünder ihre Siegel bei und die Ehe ist gesetzlich vollzogen. Der Bräutigam hat das Recht, seine Frau von diesem Augenblicke an zu sich zu nehmen, sobald es ihm beliebt. Sollte ihn die Ehe jetzt gereuen, so steht es ihm frei, sich von ihr sogleich wieder scheiden zu lassen, bevor sie sein Haus betreten; in diesem Falle hat er ihr bloß die Hälfte der stipulirten Summe zu zahlen. Jedoch kommt derlei selten vor, da ein solcher Fall unzweifelhaft die Blutrache Seitens der Verwandten der Verschmähten nach sich ziehen würde. Der Hochzeitszug, welcher die Braut in die Wohnung ihres jungen Gatten geleitet, ist gewöhnlich (besonders bei Reichen) imposant. Die Gäste, deren oft bis zn mehreren Hundert eingeladen werden, sind sämmtlich in ihren prächtig sten Kostümen erschienen. Da wird das Auge von dem Glanze der blitzenden Waffen, der mit funkelndem Golde besetzten bunten Gewänder förmlich geblendet. Sämmtlich sind die Geladenen auf ihren besten prachtvoll anfgezäumten Pferden erschienen und tummeln sich jetzt vor dem Hause. Ein weißer Zelter mit kostbarem Geschirr ist dazu bestimmt, die Braut zu tragen. Diese wird dicht verschleiert in den Sattel gehoben, die Musikanten beginnen einen ohrenzer reißenden Lärm, die Reiter stoßen übermüthige Rufe aus und bemühen sich, ihre Reiterkunststücke zu zeigen, und der ganze Zug setzt sich in Bewegung. Ans jedem freien Platze wird Halt gemacht und der Braut zu Ehren das Dscherid- Spiel aufgeführt. Während des Marsches bilden die Freunde des Bräutigams den Bortrab, jene der Braut den Nachtrab. In der Mitte befindet sich die junge Frau, im Sattel durch zwei ihrer Verwandten festgehalten. Ein Diener führt den Zelter. Hinter diesem marschiren die dudelnden Musi kanten und die „Sänger", mit gräulichen Stimmen um die Wette brüllend. Entsetzt fliehen alle Passanten und drücken sich scheu an die Häuser, um nicht niedergeritten zu werden. Bor der Wohnung des Bräutigams angekommcn, wird die Braut sorgfältig vom Pferde gehoben und von den Wei bern in das Brautgemach geführt. Von den Gesängen, welche während des ganzen Zuges gesungen werden, hat v. Hahn eine Uebersetzung gegeben, welche ich mir hier zu citiren erlaube. Wenn die Braut abgeholt wird, singen die Verwandten: „Möge Dein Weg glücklich sein, Aeltester dcr Geladenen! Wende Dich rechts; wenn Du eine schöne Gattin bringst, mögen Dir Süßigkeiten und das Backwerk, welches man Dir darbicten wird, Deinem Herzen süß sein. Bringst Du jedoch eine häßliche und ungestaltete Frau, so seien Dir die Süßigkeiten bitter." Unterwegs, wenn schon die Braut geführt wird, singt man: „Die Gattin ist unterwegs; sie ist eine sich öffnende Nelke. Die Gattin steht vor dem Thore; sic ist eine duf tende Nelke. Die Gattin ist im Hofe; sie ist eine aufge- blühte Rose. Die Gattin ist auf der Stiege; ihre Stirn ist weiß wie Jasmin. Die Gattin ist schon im Saale; ihr Hals ist geneigt wie eine Lilie. Vergieße keine Thränen, o Gattin! — O ich habe schon genug gemeint, mein Gatte, denn ich mußte meinen Vater verlassen und werde niemals zu ihm zurückkchren!" Wenn sodann die Begleiter der Braut sich zurückziehcn,