Enthält: zahlreiche Anstreichungen und Anmerkungen Karl Mays im Text und auf dem fliegendem Nachsatz, auf Titelseite neben Verfasser handschriftlich von May mit Tinte: "(Hessen)"
— 279 — Gott ist übermächtig. Er ist uns nur dunkel erkennbar, großentheils unerforschlich. Gott ist gütig. Die Erde, die er uns schenkte, ist voll wunderbarer Schönheit. Die faktische Möglichkeit des Glückes für die Menschen ist gegeben. Sie könnten auf Erden Herr liches erringen und genießen bei größerer Demuth vor dem Höchsten, größerer Güte gegen ihre Mitmenschen, größerer Herr schaft über ihre Leidenschaften, befsrer Einsicht in ihre Schwächen. Nicht allen Guten geht cs wohl auf Erden, aber jeder Bube muß zittern. Die rächende Vorsehung verfährt ver- ^örgen, doch sicher. „Die holdeste Frucht dieser Erde ist eine edle Seele in Mann oder Weib." Das Böse ist aus der Welt nicht zu schaffen. Aber wenn das Zusammenhalten junger Leute, die herrliche Lebhaftigkeit, Beherztheit und das muthige Verständniß blühender Jungfrauen, die Hingebung zwischen Mann und Weib, wenn Reinheit, Seelenadel, Treue, Sanftmuth, Aufopferung wirklich sind, „welch ein armseliger und seichter Streich unsres Herzens ist dann der Cynismus!"*) Dem Leiden der Unschuld gegenüber wird Shakespere niemals wehleidig oder verdrossen. Er nahm es nicht nur hin als einen Ausdruck der geheimnißvollen Allmacht göttlichen Wesens, es hatte vielmehr für ihn, wenn schön und kraftvoll ertragen, etwas Befreiendes. Wer kann unschuldiger sein als Hamlet beim Beginn des Stückes? Auf sein vorwurfloses Leben war höchstens der winzige Antheil vom allgemeinen Menschenfluch entfallen, daß die Geburt, die wir erdulden, uns verstrickt. Er geht zu Grunde, aber reißt den Missethätcr mit, der im wirklichen Leben, vor Shakesperes Augen da vonkam. Denn es kann nach Hermann Conrads schon *) Dowden S. 23.