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Z46 Bon 1814 bis 1828 ist er, seiner Familie zu Gefallen, um nicht plötzlich Verpflichtungen auszuhebe», die ihm eine Stellung in der Welt gaben, und um den Borwurf der Inkonsequenz und des Leicht sinnes zu vermeiden, den müßige Zungen so leicht Vorbringen, im Dienst geblieben; er hat seinen persönliche» Geschmack vcrläugnct, ohne deshalb ans seine Lieblings-Studien Verzicht zu leisten. Aber allem Anschein nach ist diese gezwungene Lage ihm von Nutzen ge wesen. Wenn er in Paris einer friedlichen Muße genossen hätte, würde er sich vielleicht in die literarischen Zirkel und Cotcriecn ge- ruischt haben, die sich in die Salons der Restauration theilten und das Abbild, zuweilen auch die Karrikatur der parlamentarischen Strei tigkeiten waren; vielleicht wäre es genöthigt gewesen, bei den Kämpfen über die Freiheit der Kunst seine Stimme in die Waagschale zu werfen. Ich glaube aber, daß, ungeachtet des bedeutenden Aufwan des an Geist und Worten, mit Hülfe welcher die literarische» Athe näen der Restauration zehn Jahre hindurch ihre Lehrstühle auszu- süllen und ihre Zuhörer zu beschäftige» gewußt haben, dieser gelehrte Müßiggang, diese ewigen Streitigkeiten über den Geschmack und das Genie, über Boileau und Shakespeare, über das Mittelalter und das Alterlhum der Kunst, an upd für sich mehr Schaden als Nutzen gebracht habe». Wenn die Wiedergeburt des Theaters nahe bevor stehend sepn soll, so zweifle ich, ob es das sicherste Mittel ist, dieselbe zu beeilen, wenn man weiß, ob Rabelais und Callot im Aristophancs und in den Römischen Basreliefs den ewigen Typus des Humors gefunden haben, den Andere, ich weiß nicht warum, der Entwicke lung des Christenthumes zuschreiben. — Schatten der Redner Athen's und Roms, wenn Ihr den Sitzungen unserer modernen Akadcmiee» beiwohntet, wie eifersüchtig müßtet Ihr nicht auf unsere klangrcichen Perioden, auf unsere verrätherischen Einschnitte sepn, die der Un geduld und der Neugierde den kleinen Krieg machen! Hat Euer In neres nicht vor Freude gezittert, hat Euer Herz nicht voller Dank barkeit geschlagen, als Ihr sähet, auf welche würdige Weise wir Eure Lehren benutzen? Hvfilet Ahr nicht, daß bald ganz Frankreich aus Professoren bestehen werde, und daß sie bald in ihrem gegen seitige» Erstaunen, in ihrem gegenseitigen Entzücken über ihre un fehlbare Beredsamkeit die Erörterung durch einstimmiges Beifallsklat schen schließen würden? War cs nicht hundert Mal besser, wie Alfred de Vigny, von Poesie und Einsamkeit zn leben, die Neuheit des Versbaues in der Neuheit der Empfindungen und Gedanken zu suche», ohne zu wissen, ob dieses Versmaß Baif oder feiies Coquillarl angehört? Daß der an anhaltende Studien gewöhnte Geist mit Muße und unparteiisch einen Punkt der Literatur-Geschichte zu erforschen sucht, scheint mir sehr natürlich und gut; aber sich aus der Vergangenheit einen Schild für die Gegenwart zu machen, dem 16tc» Jahrhundert das Lob eines Verses oder eines Maaßcs zu entlehnen und aus diesen ganz unter geordneten erste und Lebens-Fragen machen, das ist ganz gewiß ei» großes Unglück, ein bcdaucrnswcrlhcr Verfall, ein falscher und gefährlicher Weg. Es ist daher für Alfred de Vignv ein großes Glück gewesen. dgk -- ZU!'.: 1828 ueoer bei seinem Regi- wentc, als in den literarischen Gesellschaften von Paris gelebt hat, die sich durch kleinliche Spitzfindigkeiten verweichlichten. Wir wollen jetzt der Entwickelung seiner Arbeite» folge» und den Werth seiner Ansprüche erwägen. Von allen Verdiensten, welche seine Gedichte auszeichnen, sind mir die ungekünstelte und ungezwun gene Abwechselung der Gegenstände, die unfreiwillige und offene Op position und, wenn man will, die Inkonsequenz der Intcnlionc» und poetischen Formen, der freie und ungebundene Gang der Ideen, die umherschwcifcndc und abenteuerliche Begeisterung, die nach Laune und Träumerei von Judäa nach Griechenland, von der Bibel zu Ho mer, von Svmetha zu Karl dem Großen, von Moses zu Frau von Soubise übergeht, am meisten ausgefallen. — Die Poesie, auf diese Weise aufgefam undausgeübt, ist, ich weiß es, selbst wenn man einen sehr glücklichen Ausdruck zugicbt, ihrer Macht und ihrer Wirkung weniger gewiß. Jedesmal, wenn sie aus den Leser wirken will, be ginnt sic einen neuen Versuch, öffnet und bahnt sich cincn neuen Weg; sie bedarf, nm vollkommen verstanden zu werden, einer stren gen Aufmerksamkeit und fast einer ganz neuen Erziehung. Wenn sie im Gcgenihcil, der gewöhnlichen Weise folgend, die Arbeit des Ge dankens und der Worte in eine Art Industrie verwandelte, wenn sie, um sich der allgemeinen Svmpathic leichter zu versichern, einen erste» Erfolg für alle spätere benutzte, wenn sie, nachdem sie die Blicke auf «ine besondere Gattung von Eemüthsbewegu»gen und Idee» gelenkt hat, sich diese erste Lehre als Richtschnur für alle ihre übrige» Leistlin ge» dienen ließe, dann würde sie allerdings mit weniger Unruhe und weniger Sorgen verbunden sepn. Glaubt Ihr aber nicht, daß die Poesie, wenn sie aus diese Weise die Freiheit der Sorglosigkeit und der Fri volität zum Opfer bringt, wenn sie von der Unwissenheit und dem Leichtsinn Verzeihung erfleht, ihrer Sendung und ihrer Würde ent sagt? Wird sie nicht verblühen und abstcrben, wenn sie aushört, sich zu erneuern? „Eloa" wetteifert an Grazie und Majestät mit dcn schönsten Seiten Klopstock'S. Der Gegenstand, welcher sich in dem Ursprung aller Geschichte und aller Poesie vorfindet, der Kamps der bei den Prinzipc, welche sich um unser Geschick streiten, der alle Lehren von der Entstehung der Welt und alle Religionen beherrscht, der sich in den Mahaghavias der Indier, in dem Evangelium wie im Koran, in Faust und in Manfred, in Marlow und in Milton kund gicbt, der, ohne sich zu erschöpfe», schon alle Zeitalter der Mensch heit durchlaufen hatte, bedurfte, nm ein geschwätziges und zerstreu tes Publikum, wie das »iisrigc, zu interessircn, des Reizes der De tails und der Ausführung; und dieses Drama, dessen Schauplatz und dessen bandelnde Personen nicht ein einziges Element der Wirk lichkeit haben, sonder» dessen Exposition, Entwickelung und Ausgang nur eine ideale und allgemeine Wahrheit habt.», dieses Drama in- leresstrl von Anfang bis zu Ende, wie das „verlorene Paradies" oder „der Mesfias". „MoscS" ist eine herrliche Pcrsonifizirung des Gems'/ im Kampf mit dem unwissenden und blinden Gehorsam. Wenn dep gesetzge bende Prophet, Orpheus einer werdenden Cirilisation, wie Solon und Lykurg, wie Numa und Napoleon die Gesetze mit de» Gebräu chen in Einklang bringend, mit Gott von Angesicht zu Angesicht spricht und sich über seine Macht und seine Einsamkeit beklagt; wenn er dem Herrn erzählt, wie die Zärtlichkeit ihn flieht, wie die Freund schaft vor ihm kniet, statt ihm die Arme zu öffne», so glaube ich nicht, daß cs eine fühlende Seele gicbt, dcr dcr Anblick eines sol chen Schauspiels und das Nachdenken über ein so schneidendes Elend nicht Thränen entreißt. Die Formen und die Abschnitte der Hebräischen Sprüche, in das Französische BerSmaaß übertragen, machen, wie in „Athalie", cincn schöncn Eindruck. „Dolorida" ist eine pathetische Schöpfung, eine Spanische Er zählung mit cinfachcm und raschem Verlaufs die ersten Verse sind von ausgesuchter und verliebter Koketterie. Wenn dcr ungetreue Gatte sich seiner eifersüchtigen Frau zu Füßen wirft und sei» Ver brechen bekennt; wenn seine Richterin und Mörderin seine Qualen und seine Demüthigung durch die furchtbare Frage beantwortet: P'a-t-eilo v» pülir ee sniv «Ians tes soulleanc««? und sich dann selbst für ihre Rache straft, indem sie sterbend die Worte aussprichl: O« roste cku zioison, czu liier je t'ai verse, dann verharrt man im Schweigen und in dcr Betäubung, wie vor einer Eiche, die der Blitz getroffen hat. Aber ungeachtet des mäch tigen Interesse in „Dolorida" habe ich doch oft die zu häufige An wendung dcr poetische» Umschreibung bedauert. Ich wünschte mehr Natürlichkeit, mehr Ungezwungenheit im Ausdruck. Ich verzeihe die fleißige und geschmückte Eleganz in der Entwickelung einer persönli chen Gesinnung, oder in einer ausgedehnten Handlung, wo dcr Dichter auf eigene Rechnung cinschrcilen kann; wenn man aber eine ganze Tragödie in zweihundert Versen zusammcnsaßt, kann man nicht gerade genug aus sein Ziel loSgeheii; cs kömmt dann darauf an, das rechte Wort zu gebrauchen u»d jede Sache bei ihrem Name» zu nennen. Ucbrigcns ist dieser Fehler, dcn ich in mcincr Aufrich tigkeit tadele, für tcn größte» Theil der Leser eine schätzcuSwerthe Eigenschaft. Ich bleibe aber bei meiner Ansicht. „Frau von Soubise" gefällt mir weniger, als dcr übrige Theil dcr Sammlung. Es schcint mir, daß das Intcrcffe sich durch das Kindische in der Ausführung zersplittert. ES sieht aus, wie eine Nachahmung der alten Balladen, die aus Pergament gcschricbcn und mit Gold und Karmoisin eingefaßt waren. Ls ist rhytmische getrie bene Arbeit, aber nicht streng und einfach ausgesührl, wie die Platten Albrecht Dürcr'S oder die Medaillen Cellini s. Es ist fast cin Geduld-Spiel, eine müßige Ausgabe, die der Vcrsaffcr sich selbst stellt, die er vortrefflich löst, dcr zu entsagen er aber doch wohl ge- tban hat. Weit mehr liebe ich dcn „Schnee" und „die Ernsthafte", die in der Ausführung an Hoffmann's Erzählungen erinnern. — Die „Sündfluth" leidet, trotz der Bedeutsamkeit einiger Seiten, im Allgemeinen an Verwirrung der Begriffe. Man findet darin weder die theatralische und gigantische Größe Martin'S, noch die pünktliche und reine Strenge Poussin's, welche Beide unter anderer Gestalt dciisclbcn Gegenstand behandelt haben. — „Svmetha" und „das Bad einer Römische» Dame" criiincrn an die aiitike Manier Cbe- nier'S. — Hieraus geh« hervor, daß die Gedichte Alfred de Bignv'S, wenn man die Fehler und die guten Eigenschaften gegen einander aufhebt, in vielfacher Hinstcht eine schätzcnswenhc ' Sammlung, originell in de» Gedanken, elegant in dcr Ausführung und, unserer Ansicht nach, cin schönes und dauerhaftes Denkmal sind. (Schluß folgt.) Das Zacotol'sche Unterrichts. System. Die von Herrn Zacotot erfundene Unterrichtsmethode hat seit einiger Zeit bedeutendes Interesse in einem Theile von Europa er regt. In vielen Gegenden Belgiens, wie auch in einigen Frankreichs, sind Schulen nach seinen Prinzipien eingerichtet wordc», und in England sängt man an, diesem Beispiele zu folgen. Hier eine kurze Darlegung des Zacotot'schen Systems. Lesen. Statt dem Kinde zuerst das Alphabet, dann die Syl- ben und zuletzt die Wörter beiznbringcn, liest Herr I. demselben das erste Wort aus Fcnelon'S Tclemach vor und zeigt ihm das Wort. Dann liest er ein anderes und wieder ei» anderes und läßt das Kind alle Worte nachsprcchcn, bis cin Satz zu Ende ist und dcr Zögling die Worte!» unterscheiden weiß. Hieralts macht er den selben mit jeder Svlbe und endlich mit jedem Buchstaben des Satzes bekannt und verlangt, daß die Lcctivn auswendig gelernt werde. Dcn nächsten Spruch bringt er aus gleiche Art bei, und wenn ein paar Seiten so durchgemacht sind, kann das Kind lesen. Schreiben. Das Kind sängt damit an, daß cs, so gut cs ihm möglich ist, das erste Wort aus Tclemach, „Kalvpso" »ach einer Vorschrift kopirt, und muß dann seine Fehler entdecken und verbessern, bis es das Wort schreiben kann. Aus ähnliche Art werden diy fol- gcndcn Worte dcr Reihe nach geschrieben, bis die Schrift gut genug ist. Muttersprache und allgemein c Kenntnisse. Zum Ge lingen des Planes ist unumgänglich nothwcndig, daß dcr Schüler die ersten sechs Bücher des Tclemach, oder cm bedeutendes Stück aus einem anderen klassischen Werke, so durchweg auswendig lerne, daß, wenn dcr Lehrer wenige Worte aus irgend einem Theile ansiibrt, der Kleine ganz geläufig 'sortsahren kann. Um dies zn bewirken, muß das Kind alles Gelernte an einem Tage mehrmals aussagen, und