Enthält: zahlreiche Anstreichungen und Anmerkungen Karl Mays im Text und auf dem fliegendem Nachsatz, auf Titelseite neben Verfasser handschriftlich von May mit Tinte: "(Hessen)"
79 änderten Situation die Figuren von Neuem in Spannung, den Zuschauer in's Ungewisse bringen. Hier fordern sie beide mal den sofortigen Entschluß der Königin heraus, und der verblüffte Hörer wird buchstäblich erst mit dem letzten Wort und einem innerlichen: „Wie schade, daß es schon aus ist!" entlassen. Scribe hat es verstanden, bis zum Fallen des Vor hanges das zu beherrschen, was der dramatische Stümper nie oder nur ganz vorübergehend erlangt: die athemlose Auf merksamkeit seines Publikums. Ich weiß sehr wohl, daß den schwerblütigen und gemüths- tiefen Deutschen der Glaube nicht recht anmuthet, daß gerade die größten Ereignisse durch die nichtigsten Kleinigkeiten herbei geführt würden. Die Idee des Dichters, sosehr sie dem fran zösischen Naturell gemäß ist, welches dazu neigt, die Konflikte des Lebens nicht mit dem Gewissen, sondern mit dem Verstand aufzufassen, um sich dann mit behendester Einbildungskraft und spielendem Witz darüber lustig zu machen, diese Idee gebe ich deshalb preis und wünsche garnicht, daß gerade sie von den Unsern aufgegriffen würde. Je ähnlicher dem Vorbilde Scribes, desto undeutscher dürfte ein solches Machwerk nur ausfallen. Ich gebe ferner preis die Wahrscheinlichkeit vieler Verwickelungen, vieles Kommen und Gehen, an das uns der Dichter glauben machen will und ganze Generationen thatsächlich glauben ge macht hat. Die alte Regel, im Lustspiel käme Alles darauf an, daß im letzten Akt Jeder hinter der richtigen Thür stecke, gilt uns Heutigen nicht mehr, die wir nicht sowol an höheres, als vielmehr an ein andres Maß von Lebenswahrheit gewöhnt wurden, und, wenn auch der bekannten „vierten Wand" auf der Bühne glücklich entgangen, so doch auf dem besten Wege sind, schon die bloße Anhäufung von Lustigkeit in irgend einem Stück als unwahr an sich zu bezweifeln, dagegen das Langweilige und Platte, weil in der Alltäglichkeit so sehr verbreitet, auch auf der Bühne als lebenswahr zu dulden.