124 Ich habe Tausende und Abertausende beichtgehört; Leute aus allen Ständen und aus jedem Berufe, von kleinen achtjährigen Kindern an bis zum höchsten Greisenalter, Gelehrte und Un gelehrte, Reiche und Arme, Mönche, Geistliche, Nonnen und Weltleute, ich habe Gesunde, Kranke und Sterbende beicht gehört, Gläubige, sehr brave und fromme, sowie ungläubige und schlimme, welche nur zur Beichte kamen, um mir zu sagen, wie sehr sie alles hassen und verhöhnen, was Glaube und Christentum heißt. Mit einem Worte, es gibt wohl weniges im menschlichen Leben, Offenes und Verborgenes, womit ich im Beichtstuhl nicht zu tun gehabt hätte. O, wie beglückend ist doch die Arbeit für die Ehre Gottes und für das Wohl der Mitmenschen! Etwas aus dem Tagebuch des Pater Leonardus. Bevor ich mit der Erzählung meiner Erlebnisse fort fahre, möchte ich noch meines Tagebuches Erwähnung tun. Die Führung eines Tagebuches ohne Erlaubnis und Kontrolle der Vorgesetzten ist einem Kloster-Geistlichen verboten. Wenn ich trotzdem gegen dieses Verbot absichtlich verstoßen habe, so geschah es, weil ich in der Führung eines Tagebuches nichts Unrechtes erblickte, sondern glaubte, gerade durch das Tagebuch ein Mittel zu finden, um dereinst meine mir gestellten Aufgaben in jeder Hinsicht besser er füllen zu können. Zunächst vertraute ich meinem Tage buch die Erinnerungen aus meiner Vergangenheit an, damit dieselben im Laufe der Zeit nicht mehr und mehr verdunkelt würden. Besonders werden auch die mit dem Klosterleben unlösbar verbundenen Gespenstergeschichten den Leser interessieren. Ich gebe daher einiges aus meinen Tagebuchaufzeichnungen nachstehend wieder: Ich war Pförtner des Noviziates. Meine Zelle befand sich unmittelbar bei der Noviziatstüre. Eines Abends legte ich mich zur gewöhnlichen Stunde zum Schlafen nieder. Plötzlich höre ich ein leises Jammern, ein bittres Schluchzen; ich wache auf und mache geschwind Licht.