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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeratiotts. Preis 22j Sgr. Thlr.» vierteljährlich, 3 Thaler für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin - für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der Allg.Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post - Acmtern. Literatur des Auslandes. 30 Berlin, Montag den 11. März 1833. Frankreich. Französische Kritik Englischer Dramen. ") Amedee Pichot über Marlowes „Jude von Malta." (Alls der kevue cle lUs.) Bei meiner ersten Reese nach England im Monat Mai 1822 war ich bei Sr. Erccllcnz dem Botschafter Er. Mcrchristlichsten Ma jestät zum Essen eingcladen.... Aber hier muß ich den Leser um die Erlaubniß bitten, durch eine kleine Abschweifung beginnen zu dürfen. Der König von Frankreich wurde in London würdig repräsenlirt. Sein Botschafter wusste nicht allein, wie cs die Umstände verlangten, laut und stolz oder mit ganz Französischer Höflichkeit in seinen offi ziellen Berhäilniffcn zu sprechen, sondern ich muss auch bemerken, dal! Lie ihm auf Lem Budget ausgeworscncn 190,006 Thaler auf eine edle Weise auSgegebcn wurden. Dieser Botschafter des König« von Frankreich, der an Glanz und spracht mit den reichsten Lord« wettei ferte, ist jetzt nur ein armer Schriftsteller, der sich in da« einsamste Viertel von -pari« zurückgezogen bat, dem das Unglück nur ein Lä cheln entlockt, und der unbesorgt für den andere» Morgen ist, obgleich ihm an diesem anderen Morgen vielleicht nicht« als sein Name übrig bleibt. . . . Allerdings ist dieser Name eine Macht; denn dieser Schriftsteller nennt sich — Chateaubriand! Jeh war also in London bei unserem Botschafter eingeladcu, Ler mit gleicher Anmuth einen Reisenden ohne Titel, seinen Lands mann, und die vornehmen Höflinge Georg « IV. empfing. Ich halte mich frühzeitig cingcsuudeu; aber zwei Gäste, mehr au Ge sandtschaft«.Diners gewöhnt al« ich, liessen auf sich warten, schicklcn dann ein Entschuldigung«-Billet und kamen nicht. Mein Platz bei Tische sand sich zufällig gerade zwischen den beiden leeren Platzen; und der Gesandte sagte nur, während die Bedienten die unnützen Couvcrte forlnahmen: „An Ihrer Rechten würden Sic dcn Fürsten de la Tremouille und au Ihrer Linken dcn Herrn Baron von Roth schild gehabt haben." Diese Worte wurden ganz absichtslos gesagt; aber obgleich es nicht die einzigen waren, die ich am Abend in mein Tagebuch einschrieb, so waren es doch die, welche mir am meisten Stoss zum Nachdenken gaben. An derselben Tafel mit einem Ab kömmling au« einer der berühmtesten Familien des alten christlichen Rillcrlhums und mit einem israelitischen Banqnier zusammcnztttrcs- fen! Am Tage vorher halte ich in Drurp-lane den Schauspiclrr Kean im Kaufmann von Venedig gesehen, und noch an demselben Morgen Halle ich dcn ersten Theil von Scotts Jvanhoe grlcscn. Mir kam daher-dieses Zusammenlrcffcn vor, al« ob ich mit Shplock und dem Dogen von Vcnedig, oder mit Isaak von Hink dem Sachsen-Häuptling Cedric an Einem Tische hätte essen sollen. Welch' «in Unterschied im Vergleich zu jenen Zeiten! sagte ich mir. Welch' eine Revolution in den Sitten und Ideen! und doch, wa« hlcibt Ler Civilstalion noch zu lbun übrig, um die Vorurlbeile de« Milicl- alters gänzlich über dcn Hansen zu werfen! Ich will hier nur von den liberalen Engländern sprechen, welche vicie Leute bei un« noch für eine Nation von lauter Philosophen halten. In den aristokra tischen Kreisest drückt der Abkömmling der Normannischen Ritter dem Abkömmlinge Jsaal's die Hand; aber diese Hand wird von dem Abkömmling des Sächsischen Lcibeicsencn noch zurückgestossem Die Gesetzgebung in England ist selbst noch gegen die Gesetzgebung an- dercr Europäischen Lander zurück. Ick) will nicht einmal da« Fran zösische Gesetz anfübrrn, welches den Französischen Juden alle bür gerlichen Rechte cinräumt; aber Joseph II. in Deutschland und Ka tharine in Russland sind England in der Reform der Gesetzgebung über die Kinder Israel'« zuvorgckommen. Die Englische» Juden werden durch das Englische Gesetz gerade nur uin ein Gerin ge« besser behandelt, äl« die Katholiken in Irland es vor der Emaucipalion im Jahre 1829 wurden. Sic sind nicht mehr an« Ler einen Stadt verbannt, oder in einer anderen in Masse ciugc- spcrrt; man beraubt sie nicht mehr willkürlich ihrer Gülcr; man reisst ihnen nicht mehr die Zähne aus; man bindet sie nicht mehr an den Schwan; eines wilden Pferdes; man hängt, martert und vcr- »Hüt Um besseren Verständnisse. Shake,jg z„ Frankreich seit kur zem auch die bei uns schon langst peuunche hiebe zu Shakesvcar'S Vorgau gern und Zeitgenossen erwacht Die ikht in Paris GastdarsteUmigcn gebende Eiigttsche Schauspieler-Ktchllstbast <G'bt den ^rauzouschen Kritikern Anlass, manche bisherige Anstcht über Englische Dramen zu berichtigen, und beson ders das Journal des DobatS hat bereit« einige, namentlich auch von, Stu dium Deutscher Kritik zeugende, treuliche BenrthcUiingen Shake,vear'S, Mar- lowe's, Grien'«, Beaumont'« und Fletcher« ic. enthalten. D. R. brennt sie nicht mehr iiutcr einem nichtigen Vorwand; aber sie blei ben noch immer ich weiss nicht wie vielen gesetzliche» Ausschließungen unterworfen und sehen sich eben durch solche Ausschliessungen al« Gegenstand der Verachtung und der Beschimpfung de« Pöbel« be zeichnet. Die Englische» Juden können weder Friedensrichter, noch MagistratSrPersoücn, noch Parlaments-Mitglieder sepu; sic sind, mit cincm Worte, Könige der Börse in London wie in Pari«; aber im mer außer dem politische» Gesetze. Dieser Zustand der Dinge kann nicht dauern; dcmi er ist nicht folgerichtig. Was da« iiisurgirtc Ir land für seine Katholiken erlangt hat, muss die Philosophie allein für die Jude» erlangen, welche kcincn O'Connell haben, der ihre Sache führt. Und was hat mittlerweile die Englische National- Duldsamkeit für sie'erfunden? Eine religiöse Gesellschaft, die ihren Ucbcnrm zur Englischen Kirche beschleunigen soll, die, wie alle Eng lische Mission«-Gesellschaften, durch Geld-Beiträge erhalten wird, und die damit angefaiigcu bat, da« neue Testament ins Hebräische übersetzen zu lassen. Lie jetzigen Britischen Publizisten räumen in dessen ein, daß c« die St. Stephans-Kapelle, das Unlerhau« ist, welche« man dcii Juden öffnen muß, selbst um die Pläne jener Ge sellschaft zu fördern, die nur an ihr Seeleu-Hcii denkt; dein, manche Bekehrungen sind ost nicht« als betrügerische Bürgschaften für die Moralität des Neophvlcn, der vielleicht schon über einen Verralh gegen die wohlthatige Hand sinnt, die ihn aus den Kralle» de« Teufel« gerettet zu habe» glaubt. Bevor man die Einzelnen zu der Religio» des Lande« bekehren will, muss man die ganze Nation zum politische» Patriotismus bekehren. Nur erst nach einer laugen Ge meinschaft der Interessen und der Gesinnungen, nachdem sic zu dem Engüschcn Volke haben sagen können: „Euer Volk ist unser Volk", werden die Englischen Jude» endlich hinzusügen, wie Ruth zu Nacmi: „und Euer Gott soll unser Gott sehn!" Aber ich bemerke, dass ich eine grosse legislative Frage berührt habe, um zu einer literarischen Frage zu gelangen, die allerdings innig damit in Verbindung sicht. Es sind nicht die Gesetzgeber allein, denen man Vorwürfe zu machen bat; da« politische Vorur iheil gegen die Juden in England, wie überall, ist durch die profa nen Predigten der dramatischen Schriftsteller eben so wohl als durch die religiösen unterhalten worden. Das Theater ist eben so intole rant gewesen al« die Kanzel. Ich weiss nicht, ob da« Pfund Flcisch, welches Shplock auf der Englischen Bühne von dem Richler verlangt, dcn Kindern Israel'« nicht eben so bitlcr vorgeworscn worden ist, al« die dreißig dem Judas gezahlten Silberlinge. Al« am Ende de« vorigen Jahrhunderts, in einem Augenblick philosophischer oder philan- thrvpischcr Reaktion, Cumberland daraus fiel, im Namen Shakespear'S gcwiffcrmasscn eine chrenvollc Abbitte zu ihn», und sein Drama „der Jude " schrieb, schoss er ungtücktichcr Weise über sein Diel hinan«, indem seine Hauptperson zu romantisch war, um wahr zu sehn. Und, man kann es nicht zu oft wiederholen, nur da« Wahre rührt, im Drama wie im Roman. Shplock, der boshafte und rachgierige Jude, ist in seiner Anlage viel wahrer, als Schema, der mohlthätige Jude; und Letzterer fühlt selbst so sehr, dass er mit der Natur des Juden im Widerspruch steht, daß er seine Gutherzigkeit wie ein Laster ver birgt und die Solidarität dc« anti-socialcn Charakter« der Seinigc» amümmt. „Wir haben", sagt er, „auf der Erde keinen Zufluchts ort, kein Vaterland und keine Nation; Jedermann verspottet und beleidigt uns. Wenn Eure Komodicnschrcibcr einen Narrc» oder einen Spitzbuben in ihren Stücken brauchen, so erscheint ein Jude, uu> fünf Akte hindurch unter dem Beifall jedes guten Christen gc- ohrscigl und mit Füßen getreten zu werden. Grausames Spiel'. Unbarmherzige Belustigung! Und wie könnt Ihr von uns Mitlciden verlangt», wenn Ihr selbst uns keine« zeigt?" — Die« Alle« war ein wenig energischer von Shplock gesagt worden; aber Shplock ban delt seinen Worten gemäss, und Schema stattet arme Cbristinnen au«, Schema leiht christlichen Familicnsöbnen Geld ohne Zinse» und baut sein Hospital in dem mcnschlichcn Herze» (I builck in^ bnsznlal in lbn bum.m luu.pt). Ach, armer Schema! Du hast die Undankba ren vergessen; für da« Drama, in dem Du Dich so tugendhaft feigst, gicbt es in dcr literarischen Kritik weder Platz noch Namen, und Shplock wird noch lange jene lebendige Existenz, jene anszcichncnde Individualität behaupten, die dcn von Sbakcspear erschaffenen Men schen solche Golt-Achnliebkeit verlieben, daß cs von ihnen heißt, man werde sie am Tage de« jüngsten Gerichte« bei ihren Namen ansiu- fcn, al« ob sie ein wirkliche« und nicht da« scheinbare Lcbcn dc« Theaters gelebt hätten. Auch die Philosophie darf Shakcspear den Shplock vergeben;