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174 und war voll Begeisterung und stürmischer Sehnsucht, für die Sache Gottes zu arbeiten, zu leiden, zu entbehren. Wenn ich seinerzeit in meiner kleinen, stillen Zelle an die Zeit dachte, wo auch ich würde hinausgehen können, um das erhabene, heilige Wort Gottes zu predigen, allen zu ver kündigen die frohe Botschaft des Evangeliums, da fühlte ich einen Geist über mich kommen, in dessen Kraft mir das ganze strenge Klosterleben, alle Entbehrungen, alle Opfer, ja selbst das Martyrium für Gott und sein heilig Wort, als das schönste, als das einzig großartige erschienen. „O, Gott!“ sagte ich oft, „ich will treu in deinem Dienst arbeiten, was meine Kräfte vermögen, arbeiten so lange, bis ich müde und erschöpft niederfalle und dann zu dir komme, zu dir, lieber Vater!“ Ich küßte oft mit Andacht das Ordenskleid, das ich trug; ich war stolz darauf, daß ich dieses Kleid tragen durfte; ich wollte es rein und unbefleckt erhalten, bis man mich darin begraben würde. Und dennoch verließ ich meinen Stand und zog das Ordenskleid aus. Warum? Ich habe es nicht in frivoler Absicht getan. Es war auch nicht der Ent schluß eines Augenblickes, sondern es kam alles nach und nach, es reifte in mir alles, wie die goldene Saat auf dem Acker, bis endlich die Zeit kam, wo diese Saat gemäht und von dem Acker weggeschafft werden mußte. Mein Gesichts kreis erweiterte sich immer mehr, meine Erkenntnis wuchs immer mehr, meine Erfahrungen wurden immer reicher, und ich trug fast täglich eine neue Idee, einen neuen Gedanken, eine neue Hoffnung zu Grabe. Zuerst war dies der Fall bezüglich des Klosterlebens selbst. Da lernte ich vor allem meine eigenen Klosterbrüder kennen, dann die Mönche andrer Orden, die Art und Weise, wie sie die Ordensgelübde halten, wie sie die Gebete ver richten, wie sie überhaupt das Leben eines gottgeweihten Mönches führen, wie sie sich vor den Menschen zeigen und wie sie sind, wenn sie niemand sieht; und als ich das immer deutlicher einsah und erkannte, da kam eine Ent täuschung nach der andern. Mir wurde immer unheimlicher zu Mute. Ich schaute mit Besorgnis um mich und in die Zukunft.