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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.03.1905
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1905-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19050311027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1905031102
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1905031102
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1905
-
Monat
1905-03
- Tag 1905-03-11
-
Monat
1905-03
-
Jahr
1905
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Annahmefchlutz für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen und stet» an dir Expedition zu richten. Extra-Beilagen («ar mit der Morgen- Ausgabe) nach besonderer Vereinbarung. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- abend» 7 Uhr. Druck and Verlag von E. Polt in Leipzig (Znh. vr. V.. R. L W. tkliakhardt). SS. Jahrgang. Var MGtigrte vom Lage. * Dir Reise des Königs nach Zwickau, Werdau, Crimmitschau, Meerane und Glauchau ist bis Ende August verschoben worden. (S. Sachsen.) * Die ungarischen Sozialisten berufen für Ostern einen Landesparteitag nach Pest ein. * Nach einer Meldung aus Hamburg veranlaßte eine Plötzlich eingelaufene Ordre die Sistierung der Kohlenzufuhr an oie für Rußland im Hafen befindlichen Dampfer der Paketfahrt gesellschaft. * In Petersburg ist unter dem Vorsitz des Finanzministers eine neue Kommission für die Arbeiterfrage gebildet worden. Sämt liche, für die Schidlowsky-Kommission gewählten Ver - trauensmänner sind verhaftet worden. An der Wolga wurde angeblich dieschwäbischeKolonie bei Zaritzin überfallen. (S. den Artikel.) * Im Hotel Bristol in Petersburg hat eine Dynamitexplosion stattgefunden. (Siehe den Artikel.) * Der „Standard" behauptet, mehrere russische Armeekorps nördlich und östlich von Mukden seien von den Japanern umzingelt wor den: die Nachricht ist nicht bestätigt. (S. russ.-jap. Krieg.) Vie verchichtr von Sek blanlren Wie. (DonunsermBerlinerKorrespondenten.) * Berlin, 11. März. Alle diejenigen, die nicht wissen, was die „Blanke Hölle" ist, hätten jetzt Gelegenheit, ihre Kenntnisse er heblich zu erweitern. Wäre ich gestern gefragt worden, so würde ich etwa geraten haben, so heiße eines jener un seligen Kabaretts, in denen jetzt die goldene Jugend Berlins ihre angeblich literarische Wonne sucht. Oder ich hätte auch vielleicht darauf gewettet, daß es eine Kaschemme sei, deren Besitzer in Spitzbubenhumor ar beitet. Weit gefehlt. Es ist ein Teich auf dem Tempel hofer Felde, der, wie der Gerichtsbericht meldet, wegen seiner schönen Lage das Ziel vieler Ausflügler ist. An diesem Teich hat am 12. September 1904 der zwanzig, jährige Versicherungsbeamte Knappe ein Stündchen seliger Sammlung verlebt. Tort saß er und las, dem jungen Weither nicht unähnlich, ein hoffentlich harmloses Buch und aus der Tatsache, daß er eine weiße Weste trug, läßt sich wohl mit Sicherheit schließen, daß dieses Buch in der Tat weder Casannova noch Paul de Kock war. Doch gleichviel. Er erwachte plötzlich aus seiner schwärmenden Entrücktheit, denn mit einem Male stand ein Fähnlein von Männern um ihn, die ihn trotz seines Protestes zwangen, mit einer ganzen Schar fragwürdiger Gestalten nach dem nächsten Polizeibureau zu marschieren. Der junge Idylliker weigerte sich mitzugehen, worauf man ihm Handschellen anlegte. Obwohl die Personalien Knappes, der ein Sohn anständiger Eltern und gänzlich unbescholten ist, telephonisch bestätigt wurden, blieb er doch sistiert, bis die Vernehmungen sämtlich beendet waren. Diese Vorfälle hat ein hiesiges Blatt der Oeffent- lichkeit überliefert und nun saßen der betreffende Redak- teur und der Delinquent Knappe auf der Anklagebank, weil die Polizei Strafantrag gestellt hatte. Augenschein- lich hat die Polizei ein sehr gutes Gewissen. Es fragt sich nur, ob die objektive Berechtigung zu ihrer seligen Ruhe vorhanden ist. Der Tatbestand wurde vor Gericht erwiesen, nur die eine Angabe blieb unbestimmt, ob Knappe, wie er behauptet, wirklich Stockschläge erhalten habe oder nicht. Nun könnte man den Vorfall unter die Leporelloliste der bekannten Mißgriffe von Unterbeamten einreihen, aber wir dürfen an der Angelegenheit deshalb nicht Vorbeigehen, weil der Vorsitzende des Gerichtes eine Reihe von Aeußerungen getan hat, die zum Protest herausfordern. So fragt er -en Angeklagten, wie er dazu gekommen sei, zur „Welt am Montag" zu rennen und sich dort zu beschweren, das sei doch bloß geschehen, um Klatsch und Reklame zu machen. Mit Verlaub. Jeder Privatmann ist berechtigt, der Presse von einem solchen Vorfälle Mitteilung zu machen. Unserer Ansicht nach erfüllt er damit sogar eine Pflicht und wirkt nützlich, denn wir möchten einmal sehen, zu welchen Ausschrei tungen subalterne Willkür sich hinreißen ließe, wenn nicht die unbequeme Kontrolle durch die Presse vorhanden wäre. Als ein Entlastungszeuge angibt, Knappe sei eine halbe Stunde mit ihm zusammen in die Zelle gesperrt worden, wirft der Vorsitzende ein, der Zeuge habe natür lich ein Interesse daran, die Zeit als möglichst lang hin zustellen, worauf der Verteidiger antwortet: „Und um- gekehrt haben die Herren Beamten ein lebhaftes Interesse daran, die Zeit als möglichst kurz anzugeben." Und nun die Motivierung. Ta heißt es: Die Polizei sei berechtigt, Razzias vorzunehmen und Leute zu ver haften. Es ist also bedenklich, auf dem höchst anstän digen Tempelhofer Feld, auf dem sich an Sommer nachmittagen Tausende ergehen, vormittags um elf Uhr ein Buch zu lesen. Tas Gericht findet es begreiflich, daß Verfehlungen einzelner Beamten vorgekommen seien. Wir finden es auch begreiflich, weil es eben diesen Be amten an Menschenkenntnis fehlt, aber wir finden es nicht gut, daß an der Spitze von 20 Polizisten ein Be amter steht, der den Irrtum nicht korrigiert. Der Ge- rickstshof erkennt an, es sei Herrn Knappe allerdings übel mitgespielt worden und trotzdem meint er: es hätte sich doch nicht gelohnt, ein solches Aufheben zu machen. Das scheint uns ein logischer Widerspruch. Außerdem aber tritt in dieser Motivierung eine merkwürdige Auf fassung der staatsbürgerlichen Rechte zutage. Man braucht sich nur in die Lage des Angeklagten zu versetzen. Endlich hat der Gerichtshof wieder einmal konstatiert, die Presse habe nicht mehr Recht, öffentliche Mißstände zu rügen, als jede Privatperson. Ueber diese Fest- stellung, die ja schon Hunderte von Malen erörtert wor den ist, kann nian trotz ihrer hohen juristischen Herkunft zur Tagesordnung übergehen. Eine Presse, die öffent- lick>e Mißstände nicht rügen wollte, wäre überflüssig und schädlich. Die Presse wird auch in dieser Tätigkeit, die ihr erst die volle Existenzberechtigung sichert, unbe- irrt fortfahren und ganz sicher wird sich sehr bald die Anschauung, daß sie mit Erörterung öffentlicher Miß- stände nur ihre Pflicht erfüllt, auch in der juristischen Auffassung durchsetzen, weil diese sich eben über kürz oder lang doch immer der allgemeinen Auffassung anpassen muß. ver Humana in Siiamrtattilra. Die Gvambo». Durch einen der kürzlich nach Deutschland zurückgekehrten bisher im Norden der Kolonie tätig gewesenen „alten Süd- wejtafrikaner" ist die Nachricht hierher gelangt, daß der auf rührerische Häuptling Nechale zurzeit, als die von seinem Stamme zerstörte Regierungsstation Amutoni von der Schutz truppe wieder besetzt wurde, in dem Glauben, daß gegen ihn vorgeaangen werden soll, sich an die benachbarten Ovambo- häuptlinge um Unterstützung gewandt, aber überall ablehnende Antworten erhalten habe. Diese Tatsache ist zur Beurteilung des Verhaltens der Ovambo bei einer etwaigen Strafexpe- dition gegen Nechale von größter Wichtigkeit. Nach wie vor vertritt daher die „K. Ztg." den Standpunkt, daß die schleunige Bestrafung des unverschämten Nechale im Interesse des An- sehens der deutschen Verwaltung eine Notwendigkeit ist, daß durch ein Vorgehen gegen ihn die Ovambosrage nicht aus gerollt werden und daß die Durchführung einer Expedition aegen Nechale ohne große Truppenmacht und, da genügend gruppen jetzt im Schutzgebiet vorhanden sind, obne erhebliche Extraausgaben möglich sein wird. Am besten würde man gegen Nechale nach der Regenzeit in den Monaten Mai und Juni vorgehen. Als Führer der Expedition sollte man, da politische Verhandlungen mit Ovambostämmen in Betracht kommen können, einen alten südwestafrilanischen Schutz- truppenofsizier wählen. Lrgäiiznngrtranrp-rl. Verschiedenen Blättern zufolge ist beabsichtkgt, alle zwei Monate einen Ergänzungstransport nach Süd afrika zu senden. Diese Transporte haben den Zweck, die im Aufstandsgebiet befindlichen Feldtrupven in ihrer feld mäßigen Stärke zu erhalten. Nach den bisherigen ersahrungs- mätzigen Abgängen, Verlusten, Krankheiten usw. werden dazu ungefähr 200 bis 250 Mann aller Waffengattungen einschließ lich Sanitätspersonal und Verwaltungsbeamten genügen. Der nächste derartige Transport wird voraussichtlich kurz vor Ostern, etwa am 20. April, abgesandt werden. Eine Bildung von neuen Kadres wird nicht beabsichtigt. Am 18. März treten einzelne Beamte in geringer Anzahl (Veterinäre, Jn- tendanturbeamte) mit einem Dampfer der Ostafrika-Linie, welcher Swakopmund berührt, die Ausreise nach Südwest afrika an. Ebenso werden Mitte März auch einige Motor- Draisinen in das Schutzgebiet abgehen, die für den Bahnbau bestimmt sind, wenn sie sich in den Versuchen bewähren, die zurzeit auf der Militärbahn bei Station Klausdorf statt- sinden Vie Wrir in sturrianä. Vie Situation in Petersburg. Auf Beschluß des Ministerkomitees sind, wie aus Petersburg gemeldet wird, zu Mitgliedern der Kommis sion unter Vorsitz des F i n a n z m i n i st e r s, die über eine Aufbesserung der Lage der Arbeiter beraten soll, ernannt worden: Die Reichsratsmitglieder Schid kows k y, Balaschow und Stewens, die Geholfen des Finanz- und des Äckerbauministers Obolenski und Schwanebach und der dem Minister des Innern attachierte Geheimrat Ruka wischnikow. — Nach einer Depesche der ,,Voss. Ztg." sollen sämtliche für die vorige Schidlowskt-Kommission gewählten Vertrauensmänner verhaftet worden sein. Die Bahnhöfe sind von abreisenden Arbeitern über füllt, wie vor den Feiertagen. — Aus Petersburg meldet ferner ein Telegramm: In dem Hotel garni „Bristol , gegenüber der Isaaks-Kathedrale, in der Nähe der deutschen Botschaft, sand heute früh eine Dynamit explosion statt. Die Nachrichten über Unruhen in -er Provinz mehren sich erschreckend. An der Wolga ist angeblich die schwäbische Kolonie bei Zarizyn überfallen worden. In den Gouvernements Saratow, Samera, Orel, Kursk ist eine ernste, immer mehr anwachsende Revolte ausgebrochen, die erst im Sommer erwartet worden war, falls die Regierung ihre Haltung nicht aufgäbe. Die Bauern plündern, wenn man den Berichten vertrauen darf, und brennen und führen alles erreichbare Vieh sowie Inventar mit sich fort. Die Landpolizei erwies sich als zu schwach, auch das abgesandte Militär ist machtlos. ver runirch-japanftOe Weg. Vie Eroberung von Muk-en. Die unmittelbare militärische Bedeutung der Eroberung Mulde ns, das außer diesem mantschursichen Namen die chinesische Benennung Schenj-Jan (die geheiligte Hauptstadt) führt, wird verschieden bewertet. Sicher ist, datz erst die Be setzung des nördlichen Höhenrandes durch die Japaner den gesamten, von Kuropatkin im Bericht an den Zaren festgelegten Plan, das Zentrum und den östlichen Flügel seiner L>chlachlsront über den Hunho zurückzunehmen und am nördlichen Talrande erneuert Stellung nehmen zu lassem zu nicht gemacht bat. Wie in einer Betrachtung der „N Fr. Pr. oitsrührlich hergelegt wird, liegt Mulden auf einem Hügel, zu dessen Füßen der Liaofluß dahinströmt. Die Stadt, welche 500000 Einwohner, darunter 82 000 Chi- nesen, zählt, liegt ungefähr eine halbe Wer st von der Eisenbahnstation entfernt und gleich bei der Einfahrt in die Stadt fällt einem ein altes malayisches Kloster von eltsamer Form und Architektur auf. In diesem Kloster br and sich früher das Hauptquartier des Statt halters Alexew, umgeben von russischen Schildwachen und von ungeheuer großen Baracken für russische Truppen. In der Nähe des Klosters befindet sich das Haus des chi nesischen Ambanj (Gouverneurs). Die ziemlich große Stadt ist von einer Hohen, 20 Werst langen Mauer, sechs bis zehn Meter dick, umgeben und dürfte einst stark befestigt gelvesen sein. Am Anfang und am Ende der Hauptstraßen sind starte Tore, die zur Nachtzeit geschlossen werden. In den meisten Straßen befinden sich zahlreiche Buden, Kram läden, Schmiedewerkstätten und Teehäuser, in denen sich die Chinesen dem Opiumrauchen hingebcn. Zu den Sehens würdigkeiten Mukdens zählt der am Ende des Bazars liegende Götzentempel, welcher von einer Steinmauer umgeben ist. Vor dem Götzentempel ragen die heiligen Fichtenbäume empor, vor denen Gebete verrichtet werden. In der Mitte des Tempels erhebt sich eine Statue Buddhas aus Gold, vor welcher flache Schalen mit Oel aufgestellt sind. Der Kaiser palast, ein echt chinesisches Bauwerk, ist mit vergoldeten Dach- Feuilleton. Die Wehrlosen. Bon Eharlotte EilerSgaard. Sj Autorisierte Uebersetzung von Wilhelm Thal. Nachdruck verboten. „Wenn es so weitergeht", erklärte Helwig zum Schluß, „dann bringst du es nicht einmal bis zum Präliminarexamen —; du mußt dir die niedrigsten Stellungen bieten lassen und kannst nie in der Welt vorwärts kommen." Kaj murmelte, er frage garnichts danach, vorwärts zu kommen, er wollte lieber zur See. Er wollte an Bord eines Schiffes die Welt umsegeln. „Räuberhauptmann, was?" sagte der Vater. „Ja, das will ich noch lieber, als wie du auf einem Kontor eingeschlossen werden", versetzte Kaj naseweis und unartig. Der Vater gab es auf, vernünftig mit ihm zu sprechen. „Ja, nun werde ich dich einsperren", sagte er hitzig, stieß den Jungen samt seinen Büchern in eine kleine Dachkammer und schloß die Tür hinter ihm ab. „Jetzt bleibst du da, bis du deine Aufgaben gelernt hast." Aber Kaj fing an, mit dem Fuß gegen die Tür zu schlagen und zu donnern, daß man es unten hören konnte. Und da die Mutter nicht gestört werden durfte, so war Helwig gezwungen, dem Jungen wieder aufzu- schließen. Dann kam das Mittagessen auf den Tisch, und als das verzehrt war, mußte Helwig in das Kontor. Kaj nahm seine Revanche für das kleine Schar mützel, indem er -en ganzen Nachmittag draußen blieb. Nicht ein Buch rührte er an. Er kam erst zur Schlafenszeit nach Hause und schlich sich unbemerkt ins Bett. Tas Abendessen l)atte er bei den Nachbarsleuten bekommen, die zu dieser Zeit ganz besonders aufmerksam gegen die Kinder waren, weil 'die Mutter krank lag. Karen saß meistens still bei der Mutter. Sie reichte ihr Wasser und Hafersuppe, wenn sie es ver langte. Und wenn es in der Wiege zu schreien begann, ging sie hin und wiegte die kleine Schwester. Karen wurde in diesen Tagen ganz erwachsen und mütterlich. Sie war bald ganz unentbehrlich. Jetzt lag Frau Helwig da und sah zärtlich auf Karen. Wenn man ihr doch das Leben recht hell und gut gestalten könnte! Das kleine Mädchen war so lebhaft und begabt, — eigentlich mehr, als die Knaben. Und dann hatte sie auch Freude. Es lag Klarheit und Festigkeit in allem, was sie sich vornahm. Es war so traurig, daß sie sich damit begnügen mußte, in die»airm- selige Mädchenschule zu gehen. Wenn Karen in die lateinische Schule käme, würde sie es weit bringen. Aber in die gingen ja keine Mädchen. Wenigstens nicht in der Stadt. Dann mußte sie fort von Hause, aber das kostete viel zu viel. Frau Helwig seufzte. Für die Mädchen reichte es nicht. Karen und die Kleine in der Wiege mußten sich wohl mit Geringerem be gnügen, . . . mußten im Haus zur Hand gehen, . . . Hausfrauen toerden un- sich ihr Leben lang schinden und placken. Ach, pfui, nun wurde sie wirklich bitter. Und sie war doch so fröhlich. Sie brauchte ja gar- nicht so weit zu denken, es konnte doch auch Karen recht gut geben. Sie konnte ein schönes junges Mädchen werden. Und Frau Höegh konnte sie mit nach fremden Ländern nehmen, wo immer Sonne war und wo sie merkwürdige und wunderbare Dinge zu sehen bekam. Für sich hatte Fran Helwig solche Wünsche längst aufgegeben. Sie hatte sich damit vertraut gemacht, daß ihr Leben in derselben einförmigen Weise weitergehen würde. — Sie war zweimal in Kopenhagen gewesen, das waren die ganzen Reisen, die sie gemacht hatte.» Aber in Gedanken war sie viel gereist. Jetzt reiste sie für die Kinder. X. Frau Helwig war wieder auf und kam schnell in die alten und gewohnten Verhältnisse hinein. Es ging ja nicht, daß sie sich weiter schonte. Selbst der mißglückte Ausflug des Mannes nach der Villa war für sie kein Geheimnis mehr. Sie fiel weder in Ohnmacht, noch bekam sie Krämpfe, als man es ihr sagte. Sie sprachen auch nicht darüber, welche große Enttäuschung cs für sie war — oder wie schmerzlich es sie im tiefsten Innern packte. Mit der Klemen wollte es nicht recht werden, sie welkte langsam dahin. Es war so traurig, zu sehen, wie das kleine Kind sich in Krämpfen und Magenschmerzen wand. Zuletzt wurde die gellende Kinderstimme zu einem leisen, jammernden Stöhnen. Die Mutter stand stumm daneben und hielt die kleinen, kleinen Hände in den ihren. Helfen und lindern konnte sie ja nicht. Die Pulver, die mit Mühe in den kleinen Mund gestopft wurden, waren ohne jede Wirkung. Wenn man dem Kind die kleine Nase zuhielt, damit es die Medizin schlucken sollte, standen Kaj und Karen leise lachend da- neben und sahen zu. Sie ahnten ja nicht, wie ernst es war. Und selbst dann hätten sich sich wohl nicht darüber gegrämt. Die kloine Schwester war ihnen ja noch nicht fest ans Herz gewachsen. Sie war für sie mehr ein amüsantes kleines Ding, das in die einförmigen Tage etwas Abwechselung brachte. Es war nur unangenehm, daß Vater und Mutter so ernst und betrübt aussahen. Es wurde immer schlimmer mit dem Kind, täglich konnte man sein Ende erwarten. In der letzten Nacht wachten beide Eltern. Gegen Morgen ging ein langes Zucken über das Gesicht des Kindes, ein leichter Hauch — und das kleine Menschlein war nicht mehr. .Helwig konnte es nicht ertragen, daß seine Frau so still war. Sie hätte lieber weinen und klagen sollen. Dann konnte er sie besser trösten. Er wußte, daß sie am meisten Trost bedurfte. „Herr Gott, liebe Ellen", sagte er, „nimm es dir doch nicht so nahe. Es ist doch kein Unglück. Wir haben vor her schwerere Sorgen gehabt." „Das ist es ja gerade, daß es kein Unglück ist", sagte sie bitter. Darauf traten ihr die Tränen in die Augen, sie ging zur Wiege und nahm die kleinen, kalten, steifen Hände in die ihren. Helwig stand dabei und sah betrübt zu. Er dachte mehr an seine Frau, als an sein totes Kind. Wie sie sich verändert hatte, die kleine, hoffnungsfreudige Frau. Aber das kam wohl wieder. — Das mußte ja wieder kommen. Und dann wurde er von einer starken Dankbarkeit ergriffen, daß es nicht seine Frau war, die da an des Kindes Stelle lag. Er ging zu ihr und flüsterte cs ihr zu. Dann weinten sic zusammen über ihr totes Kind, fühlten aber gleichzeitig, daß sie zusammen gehörten und etwas aneinander besaßen. Das war eine von den feierlichen Stunden des Lebens, die uns aus dem Alltäglichen emporheben und gleichsam stärken, daß wir wieder in das Grau des Tages hinaus treten können. XI. Frau Helwig l>atte mit den Vorbereitungen zum Be gräbnisse viel zu tun. So bescheiden es auch sein sollte, es erforderte doch Arbeit und Umsicht. Und diese Arbeit dämpfte ihre Trauer etwas und half ihr, hie un- da zu vergessen. Sie kaufte einen ganz kleinen Eichensarg. Der schnxirze erinnerte sie so sehr an den Tod. — Ter gelbe, ausgeschlagene Sarg dagegen ähnelte einem Bette, in den: das Kind ruhig schlafen konnte. Absichtlich knauserte sie dabei nicht. „Die letzte kleine Aussteuer können wir ihr woKl geben", sagte sie. Helwig sprach nicht dagegen, obwohl er ihre Meinung nicht teilte. Ettern und Kinder inaren die einzigen, die an dem kleinen Grabe standen. Die Kinder hatten gebeten, mit dabei sein zu dürfen. Und sie durften die Kränze tragen,
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