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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pr-inumerations- Preis 22j Sgc. (j Thlr., vierteljährlich, 3 Thaler für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, ix allen Theile« der Preußische Monarchie. für die Man pränumerirt auf diese« Beiblatt der Ällg.Pr. Staai«- Zeitung in Berlin in der Expedition «Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemiern. Literatur des Auslandes. 12. Berlin, Montag den 28. Januar 1833. Frankreich. Ilistoire 6o la Restauration. (Geschichte der Restauration und der Ursachen, welche den Sturz des älteren Zweiges der Bourbonen herbeiführtcn.) Von einem Staatsmanne. Bd. V. und VI. Die dritte Lieferung dieses Werkes, weiche den fünften und sechsten Band umfaßt, ist so eben erschienen. Sic bringt uns die Geschichte der Epoche von der berühmten Ordonnanz des 5- Sept. 1816 bis zur Ermordung des Herzog« von Berry und umfaßt dem nach die ganze ministerielle Wirksamkeit Dccaze«', sowohl in dem von Desvlles als in dem von ihm selbst prästdirten Kabinette. ?Si^ Verfasser — als welcher immer noch Herr Capefigue angesehen wird? wiewohl er selbst ein fortwährendes Schweigen darüber beobachtet — bleibt seinen früher ausgesprochenen Grundsätzen treu, indem er alles Große, was die Restauration erzeugte, gegen die Verketzerun gen der jetzigen Zeit kräftig in Schutz nimmt und als den größten Fehler, den die Bourbonen begangen, nur das geilen läßt, daß fle die Constilutivnncllcn mit den Revolutionnairen verwechselt und idcnti- sizirt haben. Er tritt eben so gegen die Uebvrspanncheiten der einen wie gegen die der anderen Seite des politischen Frankreichs auf und appellirt jedes Mat von seiner eigenen Meinung an die öffentliche, welche er sowohl in sorgfältig gesammelten Aktenstücken als in de» haarscharf von ihm charakterisirten Journalen nachweist. Wenn die jetzige Zeit vielleicht noch zu befangen ist, als daß eine vollständig befriedigende Geschichte der Restauration schon möglich wäre, so bleibt doch dem Bers, des gegenwärtigen Werkes jedenfalls das Ver dienst, ein» nnentbehrUche höchst schätzbar« Materialien-Sammlung veranstaltet zu haben. Wie wir bereit« aus den ersten Bänden einige charakteristische Auszüge gegeben haben, so wollen wir es auch mit de» vorliegenden versuchen, indem lvir zunächst Einige« au« der Schil derung de« Französischen Hofes und der Salons in den Jahren 1816 nnd 1817 geben und alsdann in mehreren einzelnen Artikeln zu dem in der Geschichte der Restauration so wichtigen Ministerium Decazcs' übergehen. „Seit der Verordnung wom 5. September 1816", heißt es zu nächst im fünften Bande, ,',durch welche die Ultra-Kammer von 1815 (la obanrbre inkrouvablo) aufgelöst und gewissermaßen der Uebcr- gang zu einem constilutionnellcn System eingcleitcl wurde, hatte die Lage de« Hofes sich wesentlich verändert; er ward Partei, anstatt daß er bi« dahin die dominirende Meinung gewesen. Er änderte nunmehr auch seine Angriffsweise. Die mächtige Meinung gebt, Schleichwege verachtend, geraden Schrittes aus ihr Ziel los; die schwächere aber will den Verlust an Kraft durch geschickte List er setzen, und daher beginnt die Zeit der Zntriguen." ,,Ludwig XVIII. ging in das durch die gedachte Verordnung ausgestellte System täglich mehr ein. Das Ministerium beuutzle die steigende Gunst des Herrn Decazcs für dicsc« System zuweilen auch wider seine Gegner, stets aber zu Gunsten seiner eigenen Stel lung. Die Hof- und Royalisten-Partei haßte den König sammt seinem Lieblinge, die mündlich und schriftlich, in Prosa und in Ver sen von ihr verspottet wurden. Satiren gegen Ludwig XVIII. zir- kulirten bei Hose. Der König, dem die Minister ste zu lesen gaben, äußerte ohne Befremden: „Die Gesinnung dieser Herren ist mir nicht neu, sie schreibt sich von vielen Jahren her; in Koblenz war ich erst in der dritten Reihe." Während der ersten Hälfte des Jahre« 1816 litt der König sehr an der Gicht; die Hofleute bezeigten über dicsc Aussicht auf'cincn baldigen Thronwechsel ihre Freude nnvcrbolen, >n unzählig»» Karrikaturcn ward die Lebensweise des alten Monar chen verhöhn,, »»d dj, feinsten Damen wußten ihrem 'Groll in cyni- schen Ausdrücken Luft zu machen. Der König wurde hiervon genau in Kenntmk gesetzt, und dies vermehrte seine Zuneigung gegen Dc- cazes; indeß ließ er sich au» Festigkeit doch zuweilen von diesem widerspenstigen Geist der Hosleute beherrschen, wiewohl er ihn sonst grollend zu necken pfftg,,. Das Faubourg St. Germain spielte gegen den ihm verhaßten Dccaze« eine doppelte Rolle. Nach . altem Herkommen fuhren die Hofdamen fort, ihre Schützlinge zu empfehle» und für Freund und Verwandte Neuner zu begehren; zu diesem Bchufe wurden alle Liebkosungen an den Abgott des Tages verschwendet, während man insgeheim über den Minister auf « un barmherzigste verfiel. Jung, geistvoll und allmächtig, widerstand Dccaze« vielleicht nicht, wie er sollte, diesem Zauber vornehmer Damen, dem schon manche rauhe Gesinnung unlkrlhan geworden; auch D»- caze« ward von diesen Reizungen fortgeriffen, die seine Thäligkeit wider die Höslinge lähmten. Ludwig XVIII. hatte in seiner Lebens weise nicht« geändert; die Arbeitsstunden und die Zeil der Audienzen und Spazierfahrten waren wie bisher eingetheili. Er fing damaläl eine vertraute Korrespondenz mit Dccazes an, welchem er regelmäßig zweimal de« Tage« über die allgemeinen Angelegenheiten schrieb, be sondere Empfehlungen und geheime Billette, die der König gern wiederholte, abgerechnet. Seinerseits vervielfältigte Decazcs die'Be weise seiner wirklich aufrichtigen Anhänglichkeit; denn Undank war nie sein Fehler." „Der Graf von Artois, des König« Bruder, hatte seinen Charakter nicht geändert; er hat nächst Lafayette am wenigsten in seinem Leben mit politischen Grundsätzen gewechselt. Seit der Ver ordnung de« 5. September war der Gräf sehr kalt gegen seinen Bru der, ste sahen sich jeden Tag bei der Tafel und in den Abendgesell schaften, unterhielten sich aber nur von gleichgültigen Dingen, von der Politik niemals. So oft Monsieur von den Kammern, von Rc- volulionnairen oder Ministern sprach, brach der König das Gespräch ab. Dafür hielt sich der Graf in dem Pavillon Marsan schadlos; in den häufigen Ziisammenküuften seiner Anhänger, die daselbst statt- sanden, wurde nicht« als Politik vtrhandr.lt und über jene Verord nung und ihre Urheber der Stab gebrochen. Da der Pavillon Mar- sa» bei Hofe und in der Meinung eine große Rolle spielte, so suchte da« Ministerium die vornehmsten Agenten de« Grafen zu gewinnen. Man brachte cincn Gesetz-Entwurs ein, der Familie Polignac den Freiherrnsitz Fencstrange zurückzugeben; dem Baren Capelle ward rin Posten bei der Verwaltung, Anderen wurden Gesandtschaften ver sprochen, aber diese geringen Zugeständnisse genügten nicht. Monsieur wiftte in der PairS-Kammcr und leitete die Anführer der royalistischen Opposition in der Kammer der Abgeordneten, und dir'Minister wag ten gegen ihn keinen offenen Angriff, da ste in der constitulionncllen Meinung noch keinen gehörigen Haltpunkt halten. Ucbrigen« hatte die König!. Familie Le» im I. 1815 ihr cingeflößten Verfolgungs- gcist größtentheils aufgcgebeu. Der Herzog von Angoulume wüßte sich bei der Armee beliebt zu machen, und die Herzogin lhat Schritte zu Gunsten mehrerer Verwiesenen." „Gegen Ablauf de« Jahres 1816 war der Herzog von Or leans von seiner Reise nach England wieder in Paris cingetroffen. Er Halle an den Verhandlungen der Pairs keine» Antheil genom men. Diejenigen, welche der Hof von sich zu stoßen thöricht genug war, nahm der Herzog im Palais Royal auf und suchte, wenn es ihn nicht all zu sehr kompromiltirte, eine erlittene Ungnade wieder gut zu machen; mancher abgesctzic Gelehrte erhielt in seinem Hause eine Anstellung. Die angesehensten Personen der liberalen Partei empfing er in seinen Salons, mit einiger Vorsicht selbst Lafayette, d'Argen- fon und die Veteranen von 1789- In diesen Versammlungen wurde die Regierungs-Weise der Dynastie lebhaft getadelt, während der Herzog'bei Hose nicht« als Ergebenheit blicken ließ. Mit großer Geschicklichkeit wußte er stet« in den Hintergrund zu treten, ohne sich jedoch von irgend Jemand geradezu zu trennen." „Nächst den Prinzen und den von ihnen repräsentirtcn Meinun gen gruppirlen sich gewisse Salon« von verschiedener politischer Farbe, die theils dem System der Regierung, theils den Parteien Impuls verliehen. Diejenigen Salons, die man Doctrinaire nannte, domi- nirtcn seit der September-Verordnung in der Politik de« KabinetS; au« geistvollen Männern und ausgezeichneten Gelehrten zusammen gesetzt, herrschte dort ein keinen Widerspruch duldender philosophi scher Stolz, die Unterhaltung drehte sich um abstrakte metaphysische Begriffe. Hier glänzten Rover Collard mit seiner erhabenen Sprache, in gelehrten Definitionen die Fehler und Gefahren der Re gierung und der Parteien bezeichnend; Guizot, der kalt und trocken und allzu philosophisch eine politische Lage durch allgemeine Ideen umschrieb; Barante, von gutem Ausdruck, sanften Formen und ein fachen Manieren; seinem Gespräch merkte man den Kreis, dem er angchörte, nicht an; der Herzog vo n Brog lie, der vielseitige Kennt nisse und eine fließende Unlerhaltungsgabe besitzt; Mirbel, ein ange nehmer Gelehrter; Villcmain mit glänzendem Redner-Talent. Diese waren die Hänptcr jener Doctrinair-Salon«, denen die Gelehrten zweiten Ranges, studirte und denkende Köpfe, sich anschlossen. Man sprach über die Regierung, über Flugschriften, parlamentarisches Be tragen in der Kammer. Der größte Theil dieser Männer hielt sich zu dem Ministerium; die Häupter waren alle mit Decaze« verbun den. Royer Collard leitete den öffentlichen Unterricht; Barante war General-Direktor der indirekte» Steuern; Villcmain stand im Mi-