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Wöchentlich erscheinen drei Numniern. PranumerationS. PreiS 22 j Sgr. Thlr.) viertcllödrlich, 3 Td.rler für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. für die Man vränumenrt auf diese, Bell-tatt der Lllg.Pr. Suun»- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Strahl Nr. 34); >n der Provinz so wie im Auslande bei de« Wohllöbl. Post-Acmtern. Literatur des Auslandes. 71. Berlin, Freitag den 14. Zuni 1833. Frankreich. Gegenwärtiger Standpunkt der Französischen Sprache und Literatur. Bon Victor Hugo. °) Die plinst Hal gegenwärtig eine paffende Stellung eingenommen. Der Streit um Worte Hai einer Prüfung der Sachen Platz gemacht. Die Beinamen, die Spottnamen der Parteien haben für Niemanden wehr eine Bedeutung. Die Bezeichnungen Klassiker und Ro mantiker, welche derjenige, der diese Zeilen schreibt, niemals im Ernste ausgesprochen hat, sind aus jeder vernünftigen Unterhaltung eben so vollständig verschwunden, wie die der Ubiquclarier und der An. lipädopapisten. Und cs ist schon ein großer Fortschritt in einer Er örterung, wenn die Partei-Bezeichnungen aus dellt Spiele bleiben. So lange man um Worte kämpft, ist cs nicht möglich, sich zu ver ständigen: cs ist irstilhendes, erbillerlcS und blindes Handgemenge. Diese Schlacht, welche in den letzten Jahren der Restaurälivn un sere Literatur betäubte, ist jetzt beendigt. Das Publikum fängt jetzt an, die Umrisse der wirklichen Fragen deutlich zu mttcrschciden, welche feincn Augen durch den von der Polemik erregten Staub nur zu lange verhüllt geblieben waren. Der Faustkampf der Theorie«, hat aufgeböct. Das Gebiet der Kunst ist jetzt keine Kampfbahn mehr, sondern ein Feld. Man schlägt sich nicht mehr aus demselben, son dern man bearbeitet es. Unseres Erachtens ist der Sieg den neuen Generationen gcblie den. Sic haben in allen Künsten eine feste Stellung eingenom men. Wir werden es vielleicht eine« Tages versuchen, den genauen Punkt zu bezeichnen, wo sie sich in der Poesie, Malerei, Bildhauer kunst, Musik und Architektur befinden, und wir werden uns bemühen, anzudeuteu, durch welche Fortschritte und nach welchen Gesetzen die Vermischung der verschiedenen Schattirungcn der jungen Schulen bewerlsteUigt werden kann, scy cs nun, daß sie mehr den Charak ter suchen, wie die Gothen, oder mehr den Stil, wie die Griechen. Mittlerweile ist jedoch die Anregung gegeben; die Fluch steigt. Die Grundsätze der literarischen Freiheit sind über die ganze Kunst als Saat verstreut. Die Zukunft wird ernten. Wir gehören nicht etwa zu denen, die da glauben, daß die Kunst noch einer Vervollkommnung fähig scy. Wir wissen sehr gut, daß man weder PhidiaS noch Raphael übertreffen wird. Aber wir schüt teln auch nicht traurig den Kopf und erklären, daß cs für immer unmöglich sep, ihnen gleich zu kommen; wir halten uns nicbt für so eingeweiht in die Geheimnisse Gottes. Kann Er, der jene geschaffen hat, nicht auch andere schaffen? Warum will man dem menschlichen Geiste Schranken setzen? Alle Epochen sagen ihm zu, er gedeiht un ter allen Himmelsstrichen. Das Allenhum Hal seinen Homer; aber das Mittelalter hat seinen Dante. Shakespeare und die Kathedralen im Norden; die Bibel und die Pyramiden im Osten. Und welch' eine Epoche ist die unsrige! Wir haben cs schon an anderen Orten und mehr als einmal gesagt: die nochwendige Folge einer politischen Revolution ist eine literarische. Was können wir dagegen lhun? Es liegt etwas VerhängnißvollcS in diesem Parallelis- müs der Literatur und der Gesellschaft. Hie Sitten und die Gesetze werden zuerst erschüttert, die Kunst folgt. Warum ihr die Zukunft verschließen? Der stolze Ehrgeiz bringt große Dinge hervor. Sollte das Jahrhundert, das groß genug war, um seinen Karl den Großen zu zeugen, zu klein sehn, einen Shakespeare hervorzubringcn? Wir glauben daher fest an die Zukunft. Man sicht wohl hicr und da noch aus dcr Oberfläche der Kunst einige Trümmer alter cnl- masteier Pocstecn, die schon vor zehn Jahren an allen Seilen lcck waren; man sicht auch wohl cinige Eigensinnige, die sich daran an- tlammcrn. Kuri nanta«. Wir beklagen sie; aber unsere Blicke rich ten fick auf andere Punkte. Wenn cs uns erlaubt wäre, unS, die wir weit davon entfernt sind, uns zu denen zu zählen, die jene gro ßen Fragen durch große Werke zu lösen bestimmt sind, eine Vermu- thung über das zu wagen, was ans dcr Kunst werdcn wird, so wür den wir behaupten, daß die Kunst binnen wcnigcn Jahren, ohne auf ihre übrigen Formen Verzicht zu leisten, sich ganz'besonders unter der Gestalt des Dramas zusammcngcdräugl zeigen wird. Die Grunde Wir glauben, einen Akt der Gerechtigkeit auszuüben, indem wir dem neulich »litgetheilten Aunak des Herrn Blenner ff. No. ,4 des Magazins) liier die Anfumcn des Stimmführers der entgegengesetzten Schule folgen lassen und ko unseren Lesern Gelegenheit geben, die neueste Steilung der bei den kriegführenden literarischen Parteien würdigen zu können. zu dieser Behauptung haben wir in dcr Vorrcde eines Buches aus- rinandcrgcsetzt, welches hicr zu erwähncn nicht dcr Mühe lohnt. Unserer Meinung nach muß daher auch das Drama der Zukunft, um die erhabene Idee, welche wir von dcmsclben hegen, zu verwirk lichen, um seinen Platz zwischen der Presse und der Rrducrbühne würdig auszusliilcn, groß und ernst der Form wie dem Wesen nach scyn. Die Fragen dcr Form sind seit mehrcrcn Jahren sämmllich er örtert worocu. Die Form ist von Wichtigkeit in der Kunst. Die Form ist etwas weit Absoluteres, als man gewöhnlich glaubt. Es ist z. B. ein Jrrihum, wenn inan meint, daß derselbe Gedanke aus ver schiedene Weise geschrieben, daß dieselbe Idee mehrere Formen ha ben kann. Eine Idee Hal immer nur Eine Form, welche ihr eigcn- thiimlich ist, welche ihr ganz und vollständig und wesentlich zukömmt, und welche mit ihr zugleich aus dem Kopfe des Genies hervorspringt. So ist bei den großen Dichtern nichts unzertrennlicher, nichls zusam menhängender, als die Idee und dcr Ausdruck dcr Jdcc. Wrnn man die Form tödtcl, so tödtci man in dcr Regel den Gcdankcn mit. Daher muß auch jede Kunst, die bestehe» will, damit beginnen, sich selbst die Fragen über die Form, Sprache und über den Stil genau zu stelle». In dieser Beziehung sind die Fortschritte in Frank reich seit zehn Jahren fühlbar. Die Sprache Hal eine gründliche Verbesserung erfahren. Und damit unsere Meinung deutlich werde, erlaube man uns hicr mit einigen Worten die verschiedenen Bildun gen unserer Sprache anzudcuicn, wie sic besonders seit dem I6tcn Jahrhundert zu bemerken sind — einer Zeit, wo die Französische Sprache augefangen hat, die literarischste in Europa zu werden. Man kann von dcr Französische» Sprache im 16len Jabrvun derl sagen, daß cs durchaus eine Sprache der Wiedergeburt war. Im löten Jahrhundert sinder sich dcr Geist der Wiedergeburt überall — in dcr Spracht, wie in allen Künsten. Der Römisch By zantinische Geschmack, den das große Ercigniß von 1453 über den Westen ausbreitctc, und der seit dcr zwcitcn Hälslc des 15trn Jahr- hundertS sich allmälig über Italien ausgedehnt halte, langte in Frank reich erst im Anfänge des Iblen Jahrhunderts an; aber in demselben Augenblick dringt er überall ein, überschwemmt Alles. Nichts wider steht dcr Fluch. Baukunst, Poesic, Musik, alle Künste, alle Studien, alle Idee», selbst die HauSgeräihe und die Kleidungen, sogar die Ge setzgebung und die Theologie und die Medizin — Alles folgt bunt durch einander gemischl und wird von dem Strome dcr Wiedergeburt forlgcriffen. Die Sprache gehört zu den zuerst an die Reihe gekom menen Dinget,; in einem Augenblick füllt sic sich mit Lateinischen und Griechischen Wörtern an; ihr alter Gallischer Boden verschwin det säst gänzlich unter einem klangvollen Chaos von Homerischen und Virgilischcn Lauten. Zu dieser Zeit des Rausches und des Enthusias mus für das gelehrte Allcrthum spricht die Französische Sprache, wie die Architektur, Lateinisch und Griechisch mit einer unendlichen Ver wirrung und mit einem unendlichen Reiz; es ist bcwundcrnswertbcs klassisches Stollern. Seltsamer Augenblick! Es ist eine erst im Wer den begriffene Sprache, — eine Sprache, aus dcr das Lateinische und Griechische Wort nackt liegt, wie die Adern und Sehnen auf einem Skelett. Und dennoch ist diese noch unvollendete Spracbe zu- wcilcn sehr schön; sic ist reich, verziert, unterhaltend, unerschöpflich in Formen, voller Leben und Farbe; aus Licbe zu Griechenland und Rom wird sie barbarisch; sie ist pedantisch und naiv. Im Borbei- gchcn ist zu bemerken, daß sie zuweilen überladen, schwülstig und dunkel scheint. Nicht ohne das Fließende unseres alten Gallischen Idioms zu stören, haben jene beiden tobten Sprachen ihr Wörter buch ausgcleert. Merkwürdig ist cs und crklärt sich durch Allcs, was wir eben gesagt haben, daß für diejenigen, welche nur die ge wöhnliche Sprache verstehen, das Französisch des löten Jahrhunderts unverständlicher ist, als das des funfzcbsiien. Für diese Klasse von Lesern ist Branlüme weniger deutlich als Iran de Troyes. Im Anfang des 17ten Jahrhunderts wurde mit dieser unreinen und gemischten Sprache die erste Läuterung vorgcnommcn. Eine gchcimnißvolle Operation, welche durch die Jahre und durch die Menschen, durch die Masse und die Gelehrten, durch die Ercig- uiffc und durch die Bücher, durch die Sitten und durch die Ideen zu Stande gebracht wurde, und die als Resultat die bewunderns würdige Sprache Malhicu's und Reznier's ergab, welche später die Sprache Motierc'S und Lafontaine'S und noch später die St. Si- mon's wurde. Wenn die Sprachen sich fcststclltcn, was Gott ver hüten möge, so hätte die Französische Sprache aus ihrem damaligen Punkt stehen bleiben müssen. Es war eine schöne Sprache — die