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Um zum besseren Verständnis der Paradieses-Erzählung und ihrer Parallele im Babylonischen, wie wir sie alsbald kennen lernen werden, zu gelangen, ist es aber notwendig, zuvor einige spätere Bestandteile als solche zu erkennen, die sich an den Grundstock von Gen. 2 — ll angesetzt haben. Dazu gehört vor allem die spezielle Ausführung über die Lage des Paradieses. Die ursprüngliche Er zählung weiß, wie noch deutlich durchblickt, nur im allgemeinen von einem Paradiesesstrom, vielleicht noch mit deni weiteren Gedanken, daß sich dieser eine Hauptstrom beim Austritt aus dem Paradiese in vier Arme teilte. Das genügte der späteren Zeit nicht. Man war daher bemüht, die Lage des Paradieses genauer zu bestimmen und die vier Ströme geographisch festzulegen. Das kommt zum Ausdruck in dem späteren Zusatze, der die vier Ströme als Pison, Gihon, Hiddekel und Phrath bezeichnet, von denen die beiden letzteren, Hiddekel und Phrath, der Tians und Euphrat, sind, der Gihon der Nil, und der Pison vielleicht der persische Meerbusen, den man im Altertum mehrfach auch als breiten Strom aufgefaßt hat. Bei dieser Anschauung dachte man sich die Lage des Paradieses hoch im Norden an den dem Erzähler unbekannten Quellen des Euphrat, Tigris, persischen Meerbusens (?) und Nils, von denen man nach einer für das Altertum nicht unerhörten, aber geographisch natürlich ganz unmöglichen Vorstellung glaubte, daß sie von derselben Quelle, einem Hauptstrome, sich abzweigten. Man ersieht hieraus übrigens auch, daß es ein völlig vergebliches Bemühen ist und bleiben wird, die Lage des Paradieses auf Grund dieser Angaben etwa geogra phisch genau nachweisen zu wollen. Vielmehr gehört es im Gegen teil gerade zum Wesen des Paradieses, daß es nicht genau bestimmt werden kann: es liegt seiner Natur nach in einer für den Menschen unerreichbaren Ferne. Das ist sogar auch der Fall bei dem späteren gelehrten Glossator unseres Kapitels, der höchstens zu wissen glaubt, daß die vier Ströme, die vom Paradiesesstrom ausgehen, eben die ihm bekannten Ströme Euphrat, Tigris, Pison und Gihon sind, dem aber das Quellgebiet selbst dieser Ströme, die Stelle, an die er das Paradies verlegt, ein unbekanntes Land ist. Wir können vielmehr aus anderen Stellen der Bibel noch entnehmen, daß in der ursprüng licheren Form dieses Mythus das Paradies überhaupt gar nicht auf Erden liegt, sondern, so paradox dies zunächst auch klingen mag, im Himmel, bez. am Himmel, wobei speziell zu dem in mehrere Arme sich teilenden Paradiesesstrome die Milchstraße das Vorbild abgegeben haben wird.