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20 Gen. 2—3. AL. II 3' das Rusen Jahves nach dem Menschen: „Wo bist du?", die Ent- schuldigungsversuche des Menschen und seines Weibes gegenüber Jahve, die Verfluchung der Schlange, sowie des Naturlebens des Weibes und der Arbeit des Mannes; endlich die Vertreibung der beiden aus dem Paradiesesgarten, vor dessen Eingang sortan Cherube lagern, um den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen. Hier atmet jede Zeile echte, wundervolle Volkspoesie. Wir haben hier eines der schönsten Stücke der älteren hebräischen Literatur vor uns, gleichzeitig eine Erzählung, die in so wundersam feinsinniger und von tiefeni religiösem Gefühl durchzogener Weise eine Antwort auf die Frage zu geben sucht: Wie ist das Leid in die Menschheit gekommen? Woher kommt all die Mühsal des Lebens und der Tod? Man müßte gefühllos sein für wirkliche Poesie, wenn man die Schönheit und innere Wahrheit dieses Mythus nicht empfinden könnte. Denn einen solchen haben wir selbstverständlich vor uns, nicht etwa wirkliche Geschichte. Der Grund, warum diese Erzählung vom Paradies in Gen. 2—3 auch schon äußerlich im Stil sehr stark von Gen. 1 absticht, liegt darin, daß wir hier ein^Stüft Ws der älteren Quelle des großen Sammelwerkes der „fünf Bücher Mose" vor uns haben, ein Stück des sog. Iahvisten, wie man diese Quelle gewöhnlich nennt wegen des durchgängigen Gebrauchs des Gottesnamens Jahve in ihr, im Gegensatz zur Anwendung des Wortes Elohim für Gott in anderen Quellenschriften, namentlich auch in der priesterlichen Schrift, der Gen. 1 angehört. Diese sog. jahvistische Schrift stammt nun aber aus der Blütezeit des israelitischen Volkslebens, aus der Königszeit des 8. oder 7. Jahrhunderts v. Ehr., und hat uns in viel treuerer und urwüchsigerer Form die alten hebräischen Volkssagen, speziell auch über die Urzeit, aufbewahrt, als jene erst im Exil entstandene priesterliche Schrift. Daher kommt es auch, daß uns in Gen. 2—3 weit mehr die frischen, ursprünglichen Farben eines mythologischen Gemäldes entgegentreten, als in Gen. I, wo alles schon viel ab- geblaßter ist. Aus demselben Grunde ist es auch leicht verständlich, warum der Uranfang in Gen. 2 ganz anders gedacht wird, als in Gen. 1, nämlich als wasserlose Wüste, nicht als wogendes Urmeer. Es handelt sich hier eben um zwei ursprünglich verschiedene mythw logische Traditionen, die in Israel unausgeglichen nebeneinander her gingen, und von denen die eine in einer Stromlandschaft, die andere in einem Wüstengebiet ihren Ausgangspunkt hat. In jeder der beiden Quellenschriften ist je eine dieser beiden Traditionen vertreten.