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Jm Hinblick auf diese weitgehende Übereinstimmung des baby lonischen und des biblischen Schöpfungsberichtes von Gen. 1 in Verbindung mit dem Jahve-Tehom-Mythus, der als Grundlage von Gen. 1 vorauszusetzen ist, können wir nun gar nicht anders, als eine tatsächliche historische Verwandtschaft zwischen diesen beiden Traditionen anzunehmen. Mit der Ansicht etwa, daß die Israeliten und die Babylonier auf Grund gemeinsamer kosmologischer An schauungen unabhängig zu einer Vorstellung, wie Gen. I und baby lonisches Schöpfungsepos, von der Erschaffung der Welt gelangt seien, kommt man nicht aus, zumal wenn man berücksichtigt, daß speziell die Israeliten auch noch eine zweite, in Gen. 2 vorliegende, abweichende Anschauung über die Entstehung der Welt kannten, wo nicht vom Urwasser als uranfänglichem Prinzip die Rede ist, sondern im Gegenteil von dürrem, trockenem Lande, über daH dann erst das Wasser als das befruchtende Element kommt. Nachdem sich uns auf diese Weise als Resultat ein tatsächlicher historischer Zusammenhang zwischen dem babylonischen Schöpsungs- epos und Gen. 1 ergeben hat, erhebt sich jetzt die Frage, wie dieses Verwandtschaftsverhältnis aufzufassen ist. An und für sich wären hier drei verschiedene Möglichkeiten denkbar. Erstens könnten die Babylonier ihren Bericht von den Israeliten entlehnt haben; zweitens könnten beide Berichte auf einen gemeinsamen ursemitischen Mythus zurückgehen; endlich liegt die Möglichkeit vor, daß die Israeliten den Bericht von den Babyloniern übernommen haben. Der erste Fall, daß die Babylonier ihren Schöpfungsbericht von den Israeliten entlehnt hätten, scheidet von vornherein aus. Es genügt, darüber zu sagen, daß dies kulturhistorisch und religions geschichtlich einfach undenkbar ist. Die zweite Möglichkeit, daß das babylonische Schöpfungsepos und Gen. I auf einen gemeinsamen ursemitischen Weltschöpfungsmythus zurückgingen, wäre schon eher in ernsthafte Erwägung zu ziehen. Läßt sich doch die Möglichkeit eines gewissen gemeinsamen Mythenbestandes für die semitische Urzeit nicht ohne weiteres abweisen. Daß jedoch auch diese Möglichkeit fort fällt, daß es sich vielmehr im vorliegenden Falle für die Israeliten um einen erst zu einer bestimmten Zeit von den Babyloniern ent lehnten Mythus handelt, mit anderen Worten, daß dieser Mythus in Babylonien heimisch, in Israel Lehnmythus ist, sollst daraus, daß gewisse Züge des Mythus aus den Anschauungen des Volkes Israel heraus unerklärbar sind, während sie in den Anschauungen der Babylonier ihre' befriedigendste Erklärung finden. So läßt sich