Volltext Seite (XML)
Erzgebirgifcher DoMsfrr««-. N». 1V1. 2S. April Ist«. Mane spart «ne lenyre prraeinve anruy« m ryrem Blute. Zwischen rosa Nelken hindurch sieht sie zwei scharse dunkle Augen, die jede ihrer Bewegungen versolgen. „ES ist lächerlich!* denkt sie mit dem, versuche, die fremden, haftenden Blicke von sich abzuschütteln. .Ich habe diesen Menschen schon einmal gesehen —* weiß sie gleich darauf. Sie fängt an zu grübeln, verwirrt und aufgeschreckt — die schattenhafte Erinnerung eineS Hausflurs taucht in ihr auf — sie selbst wie eine Gehetzte die Treppenstufen hinaufellend, beladen mit einem Karton, der die Kleider des Mörders — nein, sie will eS nicht denken. PeterkaS Hand liegt plötzlich wieder auf ihrem Arm. .Was ist Ihnen, Liane? Hat Sie irgend etwas erschreckt?* .Nein — nichts! Nein — danke!* antwortet sie ganz sinnlos. Und gleich darauf wie ein verängstigtes Kind: .Ich wöchte fort von hier. Es ist so schwül hier, und diese Musik. Ich kann diese Musik nicht recht vertragen.* Eine Minute später hat Peterka den Kellner herbei- gewinkt. Fünf Minuten später legt er draußen in der Garderobe das abgeschabte Mäntelchen um Lianes Schultern. Ein untersetzter, breitschultriger Herr erscheint in der Garderobentür, als Liane und Peterka eben die Stufen zum Ausgange hinuntersteigen. »Wir wollen noch ein wenig ins Freie fahren*, sagt Liane. Liane hat vorsichtig durch da- Htnterfenster gespäht und sich davon überzeugt, daß kein Wagen ihnen gefolgt ist. Vielleicht ist diese Verfolgung, vor der sie sich fürchtet, nichts als eine Ausgeburt ihrer Phantasie? Das nervöse Zittern in ihren Kniegelenken läßt allmählich nach. Nein, es ist noch immer kein Wagen zu sehen. „Ins Freie? Wollen wir nach Potsdam, Liane?* .Gut — nach Potsdam.* Der Nachthimmel ist schwarz und sternenklar; die Bäume am Wege strudeln rauhreifglitzernd ins Schein werferlicht: dann ist Wald da, niedrige Böschung und Pappelgebüsch. Liane lehnt an der Schulter des Mannes, als müßte sie dort Schutz suchen. Peterka fühlt ihre Pulse stürmisch pochen und dann ruhiger werden. Liane hat den Hut abgenommen; aus ihrem Haar steigt ein Duft wie von wilden Kamillen. Es ist Sommer und Sonne in diesem Duft. .Liane!* Sie erschrickt vor dem halberstickten Klang ihres Namens. Sie weicht erschrocken zurück, preßt sich hart an das Fenster .Es ist schon zu spqt. Eine-Hand-ist da, Um sie zre greifen. Ein Mund ist auf . ihrem Muüde. .Ich will nicht', denkt Liane und spannt ihre Muskeln in zorniger Abwehr. .Stoß mich nicht zurück!* flüstert der Mann. .Ich will nichts Böses, Liane! Habe Mitleid mit mir!* Es ist noch immer die halberstickte Stimme, sie Hingt rauh und zerbrochen. „Ich will nicht!' sagt Liane leise und seindselig, und der Mann hört ihre Zähne wie in Entsetzen aufeinander klirren. Plötzlich läßt er von ihr ab. .Du sollst dich nicht vor mir fürchten', sagt er in verändertem Tone, der ihn wieder ganz fremd macht. „Ich will dich nicht mit Geld kaufen.* Ihre Zähne schlagen noch immer aufeinander wie im Schüttelfrost. „Oh — das Geld!' würgt sie mühselig hervor und beginnt mit kalten, bebenden Fingern in ihrem Hand- täschchen zu wühlen. Seine Hand ist auf einmal wieder da und legt sich fest und gebieterisch auf ihre Hände. „Laß Vas! Du hast ein Opfer bringen wollen. Ich weiß es jetzt.' Der Schüttelfrost hört auf. Liane schließt die Augen und lehnt still und erschöpft in einer Ecke. „Wem hast du das Opfer bringen wollen, Liane? Ist — ein Mann im Spiele?" Es ist dunkel im Wagen; er kann den Ausdruck ihrer Züge nicht erkennen. „Nein — es ist kein Mann*, antwortet sie nach einer langen Pause. „Es ist — ich erzählte dir von einer Tante, die in Lübeck lebt. Sie ist die einzige Schwester meiner „Ich hoffe doch, daß Sie keine Spielverderberin sind, Fränletn Deventer." Sie senkt den Kopf, dünne, flackernde Röte auf den Wangen. „Ich möchte nicht mehr trinken!* sagt sie leise. „Bitte, erlassen Sie mlr's!" „Es ist gegen die Abmachung, Fräulein Liane! Wenn Sie nicht trinken, behalten Sie Ihre ernsten Augen. Ich möchte Sie so gern lustig sehen,* „Sie wollen mich betäuben, Herr Peterka. Wenn ich lustig würde, würde ich darum doch nicht sroh.* „Ich weiß auch ein Mittel, Sie sroh zu machen." Liane steht plötzlich unter den rosa Nelken ein schmales, in Seidenpapier gewickeltes Päckchen aus sich zukriechen. Das Päckchen wird in der Mitte von einer schmalen Gummi- schnür zusammengehalten, und Liane wird sehr blaß, während sie es ergreift. „Es ist der Rest", murmelt Peterka. .Ich versprach es Ihnen heute morgen.* Liane zittert am ganzen Körper. Sie starrt ungläubig in das kantige, graue Gesicht, das jetzt wieder von versteckter Güte durchschimmert erscheint. „Ich — es ist — zuviel, Herr Peterka.* .Es ist die Summe, die Sie benötigen — nicht mehr. Um Gottes willen, was haben Sie denn, Fräulein Deventer?" Lianes Augen schwimmen in Tränen. Es ist die Reaktion auf die Spannung der letzten vierundzwanzig Stunden, es ist der Gedanke au Wellenkamp, es ist vielleicht auch nur die Müdigkeit. „Verzeihen Sie mir, Herr Peterka. Es ist soviel. Ich — bin Ihnen so dankbar. Ich werde niemals aufhören, Ihnen dankbar zu sein." Peterka lacht. „Das ist Unsinn, Fräulein Deventer! Das sind Sentimentalitäten, mit denen moderne Menschen sich nicht abgeben sollten." „Dann bin ich vielleicht* kein moderner Mensch", antwortet Liane still. Er streichelt ihren Arm. Seine Augen sind wieder lauernd. „Wer weiß, Liane. Vielleicht ein ganz moderner. Vielleicht einer, der im geheimen über den dummen Peterka lächelt." - „Ich lächle nicht." „Nein — Sie zucken vielleicht die Achseln.* Sie preßt die Lippen fest zusammen und sieht aus, als erlitte sie einen Schmerz. „Ich weiß nicht, warum Sie sich Mühe geben, mich zu beleidigen, Herr Peterka*, entgegnet sie tonlos und In Abwehr. „Ich bin Ihnen gegenüber wehrlos, aber ich kann mir nicht denken, daß Sie zu den Menschen gehören, die sich die Wehrlosigkeit anderer zunutze machen." Peterka hat sie noch vor drei Minuten für achtzehn oder neunzehn gehalten. Jetzt erscheint sie auf einmal um vieles älter. „Sie sind sehr klug, Liane. Sie verstehen, mich glauben zu machen, daß Sie irgendwelche Sympathien für mich empfänden. Sir bemühen sich, meine eigene fingierte Tugendhaftigkeit als Schild vor sich hinzustellen.* „Ich habe niemals daran gedacht, daß ich eines Schildes für mich bedürfte." Liane Hai ein mattes Lächeln. Nach diesen Worten steht Schweigen zwischen ihnen. Wieder sind die Wände wie sanfte, gelbleuchtende Wogen, die in einem Augenblicke schaukelnd näher kommen, um im nächsten ins Uferlose zurückzuweichen. Zwischen diesen Wogen taucht am Eingang des Lokals ein untersetzter breitschultriger Herr auf, wechselt ein paar Worte mit einem Kellner und stelzt dann langsam zwischen den Tischen dahin. Der Herr ist ohne Begleitung; er hat einen unangenehm scharfen Polizeiblick, der Liane bekannt Vorkommen will. Unwillkürlich erweckt der Herr ihre Aufmerksamkeit. Sie beobachtet ihn und stellt fest, daß er bei der Wahl seines Platzes lange zu keinem festen Entschlusse kommen kann. Er zaudert hier und da, und wählt schließlich einen Tisch, der dem Lianes und Peterkas benachbart ist. Er setzt sich Liane gegenüber und schiebt den Nelkenstrauß so, daß sein Gesicht gerade verdeckt ist. „Dars ich heute wieder die Hintertreppe benutzen, Fräulein Gildemeister?" fragt Liane, während sie vor dem schmalen Empirespiegel den Hut aussetzt und die Knöpfe des Mantels schließt. „Doktor Rosenthal hat mir erlaubt, früher fortzugehen Ich mache dafür Freitag und Sonn abend Überstunden* „Selbstverständlich, Fräulein Deventer." Die Antwort klingt freundlich. Fräulein Gildemeister, schwarzhaarig und üppig, einen Kneifer vor den strengen Augen, ist mit dem Ordnen der Dielenschränke beschäftigt. „Belästigt dieser hartnäckige Verehrer Sie noch immer?* „ES scheint so*, sagt Liane und huscht noch einmal ins leere Wartezimmer zurück, um einen raschen Blick aus die Straße zu werfen. Drüben vor dem Schaufenster der Buchhandlung steht ein untersetzter breitschultriger Mann im grauen Ulster. Er hat vor einer Stunde in genau derselben Haltung dort gestanden, Wenn er seinen Blick jetzt von den Büchern losreißt, wird er wahrscheinlich gemächlich über die Straße pendeln und eine weitere halbe Stunde vor dem Blumenladen neben Doktor Rosenthals Haustür verweilen. Liane huscht rasch und geräuschlos die Hintertreppe hinunter. Die Treppe führt in einen schmalen lichtlosen Hof, von dem aus es einen Durchgang in eine andere Straße gibt. Man tritt zwischen den spiegelnden Glastüren eines Teeimports und eines Konfitürengeschästes in eine neue Welt hinaus, steht plötzlich mitten im strudelnden Geschäftsleben der City. Liane wirft vorsichtige Blicke hinter sich. Der Verfolger ist nicht mehr da. Er-hat ihre Spur verloren; wahrscheinlich steht er in diesem Augenblick noch andächtig vor dem Schaufenster mit den Leuchtkakteen. In einer Stunde wird Liane auf dem gleichen Wege in Doktor Rosenthals Wohnung zurückkehren, Fräulein Gildemeister die Geschrchte von einem vergessenen Regenschirm erzählen und das Haus durch die Vordertür verlassen. Liane steigt ohne Gewissensbisse die Treppe zum Bahnhof Friedrichstraße hinauf und fährt bis zum - Savignvplatz. * " Sie legt den Weg bis zur Pestalozzistraße mit beflügelten Schritten zurück. Es ist heute Donnerstag, und sie hat Eile. Übermorgen früh wird Wellenkamp außer Gefahr sein. Sie denkt es ganz ruhig, während ihr Herz auf eine sonderbar schwebende und körperlose Weise zu schlagen beginnt. Da ist schon die Pestalozzistraße. Das Schild mit dem Namen „Carlo Griesinger" leuchtet. Liane steht sich noch einmal um, ehe sie das Haus betritt. Nichts Verdächtiges ist zu sehen. Die Treppe erscheint noch trübseliger und schmutziger als bei den beiden ersten Malen. „Na — da wären wir ja", sagt Carlo Griesinger, der Liane die Tür öffnet. Carlo Griesinger ist im Schlafrock, er sieht erkältet aus und spricht heiser. „Ich habe Sie noch nicht erwartet. Ich fürchtete eigentlich, daß Sie mir durchbrennen würden. Kommen Sie nur rein, Fräulein." Er führt sie wieder 1n das große Zimmer mit dem verschlissenen Empiresofa. Eine Lampe brennt unter fleckigem, rotem Seidenschirm. „Haben Sie den Paß?" fragt Liane leise. Der Mann lächelt auf seine höhnische und un sympathische Weise. „Immer mit der Ruhe, Fräulein. Der Paß ist fertig. Carlo Griesinger hält, was er verspricht." „Dass ich ihn sehen?" fragt Liane. Seine flinken, mißtrauischen Augen wandern über ihr Gesicht, gleiten rasch über ihre ganze Erscheinung, als wollte er sie sich noch einmal einprägen. Fortsetzung folgt. Vie bricht ab. „Ich sollte nicht lügen!* denkt es klar und deutlich in ihr. „Ich sollte ihn jetzt nicht belügen!" ° die einzige Schwester deiner Mutter?* Rein — es gibt kein Zurück mehr! „Ich kam neulich au- Lübeck. Meine Verwandten sind in Rot. Es handelt sich da um eine Hypothek." Der Wagen fährt jetzt langsamer. Vom Funkturm her jvandern Lichtbündel über das Land. Mit einem Male ist da- Innere des Wagen- ganz hell. Peterka siebt Liane- Weiße- Gesicht mit einem unsäglich hochmütigen, unsäglich verlockenden Munde. „Verzeih mir!" flüstert er rauh und beugt sich auf ihr« Hand nieder, die noch den Bügel des Täschchens umklammert hält „Ich habe dir heute unrecht getan. Ich habe — mein Gott — er hat in meinem Leben niemals eine Frau gegeben, die dir ähnlich gewesen wäre. Ich glaube dir, Liane — ich glaube dir." Verlag : L. W. Gärtner, Aue. 2. Beiblatt. In Lrpreööerksnä 12. korteetruo g Noweu» voo Q. voo vrockelortt mE Kp». ME Ap». ME 54-p». ME VvwIÜ - »In» blaln» prlr» „>V»b»r's" g»nügt jo, um aaek bWg»r»m Kais»» obg»rune>«f»n Sssebrnoeie an«> «U» gl»kk» küU» an-i korb» so g»b»n, wi» b»1n> aU»rb»sst»n. IVM „W»b»r's" 1rinb»n 81» »ban 1n»n»r »M»n k»«»r»n Kais»» als 81» s»baas» kob»n. Vchp-L I Vsptt. MkMME vier tvqföee «nrt nur //r