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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS- PreiS 22j Sgr. (! THIr.) vierteljährlich, 3 Thaler für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. a g a z i n für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der Allg.Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post- Remtern. Literatur des Auslandes. ^73. Berlin, Mittwoch den 19. Zuni 1833. Rußland. ?iowoz5p>Ho. Original-Aufsätze und Gedichte der berühmteren jetzt lebenden Russischen Schriftsteller. St. Petersburg, 1833. Dieses kostbar ansgestancle Buch, das, seiner Zusammenstellung nach, dem hüvro flog oont-ot-uu gleicht, ist diesem auch zum Theil nachgeahmt, indem es ebenfalls den freundlichen Gesinnungen der Schriftsteller gegen einen Buchhändler sein Daseyn verdankt. Herr Smirdin, der Russische Ladvocal, ist freilich nicht bankerott, wie der Französische. Er Halle vielmehr vor zwei Zähren in Sk. Petersburg «i» neues prachtvolles Haus bezogen und zur Einweihung desselben sämmUiche in der Hauptstadt anwesende Russische Schriftsteller zu einem Feste eingeladcn. Bei diesem Feste entstand der Plan, dem Geber desselben ein eigcnlhümlichcs Gastgeschenk zu machen. Leuten beißen die Geschxnke, die der Wirth im alten Griechenland, seinem Gaste zu machen pflegte; No wosselje heißt jedoch auf Russisch: Gescheut zur neuen Wohnung, und bezeichnet eine Sitte, die auch bei uns in Deutschland zuhause ist. Nowosselje, das Buch, das nunmehr erschienen ist, kann in der That alS das schönste Geschenk dieser Art gelten; Herr Smirdin ist aber auch einer der rhätigsten und großartigsten Buchhändler, nicht bloß Rußlands sondern Europas überhaupt. Keinen der besseren Russischen Schriftsteller läßt er sich seinem Verlage entziehen, und wie das Honorar, so ist auch die Ausstattung würdig — was be- kannllich bei einigen von unseren berühmten Deutschen Buchhändlern nicht immer der Fall ist. Von seiner Thätigkeit mag unter Anderem das einen Beweis wbgebc», dass er im vorigen Jahre bloß für kosten und Papier der bei ihm verlegten Werke^OOMO Rubel B. A. bezahlt hat. Die Herausgabe der mit eleganten Kupfern ausgestal- telen Nowosselje soll ihm 22,000 Rubel V. A. gekostet haben — ein theucres Geschenk, wie man sicht, das sich jedoch durch die Thcil- nahMc des Publikums bald als das auSwcisen wird, was eS sepu soll. Siebcnundzwanzig Schriftsteller, worunter sich alle literarische Notabilitäten Rußlands befinden, haben zur Nowosselje beigelragcn. Unter den Poeten bemerken wir Puschkin, Schukowsky, Guedilsch, Fürst Wiascmskp, Kristoff (den Fabeldichter) und KoSloff; unter den Prosaisten Gretsch, Bulgarin, Massalsky, Panajeff, ScukowSky, MichailowSky-DanilewSky und die Pseudonymen Baron BrambeuS und Kosak Lugansky. Puschkin und Schukowsky haben flch in fremden DichtungSweiscn versucht. Puschkin gicbt eine Novelle « la Casti in achlzeiligen Stanzen: „Das Häuschen auf der Kolomna." Die ottavo rimo sind in der Russischen Poesie noch etwas Neues, und Herr Puschkin fuhrt sie daher förmlich ein, indem er dem scherzhaften Gedichte eine halb ernste militairische Musterung seiner bisherigen VccS-Rrten vor anschickt und endlich die Oktave ausmarschiren läßt. Die Erfindung der Novelle selbst ist von keiner großen Bedeutung- Eine Wittwe bewohnt mit ihrer schönen Tochter, einer alten Magd und einer Katze ein kleines Häuschen auf der Kolomna, wo die schöne Pa- schetta mit einigem Herzklopfen die schmucken Garde-Offiziere täglich Vorübergehen sicht, ohne doch, von Mutter, Magd und Katze be wacht, einen derselben sprechen zu können. Endlich stirbt die Magd; die Katze brummt und die Mutter verlangt nach einer anderen Kö chin. Sie schickt die Tochter zur Nachbarin, die mit Köchinnen gut Bescheid weiß, und jene kommt auch bald mit einer ziemlich hoch ge wachsenen, zur Arbeit, wie es scheint, sehr tüchtigen Person zurück. Die neue Magd ist zwar etwas ungeschickt und hält sich immer ein wenig scheu von der Hausfrau entfernt; aber sie zeigt guten Willen, begnügt sich mit Wenigem und wird darum im Dienste behalten. Am nächsten Sonntage geht die Muller mit der Tochter in die Kirche lind fordert auch die Dicnstmagd dazu auf. Diese zieht cs aber vor, zu Hause zu bleiben. Zn der Kirche fällt der Mutier ein: wenn mich die neue Magd nur nicht bestiehlt! Sie laust unruhig nach Hanse und — man denke sich ihr Erstaunen, als sie die Köchin cingescisl findet, mil dem Barbicrmcsscr in der Hand, und vor dem Spiegel sich den Bart putzend. Die cingeseiste Magd wartet den Zorn der in Ohnmacht gefallenen Gebieterin nicht ab, sondern springt über sie hinweg und macht sich davon. Die schöne Paschetta ist cinigermaaßen verlegen, als sie nach Hause kommt; sie scheint von dem Barte der Magd schon früher etwas gewußt zu haben, aber da mit endigt die Novelle und der Dichter läßt uns über das fernere Schicksal des Mädchens von der Kolomna in einigem Zweifel. . Schukowsky hat den Russischen Hexameter, dem sonst immer eine gewisse steife Ungelenkigkeit vorgeworfen wird, in Ehren bringen wollen. Seine in diesem Versmaße gelieferte Erzählung erinnert an Hermann und Dorothea und VoffenS Luise, die dem kundigen Ueber- sctzer vieler Deulschen Gedichte wohl vorgcschwcbt habe» mögen. Seine Russischen Hexameter sind wohlklingend und, wenn auch nicht wrich, wie die Griechischen, doch voll rhythmischen Taktes, wie dir Deulschen. Hr. Baralynsky hat den Lod Goelhe's besungen. Die mächtige Universalität des Deutschen Dichters, seine nach allen Seilen sich manifestirende Schöpferkraft ist cs besonders, die der Russische Barde hervorhcbt. Wahrlich, sagt er, Goethe hat so viel gelhan, daß Golt der Herr gerechlferligl wäre, wenn unsere Existenz auch nur bis an das Grab hin reichte. Ungemein poetisch gehalten ist Kosloss'S Gedicht: die bei den Nachen. Zwei Nachen schwimmen denselben Strom entlang. Der eine, mit Blumen bedeckt, trägt ein weißcS Segel und gleitet leicht aus der Oberfläche des Wassers dahin; ein jugendliches Weib sitzt in dem Nachen; sie singt von ihrem Glück und preist den klaren Himmel und die Natur, die ringsum ihr zulächelt; nur Ein besorg- licher Gedanke streift durch ihren heiteren Sin»; sie weiß, daß dec Strom da, wo er in das Meer fällt, einen tiefen Abgrund birgt, und dieser Abgrund ist unvermeidlich. Der andere Nachen durch- schneidct langsam die Wogen; ein schwarzes Segel ist an seinem Maste befestigt; ein armer unglücklicher Mann sitzt'darin; nichts als Thränen und Seufzer Hal er, kein Hoffnungsstcrn leuchtet ihm durch die dunkle Nacht; nur Ein tröstender Gedanke strcift durch seinen trüben Sinn; er weiß, daß der Strom da, wo er in das Meer fällt, einen tiefen Abgrund birgt, und dieser Abgrund ist unvcrmcid- Und beide Nachen werden vom Strome fern Hinabgesührt, und beide verschwinden in dem dunklen unerforschten Abgrund! Unter den Beiträgen in Prosa sprechen besonders „die Unbe kannte" und „Satans Lever" von Baron BrambeuS, „Omar und die Aufklärung" von Bulgarin, ein „Volksmährchcn" des Kosake» Lugansky, „der Russische Zcarus" von Massalsky, „Züge aus dem Leben Alcxander'S 1." von MichailowSky-Danilewsky und die „Er innerungen" von Gretsch den Leser sehr an. Wenn auch nicht so reichhaltig als die Hundert und Einer, ge währt doch die Nowosselje einet, vollständigeren Ueberblick der heuti gen Russischen Literatur, als die 1k Pariser Bände von der Fran zösischen geben. Bei Briefs in St. Petersburg wird eine Deutsche Ucbersetzuug der werthvollstcn Beiträge der Nowosselje in einzelnen Bändchen erscheinen. Bibliographie. Zn St. Petersburg erschien in Deutscher Sprache: Der Findling. Herausgegeben von Riama. Erster Band. — Riama ist der adoplirle Name einer bereits rühmlichst bekann ten Schriftstellerin, die hier ihre kleinen Schriften zusammcnge- stelll hat. Es befinden sich darunter eine Betrachtung über die Würde der Menschengestalt; sechs Briese über Leben, Liebe, Wissen und Kunst, gesunden aus einer Wanderung durch das südliche Deutschland; die Verirrung, eine Novelle; Zronie und Satire, eine Vorlesung; hundert Aphorismen; zwei Vorreden und eine Nachrede. Die historischen Tabellen von Kohlrausch sind, in'S Russische übersetzt und Lurch die politische Geschichte Rußlands ergänzt, bei Briefs in St. Petersburg erschienen. Frankreich. Gegenwärtiger Standpunkt der Französischen Sprache und Literatur. Von Victor Hugo. (Schluß.) Nicht etwa, als ob wir im entferntesten Anhänger der direk te» Nützlichkeit der Kunst wären — eine kindische Theorie, die in den letzten Zeile» von philosophischen Sekten aufgestellt wordeir ist, welche die Frage nicht gründlich studirt hatte». Das Drama, als Werk der Zukunft und der Dauer, kann nur Alles verlieren, wenn es sich zum unmittelbaren Prediger von drei oder vier gele- genllichcn Wahrheiten macht, welche die Polemik der Parteien alle fünf Jahre in die Mode bringt. Den Parteien ist cs Bedürfniß, die politischen Stellungen mit Sturm zu nehmen. Sie bedienen sich der dazu nölhigen zwei oder drei Zdeen, und mil diesen untergrabe» sie Tag und Nacht den Boden der Macht. Es ist eine Belagerung