Volltext Seite (XML)
als er plötzlich die Dame in der sehr belebten Allee heran- kommcu sah. Max schwankte einen Augenblick, ob er sie hier erwarten oder nnckchrcn nnd nach dem von ihr angegebenen Orte hineilen solle. Das Letzte maßte ausfallen, denn die Danie hatte ihn ebenfalls schon bemerkt. Er konnte sie dadurch verletze», aber freilich, dies konnte noch mehr der Fall sein, wenn er ihr in der von der vor nehmen Welt belebten Allee begegnete, während sic einen einsamen Ort dazu bestimmt hatte. In dem Augenblicke, wo er sich zur Umkehr entschloß, sah er die Dame den Fnßstcg über die Wiese einschlagen, also eine Nich- tnng nehmen, die der znm Rendezvous bezeichneten Stelle gerade entgegengesetzt war. Er folgte ihr und überholte sie an einer Stelle, wo die Gebäude der Meierei sic vor den Blicken der Spaziergänger ver bargen. Die Dame erröthete, als er sie schüchtern begrüßte, nnd der Empfang, der ihm zn Theil wurde, bewies, daß er Unrecht gethan, ihr an einem anderen Orte, als dem von ihr bezeichneten, zu be- gegneu. „Ich hatte Ihnen geschrieben ,beim Labyrinth'!" begann sie mit leicht gereizter Stimme, indem sie sich scheu umsah. „Woher wußten Sie, daß ich von dieser Seite komme? Kennen Sie mich?" „Ich wußte nichts," stotterte er verlegen, „ich kam zn früh nnd machte einen Umweg ..." „Sagen Sie mir die Wahrheit," unterbrach ihn die Dame, ihn scharf ansehend, „wissen Sie, wer ich bin?" Der Ausdruck, mit welchem Max diese Frage verneinte und seine Vctrübniß darüber anSsprach, daß er sich ihren Umvillen zu- gezogen habe, war so überzeugend und seine Befangenheit so nu- schnldig naiv, daß die Dame ein freundliches, ermunterndes Lächeln nicht unterdrücken konnte. „Der Major war recht hart gegen Sie," änderte sie rasch das Thema, nnd als Max bei der Erinnerung an die heutige Szene heftig erröthete, fnhr sic mit Wärme fort: „Ich habe Sic bedauert, und das um so mehr, als ich die Veranlassung zu Ihrer Unaufmerk samkeit gab. Es mußte Jhucu auffatteu, daß eine Dame Sie mehr, als es sonst gewöhnlich ist, ins Auge faßte. Herr Holzmauu," lächelte sie, als Max bei diesen Worten abermals roth wurde, „ich will Sie nicht eitel machen. Obwohl Sie die Uniform recht gut kleidet, wäre» Sie mir doch nicht aufgefallen, wenn ich nicht be sonders durch das Schloß gegangen wäre, um Sie zu sehen. Aber," fuhr sie fort, ohne den überraschte» und neugierig fragenden Blick des jungen Mannes zu beachten, „wie kommen Sie in diesen Nock? Sie tragen nicht die Abzeichen eines Freikorporals und scheinen doch etwas Besseres zn sein, als ein gewöhnlicher Rekrut?" „Ich bin eine Waise," antwortete Max. „Mein Vater war ein armer Invalide, er starb, als ich fünfzehn Jahre alt war, sein Kamerad hat mich zu sich genommen nnd erziehen lassen. Seit drei Monaten diene ich als Gemeiner im Regiment Bornstedt. Ich bin iveder von Adel, noch habe ich Vermögen, um Frei, kvrpvral sein zu können. Die Hoffnung auf eine» Krieg ist es allein, die mich mit meinem Berufe versöhnt, im Felde habe ich Aussicht, eine Stelle zu erreichen, die meinen Kenntnissen, so gering sie auch sei» mögen, anbcmesscner ist, als meine jetzige. „Sie haben Schulbildung genossen?" fragte die Dame in auf fallend kühlerem Tone. „Ich habe das Gymnasium besucht." Das Antlitz der Dame ward heiterer, es schien, als wäre sie an ihm irre, als wisse sic noch nicht, ob sie Denjenigen vor sich habe, den sie in der Person des Rekruten gesucht. „Wo nahmen Sie die Mittel dazu her?" fragte sie hastig. „Ich erhielt eine Freistelle," entgegnete Max, dem dies Examen peinlich wurde, „aber ich biu nicht ganz ohne Mittel, ein vornehmer Onkel Hal mir eine kleine Erbschaft hinterlassen." „Ein vornehmer Onkel? Und Ihr Vater war ein armer In valide?" rief die Dame mit freundlichem Zunicken. „Sic machen mich nengierig,, erzählen Sie mir daS ausführlich. Wie kam es, daß der vornchmc Onkel nichts für Ihren Vater that, wie hieß dieser Onkel?" Max zuckte die Achsel». „Ich verstehe es selbst nicht," sagte er, „wie daö zusammcnhäugt. Als mein Vater starb, war ich noch sehr jung;, ich forschte damals nicht nnd hätte es auch nicht ge durft, deu Namen meines Onkels habe ich nie erfahren." „Sonderbar!" murmelte die Dame, wie in Gedanken ver- snnken. „Wie alt sind Sie jetzt?" fragte sie plötzlich. „Achtzehn Jahr." „Auch das stimmt!" murmelte sie für sich. „So jung!" sagte sie laut und hauchte dies Wort mit einem Ausdruck, als wäre die Zeit längst vorüber, wo man auch sie so genannt, und doch konnte sie allen ihr Alter angeben, denn wer in den Frühling ihrer Züge schante, dachte nicht an Jahre, so lieblich blühte in ihnen der Mai des Lebens. Sic hatte die Haltung, das Wesen, den Gang einer Frau, aber von ihrer Stirne strahlte noch die heitere Kindheit, daS Lächeln der Sorglosigkeit, und wenn Max ihr gegenüber eine ge wisse Scheu empfand, so entsprang diese nnr ans der Schüchtern heit, welche der Arme dem Vornehmen, die Keuschheit der Weib lichkeit und die frische Jugend der eleganten Schönheit gegenüber fühlt. Es wollte ihm nicht behagen, daß die Dame einen fast mütterlichen Ton annahm, nnd doch wagte er es nicht, anders als ehrfurchtsvoll zu antworte». „Wie alt war Ihr Vater, als er starb?" fragte sie weiter. „Lebte Ihre Matter damals noch?" „Meine Mntter habe ich nie gekannt, mein Vater starb nenn- »ndsiebzig Jahre alt." „Nenuundsiebzig Jahre!" wiederholte sic, „wissen Sie auch gewiß, daß cs Ihr rechter Vater Ivar." Max erröthete, schon auf der Schule hatten Neckereien diesen Zweifel angeregt, und als er älter geworden, war ihm dieser Punkt ein peinliches Thema geworden, denn er hatte zufällig erfahren, daß Holzmann nie verheirathet gewesen. „Ich werde Vieles," antwortete er, „was mir jetzt über meine Verhältnisse noch unklar ist, in meinem zwanzigsten Jahre erfahren. Bis dahin darf ich nicht danach forschen, ich habe dies gelobt nnd meine Neugier bezwungen." Die Dame schien den in diesen Worten versteckten Vorwurf zu fühlen, denn sie änderte das Thema. „Ihre Bildung und Ihr Zartgefühl," sagte sie, „passen nicht für Ihre Stellung, wie viel kostet es, um Sie freizukaufeu?" „Fräulein," antwortete er verletzt, „ich bin freiwillig eingc- treten, weil ich dadurch deu Wunsch meines sterbenden Vaters er füllte, aber wenn dies auch nicht der Fall wäre, so würde ich doch eine solche Unterstützung zurückwcisen, die mich dann zu Verpflich tungen führen würde, denen ich nicht genügen kann." „Pardon!" lächelte sie so verführerisch, daß die Wolke von seiner Stirn verschwand; „ich wollte Sie nicht verletzen, ich dachte nur au die heutige Szene. Aber darf man sich denn nicht für Sie intercssircn? Dieser Stolz würde Ihnen noch besser stehen, wenn Sie eine Silbertressc am Hntc hätten, und Frcikvrporale werden anders behandelt als Rekruten." „Es iväre mein sehnlichster Wunsch, zu.avaucireu, aber wer sollte sich für mich verwenden!" „Wollen sehen," lächelte die Dame geheimnißvoll. „Doch, meine Zeit ist vorüber, ich mnß Sic jetzt verlassen. Werden Sie meinem Rufe Folge leisten, wenn ich Sic wieder um ciu Gespräch bitte?" „Gewiß," betheuerte er treuherzig, uud, lächelnd über diese Galanterie ohne Worte, reichte sie ihm die Hand. „Sie dürfen mir jetzt nicht folgen und dürfen nicht neugierig sein," erhob sie den Finger warnend. „Sobald Sic zu erfahren suchen, wer ich bin, müßte ich Ihnen zürnen." Max drückte die kleine Hand, bei deren Berührung cs ihn heiß überlief, als wollte er sein Versprechen bekräftigen, nnd die Dame mußte abermals lächeln, als er cs versäumte, sie au die Lippen zu führe». Sei» Blick sagte cs, daß er dies »icht wagte. Noch nie hatte Max so zarte Finger gesehen, noch nie den Duft vornehmer Weiblichkeit geathmet, cs dnrchzitterte ihn das uuaus- sprechliche Gefühl jener Liebe, welche cmbctet, in welcher die Sinn lichkeit noch wie ein verhüllter Zauber die Reinheit der Sehnsucht mit ihren Ahnungen umhaucht. Nachdem er ihr versprochen, sich weder umzuschauen, noch ihr zu folgen, zog die Dame ihre Hand leise aus der seiuigeu uud schwebte mit freundlichem Gruße davon. Die Dame eilte raschen Schrittes dem Thore zu, nachdem sie sich mehrmals umgcschaut, ob Max auch sein Wort halte, nnd als sie bemerkte, daß derselbe den entgegengesetzten Weg eiuschlug und seine Schritte nach dem Dickicht deS Thiergartens richtete, flog . wiederum ein Lächeln über ihre Züge, aber diesmal hatte es