Enthält: zahlreiche Anstreichungen und Anmerkungen Karl Mays im Text und auf dem fliegendem Nachsatz, auf Titelseite neben Verfasser handschriftlich von May mit Tinte: "(Hessen)"
19 Dieses wendet sich mit aller Entschiedenheit auch gegen die Vertreter des sogenannten „Buchdramas", diese heimlichen Sünder, die den für die Bühne erforderlichen Wirklichkcitsinn weder aufbietcn können noch wollen ; die ohne jede Rücksicht auf die Bedürfnisse von Theater und Publikum ihre fruchtlosen Phantasien vor sich hinzulallen nicht aufhörcn; die durch ihr böses Beispiel dem Anfänger die Verpflichtung fernrücken, der wirklichen Künstlerschaft nachzustreben, und, ohne daß sie der deutschen Literatur schon irgend einen erheblichen Gewinn ver schafft hätten, so viel zur Verlotterung der Technik beigctragen haben. Als Heinrich v. Kleist in seiner „Penthesilea" ein Stück verfaßt hatte, das so gewaltsam über die Möglichkeiten der Bühne hinausgriff, rief ihm Goethe im Hinblick auf Bretter und Lampen die energischen Worte zu: Udockus, llio salta!^ Kleist machte sich diesen derben Wink zunutze, und es entspricht nur derselben Gedankenrichtung, wenn Benjamin Disrasli allen Gefühlsaufwand, der nicht der Erreichung eines unmittelbaren Zweckes gilt, krankhaft und weinerlich nennt. Das heißt also: schreibst du ein Stück, so schreib es für die Bühne. Hast du dir aber von den Anforderungen der Bühne keinen genauen Begriff gemacht, bevor du zu schreiben anfingst, so behellige nachher nicht die Theater. Ob Jemand sich sein Publikum erziehen, ihm eine be stimmte Sinnesrichtung aufzwingen kann, ob das Publikum überhaupt sich zum Objekt für bewußte reformatorische Versuche eignet, das soll uns noch beschäftigen. Die ungeheure sittliche und künstlerische Kraft, die ein solcher Versuch voraussetzt, wird jedenfalls ganz außerordentlich selten sein. Für den Anfänger ist es darum von viel größerer Wichtigkeit, seine Zuhörer in ihrer gewährenden Eigenschaft zu betrachten, als die Be hörde, von deren Urtheil, von deren Wohlwollen seine Zukunft abhängt. Da muß er sich denn zunächst klar werden, daß wir ein Publikum im französischen Sinne so wenig haben, wie wir