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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22^ Sgr. Thlr.) vierteljährlich, 3 Thaler für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. M für die Man pränumcrirt aus diese« Beit-latt der Ällg. Pr. StanK- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. A4,; in Ler Provinz so wie im Autlande bei Len Wobllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 69. Berlin, Freitag den 6. Zuli 1832 Rußland. Alexander Puschkin. Alexander Puschkin ist von vielen seiner Landsleute der Russische Byron genannt worden, eine Benennung, dir zu ehrenvoll ist, wenn sie ihm eine gleiche poetische Kraft beilegt, die aber weniger schmei chelhaft al« treffend zu seyn scheint, wenn sic eine gewisse äußerliche Aehnlichtcit der Form und der Manier bezeichnet. ' Nicht al« ob er ohne alle Originalität wäre; aber ohne Zweifel ist Byron doch im mer sein Muster. Nach ihm hat er seinen Stil und die Art, die Gegenstände zu behandel», gebildet, besonder« in seinen erzählenden Gedichten. So weit es die Natur und der Bau zweier so verschie dener Sprachen zulassen, ist sein Stil offenbar Byronisch; seine Er zählung, zugleich graphisch und lyrisch, bietet einzelne Mcistcrzüge dar und eine interessante Färbung de« Detail«. Seine Erzählungen selbst sind wenig mehr al« fragmentarische Episoden, vereinzelte Scenen, Situationen und Gruppen, welche durch geschielte und meisterhafte Au«sührung Leben und poetische Wirkung erhalten; ja, die scheinbare Durstigkeit de« Stoffes steigert einigermaßen unsere Bewunderung. Doch sind wir durch eine bloße Probe von poetischer Schöpferkraft noch nicht befriedigt; wir dürfe» wohl verlange», daß der Dichter nun auch i» einer Composilio», die durch größeren Um fang und inneren Werth eine Stelle i» der Literatur cinnchme, seine Schwingen prüfe. Denn so vortrefflich die Arbeit an dieser kleinen Galantericwaare sey» mag, so kann sie doch nicht den Ein druck machen, den ein langathmigcs Dichterwcrk hervorbringt. So wie der Giaou, die Belagerung von Korimh, der Mazcppa und ähnliche Byronische Productione» dieser Art, entbehren auch die de« Russischen Dichter« aller epische» Composilio»; cbe» so wenig gehö ren sie in die Klaffe der Balladen, poetischen Legenden, Erzählu». gen oder Romanze». Sic habe» vielmehr cincn dramalischcn Cha rakter, indem die Hauptscenen in der Form von Monologen und Dialogen auftrelc», der erzählende Theil dagegen in den abgerisse nen Ücbergängcn nicht selten den reißenden Fortschritt und die leb hafte Energie de« eigenthümlichcn lyrischen Jdccttgange« und Aus druck« der epischen Besonnenheit verzieht. Diese Dichlu»g«art kann daher nur mit Unrecht cmcm epische» Ganze» an die Seite gestellt werden, und diejenigen, welche gewohnt sind, ein Kunstwerk in die gewohnten Rubriken emzuregistrircn, werde» wohl für diese Art der Erzählung einen neuen Name» erfinden müssen. Auch im Komischen und in der Satire bewährt sich Puschkin al« Nachahmer Byrons; denn gleich ihm hat er, wenn auch mit weit geringerem Erfolg, die Gewandtheit seiner Muse durch eine satirische Darstellung bekundet. Sein ,,Onägin" steht weit unter Beppo und Don Juan. Puschkin ist glücklicher im Malerischen, Romantischen und Leidenschaftlichen, al« im humoristische» Spott und der schonungslose» schneidende» Satire, Außer einigen spaßhaften Zügen und gelegentlicher leichter Satire, hat Onägin nichts von jenen beißenden und pikanten Pointen in den beiden Werken des Britischen Dichters; dazu kommt, daß die in diesem Gedicht geschil derten Sitten und Thorheften uns zu fern liegen, um das Inter esse zu errege», welches au« der Bekanntschaft mit den. Originale entspringt, und doch wieder zu wenig Eigemhümlichkeit haben, um durch ihre Neuheit zu reizen. Der Onägin ist vielmehr durch ruhi- f>en Fluß al« durch Lebhaftigkeit der Erzählung ausgezeichnet. Wir haben von dieser späteren Arbeit Puschkin'« gesprochen, bevor wir seiner srtthcrcn erwähnt oder auch nur unsere emlcitenden Bemer kungen geschlossen haben, die wir in Folgendem zusammenfaffcn. — Die bezeichnete Richtung de« Russischen Dichter«, welche mit der vorherrschenden Tendenz der allgemeinen Literatur de« Tage« in Einklang steht, har den wohlthälige» Erfolg gehabt, seine Land«- lcute von der einfeuigrn Bewunderung und Nachahmung Französi scher Muster zu enlwohncn. Nolhwendig muß die« Vernichte» lite rarischer Borurlhcile dem Poetische,, Talent einen neuen Antrieb ge ben, so wie e« einen unabhängigeren Geist der Kritik befördern wird, der sich weniger an vorgcschriebene Formen halte» u»d geistige Productione» »ach ihrem iiwere» Verdienst beurtheile» wird. Ebe» so sehr wird es für Rußland von hohen, Gewinn seyn, wenn es, Schritt haltend mit den übrigen L>terat"rcn Europa'«, al« ein Mit glied in die Gemeinschaft der Europäilchen Schriftwelt ausgenommen werden kann. Al« der Repräsentant dieser Richtung i» der Russi schen Literatur, Hai Puschkin genügende» Anlpruch aus unsere Auf merksamkeit. Seine ersten Productione», die i» die Zeit seine« Aufenthalt« im Lyccum von ZarSkjeselo fallen, sind Liebeslieder und Nachah mungen der Allen. Unter seinen Gedichten, deren viele auch au« einer späteren Zeit datiren, befinden sich einige von bekeuicnder Pbantafie und poetischem Gefühle, welche Vorboten eines nicht ge wöhnlichen Talents sind. Namentlich mögcn die Epistel an Ovid, der Triumph de« Bacchus, Anakrcon« Grab und Rosalka hervorge- hobcn werden. Wenn cr sich aber in die höhere Sphäre der Ode versteigt (z. B. die Ode an Napoleon), so mißfällt er uns; hier steht er weil unter Lomonosoff und Derschawin. Puschkiii'S eigentliche poetische Laufbahn sängt mit dem Erscheinen von R u«l a n und L i u d mi l la an, einer reizenden iegendenartigen Ro manze i» 6 Gesängen, die al« ein Ster» am poetischen Horizonte geprie sen worden ist. Weit davon entscrnt, die Mängel einer ersten Jugend, arbeit zur Schau zu tragen, ist sie mit einer liebenswürdigen Leich tigkeit des Stils und der Erzählung und im Tone munterer, aber mäßiger Scherzhaftigkeit (in der Weise des Wielandschen Nitterge- dichts) gehalten. Der Gegenstand selbst, der jenen Volkssagen ent nommen ist, deren Rußland einen so ergiebigen Schatz hat, ist wenig stens für Ausländer, die sich um die halb währe, halb erdichtete Ge stalt des Prinzen Wladimir und die Heide,nhatcn seiner Ritter wenig kümmern, an und für sich nur von einem geringen Interesse. Die Fabel bewegt sich um den Punkt, daß Ruslan feine Geliebte Liud- milla, die Tochter Waldimir«, au« dem verzauberten Paiaste des Tschcrnomor zu befreien und den Zauber jenes surchtbaren Magier« zu lösen sucht. Die Begebenheiten haben nicht mehr Anspruch aus Wahrscheinlichkeit al« cin Arabische« Mährchcn, aber der Dichter hat manchen wirklichen Charakterzug glücklich eingewebt. Doch ist der heutige Geschmack solchen poetische» Arabeske» nicht mehr günstig; Puschkin selbst hat fiel) nickt zum zweitenmale aus dasselbe Feld be geben und Hai sonnt die Hoffnungcn einiger voreiliger Bewunderer zerstört, welcke einen Rnssisckcn Ariosi von ihm erwarteten. Wir müssen cs billigen, daß cr cinc Gattung ausgcgcbcn hat, die nack dcr moralische» Revolution in den Ansickicn und Empfindungen der Gc- sellsckast etwas Veraltetes ist. Es ist eben so tböricht, einen anderen Ariosi als einen anderen Homer oder Dante zu erwarten. Die späteren Productione» Puschkin's habe» daher mit jener ersten wenige oder gar keine Verwandtschaft. Statt einer, wenn auch einfachen und kurzen, doch zusammenhängenden Erzählung sind es säst sämmtlich planlose Fragmcnle ohne eine Folge dcr Begeben heiten, bloße Situationen, in denen sich dcr Dicktcr auf cincn bestimmten Zeitpunkt und die Darstellung von cincn, oder zwei Cha rakteren beschränkt. Anstatt uns durch phantastische und muntere Bilder und durch satirischen Scherz zu ergötzen, bestrebt sich der Dich ter im ,,G efan gcnen de« Kaukafus," uns einzig und allein durch die Wirkungen dcr Empfindung und durch Erschüilcrnng de« mciisch- lichcn Herzen« zu intercssiren. Nack dcr kurzen, aber belebten Be- schrcibuug dcr Sitten einer lsckcrkässiscken Horde, bringt eine Abthei- lung der Räubcrbandc einen jungen Russischen Gefangnen heim, der ohne Unterbrechung über die Bitterkeit der Gesangenfchaft reflektirt, bis cin terschkässische« Mädchen ihm einige Erfrischungen anznbicicn wagt. Sic setzt ihre nächtlichen Zusammenkünfte mit dem Gefange nen nicht ohne Leidenschaft fort und wagt e« endlich, den ihrem Volke eigenthümlichcn Stolz und die mädchenhafte Scheu besiegend, ihre Liebe in Worten zu entdecken, welche eher ei» edles.Vertrauen al« die Frechheit eine« Weibe« auSdrückcn, die ihre Ebre einem Lieb haber zu opfern willig ist. Die Antwort de« Gefangenen überzeugt sie, daß er ihre Leidenschaft'mir durch Dankbarkeit vergelten könne; er sicht sic an, ihn zu vergesse» und ihr Herz einem Manne zu schenken, dcr ihre Liebe erwicdcrn könne. Ivre Leidenschaft ist aber zu rein, um selbst nach einem solchen Widerstande Rache zu atbmen, sie will ihm im Ecgenlbcii einen Beweis liebevoller Ergebenheit ab legen, indem sie, sobald sich eine günstige Gelegenheit dazu darbietet, sein Entkommen unterstützt. Er umarmt seine Befreierin, springt in den Strom, der ihn von seinen Verfolgern trennt, und entdeckt erst am anderen User, daß die zärtliche Tscherkasfierin in demselben Strome, der seine Flucht begünstigte, sich selbst ertränkt hat. Hätte Byron Russisch gedichtet, er würde da« eben erzählte Ge dicht und einen großen Theil von „Pultawa" in ähnlicherWcise geschrie ben haben. Welche« aber auch fein Stoff feyn möge, steht Byron doch immer weit über seinem Rnssifchen Nebenbuhler; er hat nicht allein mehr Tiefe und eine größere Gewalt über die Sprache, son dern cr besitzt vor Allem in einem hohen Grade die Kunst, Tiefe de« Gedanken« vermulhen zu lassen, wenn er anscheinend seine