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Einige Sitten und Gebräuche der Kirghizen im Gebiete Semipalatinsk. 109 Ein Gesichtspunkt ist indessen beachtenswerth, auf welchen im Zusammenhang mit dieser Frage in der Januar-Num mer 1879 des „Builder" hingewiesen worden war, näm lich die Unmöglichkeit bei den immer inniger werdenden Verkehrsbeziehungeu der Völker, bei so großen Lohnunter- Leben des gewöhnlichen Arbeiters. Das kommende Ge schlecht wird sich vor die Frage gestellt sehen, auf welche Weise es Hände für seine Arbeit findet (?). Hier ist es, wo die Chinesen außerordentlich gelegen kommen werden, um eine Lücke auszufüllen." Praktische Bedeutung haben derartige Meinungsäußerun gen nicht, ganz abgesehen davon, daß sie auf falschen Vor aussetzungen beruhen und darum zu anwendbaren Grundsätzen nicht zu führen vermögen. Sie sind wohl auch gar nicht so recht ernstlich gemeint, sondern entfließen offenbar großen- theils dem Bedürfniß nach sensationeller Behandlung der Tagesfragen. Diese Schriftsteller würden es selber nicht wünschen, daß man ihre Ansichten mit dem Prüfstein der Erfahrung in Berührung brächte; ihre Aeußerungen sollen gelesen, aber nicht allzu ernst genommen werdens. 0 Auch die Versuche, japanesische Arbeiter für den eng lischen Markt, vorzüglich im Bvuhandwerk, zu empfehlen, welche unter anderen Anfangs 1878 durch den mit Japans Arbeiter bevölkerung wohl vertrauten Civilingenieur Brunton in meh reren Briesen an die „Times" gemacht wurden, welche damals Aufsehen erregten, hatten gar keine praktische Folge. Selbst die Diskussion dieser Vorschläge verlief in Möglichkeiten und Ausblicken. Dagegen wurden Versuche mit japanesischen Zim merleuten, welche vortrefflich arbeiten sollen, in Südamerika mit Erfolg angestellt. schieden, wie sie thatsächlich z. B. zwischen englischen und chinesischen Arbeitern bestehen, eine industrielle Wettbewer bung auf die Dauer aufrecht zu erhalten. Da auf jener Seite die Löhne kaum so erheblich erhöht werden können, um den europäischen Sätzen gleichzukommen, scheint es aller dings nach dem Gesetze von Angebot und Nachfrage ganz unvermeidlich, daß auf dieser eine Erniedrigung Platz grei fen muß, sobald die chinesische Arbeit in ihrer Leistungs fähigkeit hinsichtlich der Beschaffenheit und Güte der Waaren solche Fortschritte gemacht hat, daß sie mit der der west lichen Völker in eine wirksame Wettbewerbung zu treten ver mag. Sie hat in Californicn und anderwärts gezeigt, daß sie dazu im Stande ist. Eine diese Wettbewerbung zurück drängende Gesetzgebung nach Art der Erschwerung der chi nesischen Einwanderung ist nicht denkbar, und wir werden diese „Wirkung in die Ferne" vielleicht schon in Kurzem sich geltend machen sehen. Einige Sitten und Gebräuche der Kirghizen im Gebiete Semipalatinsk. ii. Die Pflege der Wöchnerin. Sobald bei einer Frau die Wehen ihren Anfang nehmen, so versammeln sich alle anderen Frauen des Auls bei ihr, um ihr behülflich zu sein. Kurz vordem die Geburt er folgen soll, giebt man der Frau ein an die Wand der Jurte befestigtes starkes Band in die Hand, damit sie sich daran halten kann. Im Moment der Geburt kniet die Frau nieder, zwei Weiber unterstützen sie; eine dritte umfaßt sie von hinten, stemmt das eine Knie in das Kreuz und drückt ihr mit beiden Händen auf den Leib. Ist die Geburt beendet, so wird der Leib mit Binden gewickelt und die Frau wird auf ein Lager gebracht, auf welchem sie halb lieg end, von Kissen umgeben ruht; auf besonder» Wunsch wird es ihr auch gestattet sich zu legen. Ist das alles geschehen, so wird über die Frau weg ein Strick gezogen und daran werden einige geistliche Bücher angehängt, um den Teufel („sollni- tau")H abzuhalten. Die anderen Frauen bleiben die ganze Nacht bei der Wöchnerin in der Jurte; sie zünden Kerzen oder eine Nacht lampe an und achten darauf, daß auf dem Herde das Feuer nicht verlösche — sonst kommt der Teufel und es geschieht ein Unglück. Unmittelbar nach der Niederkunft wird ein Schafbock geschlachtet, das rechte Hinterviertel, die Leber, der Fett schwanz, das Rückgrat und der Hals werden in einen Kessel gethan und gekocht; das übrige Fleisch wird roh aufgehoben und im Verlauf der drei auf die Niederkunft folgenden Tage verbrannt. Ist das angesetzte Fleisch gar, so werden die Nachbaren si Satan herbeigerufen, um ihnen die Geburt des Kindes zu melden; das gekochte Fleisch wird an die anwesenden Frauen vertheilt — den Hals bekommt diejenige Frau, welche das Kind ent gegen nahm. Der auf die Niederkunft folgende Tag gilt als ein be sonders glücklicher und wird in Heiterkeit verbracht, die ver sammelten Frauen werden bewirthet, so gut man kann. Nach drei Tagen erhebt sich die Wöchnerin vom Lager, wenn ihre Kräfte es erlauben, und geht — im Winter — in die Badstube (d. h. in xine dazu dienende Jurte); im Sommer wäscht sie sich in der Jurte mit einem Aufguß von Heidekraut. Die Wöchnerin trinkt unmittelbar, nachdem sie das Bad genommen, „Surpa", d-h- eine aus Schaffleisch bereitete, stark mit Zimmt bestreute Bouillon, welche auch sonst vor züglich zur Nahrung der Wöchnerin dient. Jetzt werden die über dem Lager hängenden geistlichen Bücher entfernt, die Wöchnerin gilt schon als rein; sic darf nun wieder dem Manne das Essen reichen, was ihr in den ersten Tagen nach der Niederkunft nicht gestattet war. Geht die Geburt nicht leicht von Statten, giebt es Hinder nisse, so werden zuerst alle Weiber aus der Jurte der Ge bärenden verjagt, weil man annimmt, daß unter ihnen ein Weib böse und vom „Schaitan" besessen sei. In der Jurte versammeln sich aber die Männer, und um die Jurte herum stellen sich alle übrigen Einwohner des Auls auf. Man schreit, lärmt, schießt, schlägt mit Peitschen um sich, ja mit unter schlägt man — jedoch nur zum Schein — auf die Wöchnerin. Nun ruft man einen „Dargon", d. h. einen mit der Wirkung der Arznei vertrauten Mann, also eine