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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«, »reis 224 Sgr. (4 Thlr.) vierteljährlich, z Thäler für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumcrirt auf diese« BeibtattderMg.Pr. Slaat«- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren < Straße Rr. 34>; in der Provinz s» wie im Auslände hei den Wohllöbl. Pofl - Aemtern. Literatur des Auslandes. 87. Berlin, Freitag den 17. August 1832. Frankreich. Alfred de Vigny. Eine Charakteristik diese« Dichter«, von G. Planche. Man öffne nach Belieben die Geschichtsbücher und Biograpbiecn; man nehme da« Leben eine« Athenienstsche» General«, eine« Römi schen Tribun«, eine« Florenlinischcn Maler«; inmitten der zahllosen Widersprüche, au« denen die angebliche Wahrheit zusammengesetzt ist, welche so schwer festzustellen und immer auf so viele und ver schiedene Weisen wayr ist, wird sicherlich ein Punk» durch die Einstimmigkeit der Zeugnisse auffallen, daß es nämlich in dem anti ken Leben sowohl al« in dem modernen den größeren Geistern, den durch da« Schicksal bezeichneten Männern selten gelungen ist, so gleich den Weg zu treffen» den sie einschlage» müssen, und von welchem entfern« es für sie weder Ruhm, noch Glück, noch Macht, noch Enlhustasmu« giebt. Für diejenigen, welche sich damit begnü gen, zu leben und vorüberzugehen, ohne Spuren zurückzulasscn, ist jeder Weg gut und gedeihlich. Nach welcher Richtung hin sie sich auch bewegen, sind sic sicher, ihr Ziel zu erreichen; denn sie haben keilte andere Absicht im Kopse, keine andere Hoffnung im Herzen, al« aufzuhören, nachdem sic gedauert, zu schlafen, nachdem sic ge wacht haben, und in einem Schlaf ohne Träume die Mühen des Tages zu vergessen. Aber die Geschichte und die Philosophie haben mit dieser Menschheit ohne Seele nicht« zu schaffen, und indem sie dieselbe ohne Bedauern ausgcben, beschränken sie sich darauf, ihren Platz und ihre Zahl auf de» statistischen Karten zu bezeichnen. Aber bei den Geistern, die zweifeln und forschen, welche schmerz hafte Proben, welch' mühsame« Grübeln, bevor sie den Fähen del,, Ler sie veilen soll! Welche tobende Wogen zn bekämpfen, ehe ste mit volle» Segeln eine lichtvolle und friedliche Bah» verfolgen können! Ich weiß nicht, ob die Geschichte, die von Jahrhundert zu Jahr hundert in Frage gestellt, bestritten, zu Asche gebrannt und dann auf ncuc Kosten wieder aufgebaut wird, um sich fünfzig Jahre spä ter wieder auszulöscn und in Trümmer zu zerfallen; ich weiß nicht, ob diese große Schule der Völker und Könige, wie ste in der Sor bonne genannt wird, eine« Tage« da« Utopien de« guten Abbö Sainl-Pierre verwirklichen und un« den ewigen Frieden geben wird; wenn da« Studium der Geschichte, wenn das fleißige Lesen de« Hc- rodot und Sallust hinreichen soll, allen Kriegen auf freundschaftliche Weise ein Ende zu machen, so gestehe ich, daß meine Ueberzeugung in dieser Beziehung »och sehr unvollständig ist. Aber ich sehe in der Geschichte ein unvergängliches Symbol des Leidens und der Entsa gung, «j»en gebieterischen Rath für dic Zukunft, wie dieselbe auch bfschgffe» scy» möge, und zwar noch mehr für den Einzelnen al« für die Bölter; dic Seele tröstct und erheitert sich beim Anblick der Trübsale, die den ihrigen vorangegangcn sind, und die in der Aus dauer eine Lösung und eine Buße gesunden haben. So lese ich nie mals ohne Rührung eines der gelehrtesten Englischen Bücher: da« Leben der Poeten England'« von Samuel Johnson. Ich verzeihe ihm gern seine Pedanterie, seine übertriebene Emphase und seinen puritanischen Geschmack, wegen seiner Anekdote» und seiner mit so religiöser Sorgfalt gesammelten Traditionen. Milton, Schullehrer! Savagc, aus der Straße oder in einer räucherigen Schcnke auf einzeln»» Blättchen Bruchstücke seiner Gedichte schreibend! Giebt e« viel Romane, Vie so reich an Aufregung de« Gemütht« sind? Obgleich .„an sich an dic Biographie eine« Lebende» nur mit außerordentlicher Vorsicht wagen darf, obgleich dic Erzählung der erste» Jahre eine« Mannes, dem man in einem Salo» oder aus der Straße begegnen kann, eine ernste und beständige Rücksicht ver langt, so wird es doch vielleicht nicht ohne Interesse und ohne Nutzen skvn, so vielen merkwürdigen Beispielen ein neue« hinzuzusügen, das wir vor Augen haben. Wen» jch für Tag da« innere und per ¬ sönliche Leden Alfred de Vigny'« kennte, so würde ich mich wohl hüten, e« bekannt zu machen. Es wurde dir«, meiner Ansicht nach, eine Indiskretion sevn, die ohne Nutzen für da« Publikum, für den Dich ter oder für de» Biographen wäre. Ich glaube überdies, daß man in den letzte» Zeiten die Wichtigkeit der literarische» Anekdoten sehr übertnevtn hat, daß man ost in unbedeutenden Umständen eine slnn- reiche, aber gezwungene Auslegung eines Gedichte« «der eine« Ro mane« gesunde» bat, wo der Bcrsaffer selbst vielleicht nicht vie Quelle hätte angebcn können. Ich hi„ z. B. überzeugt, daß, wenn der Dich ter de« Hamlet unter uns znrückkehrtc, er beim Lesen der Bemerkun gen Tieck'« und Göthe s über sich sehr in Erstaunen geralhen und ganz ohne Umschweif die metaphysischen Intentionen zurückweiscn würde, welche dic Dcutschc Kritik mit seinem Namen getauft hat. Alfred de Vigny ist im Jahre 1798 in Loche« in Touraine qe- boreii. Seine erste Erziehung, in Tronchct, einem alten Schlosse fei ne« Großvater«, begonnen, wurde ohne Aufsehen in einem College zu Paris beendigt. Im Jahre 1814 trat er in die 1ste rothc Com pagnie als Kavallerie-Lieutenant ein, später ging er zu einem Jn- fanlerie-Regimeme über und nahm im Jahre 1828, al« Capital» de« 55ten Linien-Regimentes, nach 14 jähriger Dienstzeit seine» Abschied. Wenn mal« de» Feldzug von 1823 ausnimmt, den dic damalig»» prahlendcn Büllctins vergeben« in einen erusthastcn Krieg zu ver wandeln gesucht haben, so Hal er von dem militairischen Leben kaum etwa« Anderes, al« die Einförmigkeit und die Disziplin kennen ge lernt. Unter dem Konsulat und Kaiserreich, in den kriegerischen Ideen, welche damals die Jugend nährte, und in einer Zeit erzogen, wo jede« Schicksal mit einem Epaulet begann, und mit einer Kugel oder mit dem Feldmarschalls-Stab endigte, und dann von der Restau ration mit ihren funfzch» Jahren äußeren Friebens und innerer Kämpfe überrascht, befand sich seine Erziehung, wie die so vieler Anderen, ohne Zweck und ohne Zukunft. Er hatte in der Schule von den Gefahren des Schkachtfeldcs geträumt; aber Napoleon hin terließ den Bourbons eine Naiion, die des Ruhme« und de« Despo tismus überdrüssig war. Die ganze Thätigkeit der Französischen Na tion richtete sich, so glaubte man wenigstens, auf friedlichere und dauerhaftere Eroberungen, als die des General« von Italien. Was nun anfangens Sollte man die fortan unerfüllbare Hoff nung aus eine mililairische Lausbah» ausgeben, auf knechtische Weise C'.:s ?!5Ükn machen und mit so vielen anderen Ehrgeizigen, welche der Strom der Revolutionen emporhcbt und wie unreiiic» Schaum wieder zurückwirft, den Zugang zu de» Ministerien belagerns Besser war es sicherlich für einen Man» vo» Nachdenken und Ler- stand, das mililairische, das Garnison- und Kascrneii-Leben sortzusüh- ren, das für einen arbeitsamen, die Einsamkeit liebenden Geist den selben Reiz oder, wenn man will, dieselbe fruchtbare Langeweile hat, wie das Mönchs-Leben. Diese Wahl traf auch Alfred de Vigny p von 1815 bi« 1828, wo er de» Dienst verließ, hat er die verschiede ne» Gedichte gemacht, welche in den Jahren 1822, 1824 und 1826 einzelii htrau«lame» und im Jahre 1829 zuerst gesammelt erschienen. Da er nicht« Andere« zu lesen Halle, al« die Bibel, die während de« Marsches in dem Tornister eine« Soldaten lag» so schrieb er in seinen Mußestunden» zwischen dem Eperziren und der Parade» ,, Do- lorida", ,,Moses", „die Sündfluth" und den „Schnee." Aus diese Weise war die Dichtkunst für ihn niemals eine regelmäßige Beschäf tigung, sondern eine Erholung, eine Nothwendigkeit, eine Zuflucht. In Oleron, einer kleinen Bergstadt in den Pyrenäen, nahe bei Orthei, kam ihm der erste Gedanke zu seinem (7in^-Aur«. Al« er einen Urlaub von einigen Wochen erlangen konnte, kam er nach Paris, um die Memoiren des 17tcn Zarhunderl«, den Kardinal Retz und Frau von Mottcville zu studiren; durch anhaltendes Lese» machte er sich genau mit der Geschichte Ludwig« XIII. unter Richelieu bekannt. Im Jahre 1826 wurde in Paris der ciug-Nur« geschrieben und hcrausgegebtn, der seitdem drei Auflagen erlebte, und dessen Erfolg gesichert ist. Im Jahre 1828, in'« bürgerliche Leben zurückgekchrt, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Reform de« Theater«, und bevor er selbst etwa« für die Bühne schrieb, glaubte er einige Eng lische Stücke bei un« einbürgrrn zu müssen. Er übersetzte „Othello", der am Asten Oktober 1829 aufgesührt wurde. Während der Vor stellungen diese« Stücke« übersetzte er den „Kaufmann von Venedig"» welcher ans dem Ambigu-Theater aufgesührt werden sollte, al« Herr von Mombel e« auf Grund de« Privilegium« de« Theater sranxai« untersagte. Im Jahre 1830 schrieb er die „Marschallin von Anere"» welche am 25. Juni 1831 aufgesührt wurde; und vor gar kurzer Zeil hat er „Stelle" beendigt. Im vergangenen Monat Mai, in einer schweren Krankheit, der er zu unterliegen glaubte, verbrannte er zwei Manuskripte: „Iulian, der Abtrünnige" und „Roland", seine beiden erste» Werke auf der dramatische» Laufbahn, dic er niemals Jemanden milqcthcill hat. Das Leben Alfred de Vigny « zerfällt also in drei genau geson derte Perioden: seine Erziehung, unter dem Konsulate und Kaiser reiche begonnen und vollendet; seine literarischen Arbeiten und sein mililairische« Leben unter der Restauration; und seit 1828 eine frei willige und arbeitsame Zurückgezogenheit.