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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. Pränumeration» P-eiS 22j Tgr. (Z Wr.f vierteljährlich, 3 Tdaler sür da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußiswen Monarchie. für die Man pränumerirt aus diese» Beiblatt der Altg-Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Rr. 34); in der Provinz so wie im Auslande bei de» WolMbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 136. Berlin, Montag den 10. Dezember 1832. Frankreich. Sittenschilderungen der Französischen Bretagne. Wir heulen einen Theil der Nieder-Brelagne beirclen, der ehe mals den Bihtlösin von Leon untergeben war nnd noch jetzt das Leonnesische heißt. Zn beiden Seiten gingen Bauern neben uns her. Sie hallen seit einigen Augenblicken angcsangen, kurze und raub tönende Ausrufungen mit einander zu wechseln, und wir be griffen nicht, was wobl so plötzlich ihr Stillschweigen und unsere Träumerei unterbrechen mochte, ass, beim Umbiegen um eine Hecke, ihre Blicke und Gebcrdcn uns einen Mann wahrnehmen ließen, der aus uns zukam. So viel wir merken tonnten, war es ein Bauer aus einem nicht fern liegenden Dorfe und ein Feind unserer Gefahr- ten, welche jetzt rascher znschriucn und mit steigender Hitze drohende und zornige Worte aussueßen. Sie stemmten ihre Stöcke heftiger gegen den Boden, und ibre Geberden wurden immer eifriger. Uebcr- zeugt, daß cs hier zu Thätlichkeiten kommen wurde, trieben wir un sere Pferde an, um im Noihsallc als Vermittler cinzuschreilcn. Un terdessen näherte sich dec Mann mit ruhigem Wesen, und man konnte nun seine GesichGzüge erkennen. Er trug etwas auf den. Arm, das die Bauern noch nicht unterscheiden konnten. Bald war er nur noch eine MannSlängc von ihnen entfernt. Jetzt streckten sie den rech ten Arm »ach hinten aus, ein dumpfes Gemurmel, der Vorläufer eine- Angriffs-Schreis, wurde hörbar; der Mann jedoch, ohne ste hen zu bleiben, hob lächelnd einen Zipfel de« Linnens in die Höbe, welches scin^Last verhüllte, und sogleich ließ man die Stöcke fallen, senkte die Häupter und griff beschämt nach Hut oder Mütze; man stellte sich >n zwei Reihen, um den Mann, den mail eben noch miß handeln wolllc, durchzulaffen, und Zeder ries ihm, als er durchging, ein halblautes: „Golles Segen!" zu. Diese Last aber, die vielleicht ein Verbrechen verhütet batte, war nichts Anderes, als ein kleines Kind in Windeln. Dem blassen und abgemagerten Gesichtchen nach, welches der aufgehobene Zipfel sehen ließ, hätte man eS für lobt halten können, wenn es nicht, von der kalten Luft erweckt, geschriecn hätte. — Der Anblick dieses ar men kleinen Wesens Halle also hingereicht, in den Bauern alle Feindschaft zu unterdrücke». Sie waren wieder stumm geworden und setzten ihren Weg mißvergnügt und in einer Art von Stumpf sinn fort; wir Beide aber, wir sahen uns an, von demselben Ge danken ergriffen. Dieser Zug von den Sitten der Lconncfen war gleichsam die Inschrift, in welcher wir den ganzen Charakter des Landes lasen, das wir jetzt durchwanderte». Wenn die gleichförmige Abwechselung des Lebens das Herz an- ekelt, möcktc man sich aus dem Kreise der Alltäglichkeit Hinausstür ze», aus Erwerbung »euer Eindrücke, ans Erinnerungen aus einer fremden Welt ausziehrn. Gewöhnlich kehrt man auch mit einem reichen Vorrath von Bildern, aber dennoch verstimmt zurück. „Was liegt", ruft man, „an der Verschiedenheit des Himmels und des Bodens, der Sillen und Sprachen; es sind doch überall die Men schen des 1Ncn Jahrhunderts!" Das Leonnesische liegt nicht außerhalb unseres Französischen Vaterlandes. Stine Haiden, seine Wälder, seine poetischen so ma lerischen User werden vielleicht Vielen nickt anders Vorkommen, al so manche andere Haiden, Wälder und User, die sie gesehen und bewundert habe». 'Wxx aber, in der That, sich gern in die Mitte von moralischen Begriffen, Glaubens-Meinungen, Ideen und Svm- pathiee» versetz, sehe» möchte, wie wir sie nur noch in der Geschickte finden, dem wollen wir z„r»fen: „Gehe hin ins Leonnesische' I» diesem Winkel Frankreich» scheint ein Schatten au- dem Miltelattcr sich festgesetzt und sein alte- Geschlecht vor dem Schimmer unsere» schwankenden Skeptizismus bewahr, zu haben." Zn den übrigen Theilen der Bretagne ist der Bauer nicht so wohl religiös als andächtig. Zst auch her Gottesdienst noch Allcs für ibn, murmcin auch feine Lippen unaufhörlich Gebete her, bat auch Gewohnheit wie die Erinnerung des früheren Zoches seine Stirn gebeugt, so sann man sich doch' leicht überzeugen, daß der Feuereifer seines Glaubens abgeküblt ist, daß seine Seele sich nickt mehr so arglos dem Glauben an Paradies und Hölle bingiebt, daß die heilige Andacht nich, mehr steinerne Stufen aushöhlt, die Reite nickt mehr den Beichtstuhl abnutzt. Nur der Leonnese hat da- tiefe Gepräge jenes trüben und mvstisckcn Wesen» behalten, welche» den wahren Katholizismus bekundet. Sine träumerische Sckwcrinuth nm- stort seine Unwissenheit. Ernst, in sich gekehrt, schein! ihn der Ver kehr mit der äußeren Welt wenig zu kümmern; sein Leben ist fast ganz in einen Theil seines tiefsten Inner» zuriickgedrängt; die Hülle gleicht ciiiem hohen Berge, rauh u»d eisig, aber man ahnt, daß im Znncrn ein Vulkan siedet. Der Gang des Leonncsen ist langsam, feierlich, kräftig; er schreitet einher, als Mensch und als Christ, unter dem Auge Gottes. Seine Freude ist ernst, und nur zuweilen bricht ein Schimmer der selben, gleichsam wider seinen Willen, hervor Seine Sprache, har monischer und stärker accentuirt, als die in Cornwallis, ist eine Art von Gesang, den er modutirt, je nachdem er mehr oder weniger sanft sprechen will. Die fröhlichen Tänze der Berg-Bewohner sind ibm unbekannt-; sein Tanz, beim einfachen etwa» kläglichen Ton de» Binion, ist steif und düster; er findet meistens auf dem sandigen Mccrc-uscr bci dem majestätischen Brausen der Wellen statt, und selbst diesen iroischcn Freuden mischt der Leonnese instinklarlig einen heiligen und ernsten Gedanken an die Ewigkeit bei. Der Leonnese trägt weite, fliegende, schwarze Gewänder. Nur ein rotber oder blauer Gurt gicbt ihnen ein wenig Lebhaftigkeit. Der breite Rand des Hutes fallt über das braune Antlitz herab, und die Haare stiegen um die Schultern. Die Kleidung der Frauen ist nicht weniger düster; sie ist weiß und schwarz, und die weiten keusch verhüllenden Gewänder haben viel Aehnlichkclt mit denen unserer Hospital-Schwestern. Ihre Trauerklcider allein sind etwas mnntr- rcr; sie sind blau wie der Himmel, das Ziel ihre- Hoffens. Diese Christen trage» Trauer nm da- Leben, nicht nm den Tod. Wir haben das düstere unh cinsörmige Leben des Leonnese» siudirt und sanden cs stets auf dieselbe Art beschaffen. Für ihn giebt cs kcinc wichtige Handlung, ohne Einmischung der Religion. Das neu erbaute Haus, die neue Tcniie, der frisch bestellte Äcker, Alles gicbt Anlaß zzz frommen Cercmonic». Wir befragten einst Einen ron ihnen über die Bedeutung einer Prozession um den Acker, die zur Zeit der „Fürbitten" angcstellt wird. „Das muß sepn", sagte er; „denn dcr schlechte Acker wird fruchtbar unter dem Priester- rocke." Bei Tische beschcidcl sich der Hunger, bis der Segen ge sprochen ist; man würde kein Stück Brod abschnciden, ohne vorher nm dem Messer das Zeichen der Erlösung zu macken. An große» Festtagen befreit weder Entfernung noch Schwächlichkeit vom Kirch gänge, und es ist ein desonberer Anblick, zu sehen, wie sich al-danu die Straßen mit Männern, Frauen und Kindern, Alle im höchsten Putze, anfüllc». Von allen Seiten komme» sie hervor; bci jedem Schritte, hinter jedem Strauche erblickt man Gruppen von Kirch- gehern mit Rosenkränzen in den Händen. Während dessen hört man das ferne Glockengclänte, mit seinen geistcrartigen so sanft erzittern den Tönen. Der Wind trägt sie uns zu, diese Töne, über Hügel und Flüsse, bald klagend und düster, bald hell und fröhlich; denn diese luftigen Stimmen scheinen bald diesen, bald jenen Ausdruck anzunehmcn, je nachdem die Sonne scheint, der Wind weht, oder auch dcr Hörer schwermülhig oder heiter gestimmt ist. Die Kirche ist. sür die Leonnestschen Bauern der einzige Vereini gungs-Punkt. Zn einzelnen Meierhösen und im engen Familien- Verein lebend, kommen sie fast nie ander- zusammen, als in der Kirche, uni zu beten, oder aus dem Kirchhofe, »m ihren Sarg zu füllen. Die Kirche ist ihr Schauspiel, ihr Erholungs-Ort. Außer halb dieser schleicht ihr schwerfällige- Lcbeil unter immer wiederkeh- reneen gcistlödteiidcn Arbeiten hin, die keiucm einzigen Gedanken Raum lassen. „Der Nied'er-Brclagner Bauer ist ein Pflug, der an Gott glaubt", sagte uns einst Jemand. Es liegt Wahres hierin, wem, man die zwei Haupttbeilc, die sein ganzes Wesen bilde», von einander sondert: die Maschine nnd den Christen. Dieses im Ur-Zustande lebende Volk begreift wenig von den hei ligen Pflichten de« civilisirten Menschen und unterwirft sich ihnen fast nur gezwungen. Dein Leonncsen ist die bürgerliche Ehe ein Un- dnig, den Unterschleis hält er sür erlaubt, politische Rechte sind für ihn ohne Werth und Bürger-Pflichten ein Rätbsel. Die Frcischiile sieht er keinesweges als eine Begünstigung der Regierung an. Es ist, sagt er, eine K i n d er-C o n scri Pti o n, welche ibn ihrer schwa chen Hülfe beraubt, die seine Arbeit erleichtern könnte. Dennoch besitzt cr, neben dieser Gleichgültigkeit für Alles, was'die Gesellschaft so hoch ball, einen Schatz christlicher Tugenden, die mau ander wärts nicht findet. ' . Unsere Staat»-Orkonomcn würden nicht wenig erschrecken über die Unbedachtsamkeit, mit welcher diese armen Leute das Ebeband knüpfen nnd neuen Konsumenten da- Dasevn geben. Viele von de nen, die heiralhen, haben nickt einmal eins» Or«, »m in der ersten