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Wöchentlich erscheine« drei Nummern. Pränumerattont- Pnl« 22^ Szr. (Z Ulr.) »lecteljiihrlich, 3 Thaler für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man »ränumerirt auf diese* Beiblatt der Allg.Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expeditton (Mohren-Straße Rr. A4); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 102. Berlin, Freitag den 21. September 1832. Fr ankreich. Scenen aus Südamerika. Die Osterwoche in Quito. (AuS dem noch nicht im Druck erschienenen Tagebuche des Herrn v. Raige- cvurt, der im Jahr 4830 Sud-Amerika durchreiste-) Weich' seltsame Stadt ist Quito! Aus dem Abhänge des Pi- chincha, eines erloschenen, aber noch rauchenden Vulkans, erbaut, mit seinen treppenartigen Straßen, der Menge seiner Kirchen, Thürme und Klöster, unter denen sich vornehmlich das des heiligen Franziskus auszcichnct, für dessen Erbauung der Schatz des Königs von Spanien sechszig Jahre lang zur Verfügung des Ordens gestan den haben soll, gewahrt Quito dem eintreiendcn Wanderer einen eben so seltsamen als malerischen Anblick. Die Stadt liegt über mehreren tiefen Schluchten, und hat cs dieser wunderbaren Lage zu verdanken, daß sie von den Erdbeben, von denen die Umgegend heini- gesucht wird, nichts zu leiden hat. Diese Schluchten sind in dem größten Theile der Stadt durch Brucken, Hauser oder natürliche Ge wölbe gänzlich verdeckt. Die Straßen sind, obgleich die heftigen und in kurzen Zwischenräumen auf einander folgenden Regengüsse dieselben reinigen, dennoch die schmutzigsten, die ich vielleicht gese hen habe; denn man kennt hier keine der einfachsten Maaßrcgeln, die in Europa für die Reinlichkeit und das Gesundheitswesen vorgc- schrieben sind; die öffentliche Straße ist der Ort, wohin aller Schmutz und alle Unreinigkeiten geworfen werden. Quito liegt nur 13' 17" von der Linie entfernt; Tag und Nacht sind einander gleich; die Temperatur wechselt zwischen 40 und 48 Grad, und ist für den, der aus warmen Gegenden kommt, so kalt, daß ich die ganze Zeit mei nes dortigen Aufenthaltes hindurch, trotz aller Schutzmittel, die ich dagegen ergriff, empfindlich davon litt. Freilich kann ich bas Ein- heizen unter diese Schutzmittel nicht rechnen, denn die Kamine sind dort vollkommen unbekannt. Die Lage der Stadt, die einzige der Art in der Welt, bringt cs mit sich, daß man im Umkreise einiger Stunden alle Temperaturen der Erde, von der eisigen bis zur heißen Zone, findet, und gewährt den großen Vorlhcil, daß man die Er zeugnisse aller Klimaten das ganze Jahr hindurch haben kann. Das Europäische Obst, und namentlich die Pfirsichen, sind indessen sehr mittelmäßig. Wir langten am 13. März 1830 bei starkem Regen, der den Straßen das Ansehen von Flüssen gab, in Quito an. Die Kunde von unserer Ankunft setzte die ganze Stadt in Bewegung; Jedermann wollte uns sehen. Die Bewegung ist so sehr gegen die Natur dieser Völker, daß sie sich nicht verstellen können, Jemand verlasse seine Heimach nur, um andere Länder zu sehen; sie legen daher Reisen den immer Zwecke des Eigennutzes oder Ehrgeizes unter. Ich reiste mit einem junge» Verwandten, dessen Name etwas Deutsch klingt; ich für meine Person war Französischer Militair, und hierauf bau ten die keilte die seltsame Hppothese, mein Reisegefährte fep der Herzog von Reichstadt und ich sein Adjutant. Daraus erklärte sich die ungeduldige Eile, mit der die Einwohner uns besuchten, und vielleicht war eS dies alberne Gerücht, dem wir unsere Einführung in die besten Gesellschaften verdankten. Jedoch muß ich anerkennen, daß auch »ach cingeschenem Jrrthum die Höflichkeit gegen uns die selbe blieb. hjr Feierlichkeiten der Osterwoche nahe waren, so beschlossen wir, einige Ausflüge in die Umgegenden von Quito zu machen, und verschoben unsere Abreise bis nach Ostern; denn wenn der Glanz und die Pracht des Osterfestes in Rom imposant sind, so ist die Feier desselben i» Quito durch ihre Eigenthümlichkeit nicht minder anziehend. Ostern fiel dieses Jahr auf den 44. April, und acht Tage vorher, mit dem Sonnabend vor de« Palmsonntag, be gannen die Cercmonicn, welche die ganze Charwoche hindurch unun terbrochen sortdauerten. Am Abe»d dieses Tages zogen fünf Män ner unter unseren Fenstern vorüber, seltsame weißgekleidete Figu ren, denen ein Schwarm von Kindern, Lieder singend, voranging. Jede dieser Figuren trug eine fünf bis sechs Fuß hohe Mütze von Zuckerbrot aus'dem Kopse, an welcher hinten zwei lange schmale Bänder herabhmgen, die manchmal die Erde fegten. Ein weißer Nock, der durch einen Gürtel scstgehalten wurde und bis an die Fersen hcrabrcichtc, bedeckte den übrigen Theil des Körpers; in der Hand trugen sie Klingeln, die sic abwechselnd ertönen ließen. Diese Figuren werden heilige Seelen (»Imas santas) genannt, aus welchem Grunde, weiß ich nicht. Am folgenden Tage ging ich nach der Kathedrale, um der Ein weihung der Palmen beizuwvhnen; die Kirche war voll von Leuten, die an langen Stäben große Bündel grüner Zweige von Palmen, Bananen oder Schilf trugen; die Bananeiiblätler waren manchmal höchst künstlich mit einander verflochten. Da ich zu lange auf den Beginn der Feierlichkeit warten mußte, so ging ich fort und wandte mich nach dem Franziskaner-Kloster, wo in diesem Augenblick die Prozession dieser Mönche, singend und Palmcnzwcige tragend, in die Kirche zurückkehrtc; sie schritten einem Heiligen voran, von dem ich an fangs glaubte, er werde von ihnen getragen; aber die seltsamen Bewe gungen, die ich ihn machen sah, veranlaßten mich, ihn in der Nahe zu prüfen, als die Prozession eben unter den Bogen des Klosters Halt machte, und nicht ohne Verwunderung entdeckte ich, daß der Heilige von einem Esel getragen wurde, der seiner Last überdrüssig war und sic unfehlbar abgcworscn haben würde, wenn nicht zwei aus beiden Seiten stehende Männer unaufhörlich beschäftigt gewesen wären, ihn im Gleichgewicht zu erhallen. Die Lachlust, die mich bei diesem Anblick ergriff, und die ich nur mit Mühe unterdrücken konnte, lheille sich dcni Pater Provinzial mit, der zufällig einen Blick nach mir hinwarf und schnell den Kopf neigte und sich das Gesicht mit seinem Gebetbuchs bedeckte. Ein noch sonderbareres Schauspiel genoß ich in der Kirche der heiligen Klara, wo ich durch das Gitter die Nonnen des dazu gehörenden Klosters einen Esel geschäftig umgeben, dann nicderknieen und beten sah; wahrscheinlich war das Thier bestimmt, in einer ähnlichen Prozession, wie die vor hin beschriebene, eine Nolle zu spielen. Eine noch größere Prozession als die erste kam Abends aus dem Franziskaner Kloster und zog unter meinen Fenstern vorbei. Boran marschirte eine Anzahl Männer, die an langen Stöcken Laternen tru gen, von denen die ersten zwei die Form von Sternen hatten; hier auf folgten zwei Figuren, deren eine, wie man mir sagte, Johannes den Evangelisten und Lie andere die heilige Magdalena vorstellten, hinter ihnen drei heilige Seelen, wie ich sie oben beschrieben, nur ragte die in der Lütte gehende mit dem ganzen Kopfe über ihre Gefährten hervor und trug eine lange weiße Schleppe, die von einem als Engel gekleideten und mit zwei Flügeln versehenen Knaben ge halten wurde. Diese drei Figuren bewegten abwechselnd ihre Klin geln, so daß der Ton ununterbrochen war. Eine Anzahl Frauen, unter denen ich mehrere von Stande bemerkte, folgte in zwei Reihen und Wachskerzen tragend; zwischen den Reihen sah man einige Fran ziskaner-Mönche beschäftigt, die Ordnung aufrecht zu erhalten; dann kamen abermals drei heilige Seelen, die mittlere um einen Kopf größer, als die beiden andern, sie waren aber schwarz gekleidet und irugen einen langen Legen an der Seite; hinter ihnen gingen je zwei und zwei die Barbiere der Stadt barhaupt und barfuß, übrigens aber in ihrem schwarzen Staats-Kostüm; jeder trug ein großes sil bernes Rauchfaß an zwei Ketten von demselben Metall. Jetzt folgte eine große Tragbahre von Goldleiste», mit einem Thronhimmel be deckt und mit Lampen, Spiegeln und Heiligenbildern geschmückt; auf der Bahre sah man den Heiland in einem langen, goldgestickten Ge wände und sein Kreuz tragend; hinter ihm Don Simon den Evre- naer, wie ihn die Umstehenden nannten, der, anstatt wie cs gewöhn lich der Fall ist, das Kreuz tragen zu helfen, sich damit begnügte, dasselbe mit einer Hand zu unterstützen. Don Simon war von schlan kem Wüchse, trug eine Halsbinde bis an die Ohren, einen großen Schnurrbart und' den Hut siutzcrmäßig aus die Seite gerückt. Frauen mit Wachskerzen folgten der Bahre, deren Last zwanzig Träger fast erdrückte, dann der Polizei-Präsident mit einer großen Laterne und von zwei Franziskanern begleitet, endlich die heilige Jungfrau in einem blausammlenen mit goldene» Sternen gestickten Kleide. In Zwischenräumen standen an der Seite Musikchöre, welche Mißtöne vernehmen ließen, die ich nur denen vergleichen kann, welche bei uns das Instrument des kleinen Savoyarden' hervorbringt, der seine Ma rionetten tanzen läßt. Diese Prozession bewegte sich langsam durch eine lange etwas abschüssige Straße und brachte, ungeachtet manches Lächerlichen, dennoch eine imposante Wirkung hervor. Am folgenden Morgen sand eine zweite, aber weit weniger glän zende Prozession statt,'die ganz von Indianern gebildet war und nichts Bemerke,iswerthes darbot. Im Lause des Tages kam ein von Kops bis zum Fuße Violet gekleideter Mann mit einem Ledcrgürtek und das Gesicht mit einer Maske verdeckt, zu mir; ich wartete ruhig, bis er mir den Zweck seines Besuches sagen würde; er blieb aber bescheiden an der Thürschwelle stehen, ohne ein Wort zu sprechen, schlug dreimal mit einem Geldstücke an einen silbernen Teller, den er in der Hand hielt und entfernte sich schweigend; ihm folgte ein