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Der Hausarzt' Der Sinn der NervvsiM Die Nervosität ist heute eilt Dolksübel, das viele Men schen ergriffen hat. Man schiebt diese Krankheit auf die Un rast unserer Zeit, auf die Steigerung des Verkehrs, auf die zermürbende Berufsarbeit, die immer mechanischer und mono toner wird. Da die Nervosität in sehr vielen Fällen durch das Fehlen körperlicher Krankheitserscheinungen gekennzeichnet ist, bildete sich allmählich die Meinung heraus, die Betreffenden seien nur eingebildet krank. Nur guter Wille und Selbst beherrschung, dann wäre alles gut. So einfach ist gegen die Nervosität aber nicht anzukommen. In den Laienkreisen wird in den meisten Fällen Ursache und äußerer Anstoß der Nervosität verwechselt. Es muß hier- für eine gewisse Disposition vorhanden sein. Die Ursache laufen, ist man sich über die Entstehungsursache noch völ lig im Unklaren. Das Gleiche gilt für den eigentlichen Muskelrheumatismus, der zu den häufigsten Erkrankungen des Alltages gezählt werden darf. Er befällt am häufig sten die Muskeln des Halses, der Schulter-, Rücken- und Lendengegend. Am Kopfnicker verursacht er den schmerz haften Hexenschuß. Bisweilen fühlen sich die heimgesuch ten Muskeln hart und knotig an; in anderen Fällen fehlt trotz sichtlicher heftiger Schmerzen jedes objektive Krank heitszeichen, und auch bei Verstorbenen, die aus irgend einem anderen Grunde seziert wurden und die während ihres Lebens durch Jahre hindurch an den heftigsten rheu matischen Schmerzen litten, konnte man mit allen Hilfs mitteln der Forschung auch nicht die geringsten krankhaf ten Veränderungen an den befallenen Muskeln feststellen. der Nervosität ist deshalb nicht die Hetzjagd, sondern der nervöse Charakter. Die Hetzjagd ist nur der äußere Anlaß, daß die Nervosität zum Durchbruch kommt. Die Dinge liegen so, daß die äußeren Anlässe in heutiger Zeit mehr ge geben sind als in früheren Jahren. Die Nervosität wird wohl immer auf die schwachen Ner ven geschoben, jene geheimnisvollen Stränge, die den Kör per durchziehen. Die seelische Beunruhigung wird aber nicht erkannt. Das Nervensystem leitet die seelische Un rast seines Trägers in den Körper hinein, wo sie denn in ner vösen Störungen zutage tritt, d. h. die Nerven spielen in den meisten Fällen der sog. Nervosität nur die Rolle, daß sie die Erkrankung der Seele weiter nach außen fortleiten. Was die daß er von ständigem Luftzug getroffen wird, und muffen diese Unvorsichtigkeit bisweilen mit derartigen Muskel schmerzen in der Ellenbogengegenden büßen, daß sie den Arm dann kaum zu rühren vermögen. Tatsächlich sieht denn auch der bekannte Berliner Kliniker Goldscheider als Ursache des Muskelrheumatismus Kältereize auf Haupt nerven an, die dann im Rückenmarck durch Ausstrahlung verbreitet werden. Daß andererseits Vorgänge im Stoff wechsel zum mindestens die Veranlagung zu rheumatischen Erkrankungen begünstigen können, sieht man an dem un verkennbaren Zusammenhang zwischen Rheumaneigung und gewissen Stoffwechselstörungen. In allerneuester Zeit wiederum hat ein schwedischer Forscher Stauungen in den Lymphwegen, wodurch die feinsten Empfindungsnerven gereizt würden, für die Schmerzen bei Muskelrheumn- tismus verantwortlich gemacht. Aus die ungeheure soziale Bedeutung des Rheumatis mus ist man erst recht aufmerksam geworden, als von Eng land her alarmierende Nachrichten darüber zu uns dran gen, welche gewaltigen Schäden dieses Leiden der Volks wirtschaft zufügt. So verlor England in einem einzigen DerrSt das Auge die Lebensdauer? Sulerefiauke Beziehuugen der Augenlinse zum Atter«. Unsere „teuerste" Krankheit. Von Dr. med. G. Benzmer, Stuttgart. Es mutet wie eine Ironie des Schicksals an, daß die nedizinische Wissenschaft trotz aller ihrer glänzenden Fort schritte über einige der alltäglichsten Krankheiten immer noch recht wenig auszusagen weiß: über den Schnupfen und den Rheumatismus. Dem Erreger des Schnupfens scheinen die amerikanischen Forscher Shibley, Mills und Dochez von der Columbia-Universität in Neuyork jetzt auf der Spur zu sein; über das 'Wesen vieler Formen des Rheumatismus aber herrscht — um es unverblümt zu sagen — noch völlige Dunkelheit. Was ist eigentlich Rheu matismus? Man faßt unter diesem Sammelbegriff eine Reihe recht verschiedener Erkrankungen zusammen; und zwar meint man hauptsächlich den akuten, mit höherem Fieber einhergehenden Gelenkrheumatismus, der eine re gelrechte Infektionskrankheit darstellt; ferner die chroni schen, häufiger ohne Fieber verlaufenden Gelenkentzün dungen, die zu dauernder Veränderung und Entstellung der Gelenke führen; und schließlich den eigentlichen Muskel rheumatismus, der vor allem durch die bekannten Müskel schmerzen, das „Reißen", gekennzeichnet ist. Seit ural ter Zeit sind diese Krankheitsbilder gut bekannt. Die Be zeichnung „Rheumatismus" findet sich z. B. schon in Schrif ten des römischen Arztes Galen, der im zweiten nachchrist lichen Jahrhundert lebte. Sie leitet sich ab vom riecht» schen rheo (-- fließen); denn man nahm früher an, die Krankheit entstände dadurch, daß schädliche Säfte von einem zum anderen Organ strömen; eine Anschauung, die beson ders 'durch das häufige Wandern des rheumatischen Pro zesses von Glied zu Glied veranlaßt wurde. Der akute, fieberhafte Gelenkrheumatismus wird zwei fellos von regelrechten Krankheitserregern verursacht, über deren Natur die Ansichten der Forscher freilich noch er heblich aüseinandergehen. Mit dieser Entstehung durch belebte Mikroorganismen Hängt es zusammen, Haß die Krankheit von Gelenk zu Gelenk zu springen Pflegt uno daß beinahe einem Drittel aller Fälle von akutem Gelenkrheu matismus Herzkrankheiten folgen, die nicht selten einen Klappenfehler fürs ganze Leben zurucklassen. Verschlep pung der KrankheitSkeime durch den Blutkreislauf ist da als Ursache anzunehmen. Auch von den fieberhaften chro nischen Gelenkentzündungen werden viele sicher durch In fektionserreger hervorgerufen; bei anderen Formen, die besonders schleichend und ohne Temperaturerhöhung ver- Abgesehen von AnMckSfällen und Epidemie« «rliegt die Mehrzahl der Menschen im naiüklichen Dedlauf der Dinge dem Alter, sei es — was die Ausnahme bilder — daß sie an Altersschwäche sterben oder daß in höheren Lebensjahren der gealterte Organismus äußeren Einflüssen, z. B. Infek tionen, nicht mehr den gleichen Widerstand entgegen zu setzen vermag wie der jugendlich-kräftige. Diese Wider standskraft zu ermitteln ist insbesondere für die LebenSver- sicherungsgesellschakten von großer Bedeutung, da von ihr die für eins bestimmte Einzelperson in einem gewissen Alter noch zu erwartende Lebensdauer und damit die höhe der zu zahlenden Iahresprämien abhängen. Daher die ärzt liche Untersuchung beim Eingehen einer solchen Versiche rung; denn die aus Grund von Millionen untersuchten Per sonen errechneten Tabellen können nur dann stimmen, wenn bei allen die gleiche Voraussetzung zutrifft, daß der Betreffende gesund ist. Ein neues interessantes Verfahren zur genaueren Be stimmung des Grades, in dem eine bestimmte Person ge altert ist, hat vor einiger Zeit Professor Dr. Bernstein an gegeben. Der Genannt« fragte sich: Wenn mit zunehmen dem Alter di« Wahrscheinlichkeit, daß der Organismus äußeren Einflüssen, die für den jungen Menschen noch nicht schädlich sind, leichter unterliegt, zunimmt, läßt sich dann nicht irgendwie bestimmen, wie groß der Widerstand einer bestimmten Person in einem bestimmten Augenblick noch ist? Natürlich hängt dieser Widerstand nicht aus schließlich von dem erreichten Alter ab. Weiß doch jeder, daß manch Fünfzigjähriger schon ausgesprochenen Alters krankheiten erliegt, während andererseits Siebzigjährige noch kein« Anzeichen der gleichen Krankheiten zeigen. Line Alterserscheinung, di« mit großer Regelmäßig keit bei allen Menschen auftritt, ist nun die sogenannte Presbiopie oder Alterssichtigkeit, worunter man die Ver minderung des Akkommodaftons-, des Anpassungsvermö gens der Augenlinse versteht. In der Jugend können wir bekanntlich unser Auge scharf auf alle Gegenstände zwischen 20 Zentimeter Entfernung und unendlich einstellen, weil bestimmte Muskeln die Augenlinse zusammendrücken, so daß sie je nach Bedarf ihr Brechungsvermögen ändert. Mit eintretendem Alter vermindert sjch diese Fähigkeit infolge Härterwerden der Linse, weshalb fast alle Menschen zwischen 40 und 50 ihre erste Brille tragen müssen, wenn sie in der Nähe sehen, z. B. lesen wollen. Konvexe Augengläser stel len den Mangel der natürlichen Linse ab. Bei Kurzsich tigen macht sich naturgemäß das Bedürfnis nach derartigen Gläsern erst später, wenn überhaupt, fühlbar, bei von Na tur Weitsichtigen dagegen entsprechend früher. In nenerer Zeit hat sich bei vielen Forschern die An sicht durchgesetzt, ein irgendwo im Körper vielleicht unbe achtet vorhandener Infektionsherd sei die Ursache der rheu matischen Prozesse, und von hier aus würde dann der Or ganismus von Zett zu Zeit mit den Krankheitserregern oder deren Giften überschüttet. Solche Nester von Infektions keimen können sich z. B. in den Rachenmandeln, in hohlen Zähnen, in der Gallenblase finden; bisweilen hat ihre Entfernung verblüffende Erfolge gezeigt, in anderen Fäl len war das Ergebnis gleich Null. Es müssen also auch noch andere Ursachen zum mindesten mitspielen; und das beweist schon der auffallende Einfluß, den Kälte, Durch nässungen, Zugluft, Bodenfeuchtigkeit usw. auf die rheu matischen Muskel- und Gelenkerkrankungen ausüben. Da hängt es z. B. zusammen, daß in Ländern, die in großer Ausdehnung ans Meer stoßen, die rheumatischen Erkran kungen häufiger sind als in ausgesprochenen Binnen ländern (etwa im Verhältnis 15:10). Feuchte, zugige, lichtlose Wohnungen bereiten ebenfalls dem Rheumatis mus den Boden; und schließlich spielt auch der Beruf eine wesentliche Rolle. Denn es läßt sich leicht vorstellen, daß Menschen, die bei jeder Unbill des Wetters im Freien ar beiten müssen, oder auch solche, deren Tätigkeit mit ra schem Wechsel der umgebenden Temperatur verknüpft ist, in erhöhtem Mäße zu rheumatischen Erkrankungen nei gen; und hieraus erklärt es sich, daß die Bevölkerung von ländlichen Bezirken mehr von Rheumatismus heim- gesucht wird als die von Industrie-Gegenden. Neber die Wirkung dauernden kühlen Luftzuges wissen übrigens die Kraftfahrer ein Lied zu singen: sie halten beim Lenken gern den Ellenbogen über die Wagenbrüstuna hinaus, so Jahre dadurch nicht weniger als drei Millionen Arbeits tage, und ein Sechstel aller Invaliden erwies sich als durch Rheumatismus arbeitsunfähig! In Deutschland liegen die Verhältnisse kaum günstiger; auch bei uns ist er eine Dölks- krankheit in des Wortes übelster Bedeutung, schlimmer noch alS die Tuberkulose; und das fällt im volkswirtschaftlichen Sinne dadurch besonders ins Gewicht, daß di« meisten Rheumatismusfälle gerade die Menschen im Alter der größten Arbeitsfähigkeit, nämlich zwischen 25 und 30, heim suchen. Bei den deutschen Krankenkassen bildet denn auch mehr als jeder zehnte Krankheitsfall eine rheumatische Er krankung; dagegen nur rund jeder vierzigste eine Tuber kulose! And auf sechseinhalb Fälle von Vollinvalidität durch Tuberkulose kommen nicht weniger alS neun Doll- invalide durch Rheumatismus! Kein Wunder also, daß man dieser unserer „teuersten" Krankheit energisch zu Leibe zu rücken sucht. Die Grün dung der „Internationalen Liga gegen den Rheumatis mus" sowie der „Deutschen Gesellschaft für Rheumabe kämpfung" zeugen von 2er Wichtigkeit des PröblemS; uNb es ist zu hoffen, daß diesen Vereinigungen, die schon nütz liche Arbeit geleistet haben, weiter« und vor allen Dingen praktische Erfolge beschieden sein mögen. Es handelt sich demnach bei der Presbiopie um «ine Alterserscheinung, und zwar um eine solche, deren Stärke sich messen und in Zahlen ausdrücken läßt. Jeder, der sich vom Augenarzt die oben erwähnte Brille hat verordnen lassen, weiß, daß dieser Gläser von Liner bestimmten An zahl Dioptrien vorschreibt — wobei man unter Diöptrie die Einheit versteht, mittels derer das Brechungsvermögen her Linse gemessen wird — und die betreffenden Zahlen dann in seinem Krankenbuch notiert. Das bedeutet aber, daß man durch Einsichtnahme in die Verzeichnisse der großen Augenkliniken und der Augenärzte mit umfangreicher Pra xis unschwer festzustellen vermag, in welchen Jahren sich bei den Patienten zum ersten Male der Einfluß der Alters!, sichtigkeit geltend gemacht hat. Derartige vergleichende Untersuchungen können, wenn sie erst längere Zeit hindurch in genügend großem Umfange durchgesührt sind, für die Lebensversicherungen von großer Bedeutung werden. Denn, wie oben bereits angedeutet, verändert sich mit den Jahren der ganze menschliche Or ganismus, er wird damit für zahlreiche Todesursachen em pfindlicher. Es ändert sich, wie wir gesehen haben, auch die Augenlinse, und diese Aenderung läßt sich recht genau feststellen; man erhält so einen Gradmesser für den Alters zustand des ganzen Körpers, vorausgesetzt — was erst län gere Untersuchungen beweisen müssen —, daß Gesamtorga nismus und Augenlinse im gleichen Maße sich ändern. In Zukunft würde demnach jeder, der sich bei einer Lebensversicherungsgesellschaft zur Aufnahme meldet, sich außer der bisher üblichen ärztlichen Untersuchung auch einer sehr genauen Prüfung des Zustandes seiner Augen* linse unterziehen müssen. Als Grundlage für die Prämien berechnung diente dann nicht mehr die auf Grund der Ta bellen« rrechnete, für jede gesunde Person einer bestimm!- ten Altersgruppe geltende voraussichtliche Lebensdauer, son dern es hieße dann etwa: „Für einen im übrigen gesun den Menschen, der im Jahre 1932 eine Alterssichtigkeit von 1 Dioptrie aufweist, beträgt die voraussichtliche Le bensdauer 23,2 Jahre." Damit ist natürlich keineswegs gesagt, daß eine be stimmte. Einzelperson, für welche die genannten Voraus setzungen gelten, nun mit Sicherheit auf 23 weitere Le bensjahre zählen könnte. Es handelt sich selbstverständlich um Durchschnitts-, für gewisse Gruppen von Individuen gel- telnde Zahlen. Der Vorteil des Bernsteinschen Verfahrens liegt darin, daß für diese Gruppen die voraussichtliche Le bensdauer genauer als bisher bestimmt werden kann. Des halb ist dieses auch weniger für den Einzelnen als viel mehr für die Statistiken der Lebensversicherungsgesellschaf ten von Bedeutung. W. A. Bereichuna der Nervosität betrifft, ein Schlagwort, da» in Laienkretsen soviel Unheil angerichtet hat. denn viele Nervös« sehen sich dazu verurteilt, im nervösen Zustand zeltleben» zu leben, bloß weil vielleicht ein Borfahre einmal an nervösen Störungen litt, so ist nur di« Anlage, d. h. di« Fähigkeit, ner vös zu werden, vererblich. Deshalb braucht der betreffende noch lange nicht dem nervösen Zustand zum Opfer zu fallen, ja er kann sogar, wenn die günstigen Bedingungen erfüllt sind, es zu außerordentlichen Leistungen im Leben bringen, ohne jemals an Nervosität zu leiden. Die Anlage zur Nervosität wird gekennzeichnet durch ein stark entwickelte» Gefühlsleben, das übermäßigen Schwankungen unterworfen ist und einem anormalen Phan- tasieleben. Aus diesen beiden Komponenten erklärt es sich auch, daß die nervösen Störungen so vielerlei Gestalt anneh. men und in manchen Fällen sogar zu sichtlichen Körpererkran kungen führen müssen. Die geistigen Kräfte des Menschen entwickeln sich im Ober- und Unterbewußtsein. Bei Tage ar- beitet das Oberbewußtsein, obwohl auch hier es sehr oft vor kommt, daß die Störungen des Unterbewußtsein» ans Tages licht gelangen, wenn das Ober, oder Wachbewußtsein' zu er- müden beginnt. Das Unterbewußtsein ist sozusagen die Re- gistratur, hier ist alles geordnet, hier ist jedes Erlebnis fest gehalten. Das Unterbewußtsein tritt in seiner Arbeit deutlich in die Erscheinung, wenn in der Nacht das Oberbewußtsein völlig schläft. Dann kann es sich recht auswirken (allerdings arbeitet es auch bei Tage, nur tritt das Wirken nicht in die Erscheinung), um die Urinstinkte des Menschen an di« Ober- fläche treten zu lassen. Diese sind durch unsere Kultur ge hemmt. Aber dies« Hemmungen können auch beim normalen Menschen im Traum wegfallen, denn jetzt arbeitet, ohne daran gehindert zu werden, das Unterbewußtsein. Während nun der Gesunde absurde Gedanken ohne weiteres abstreift, leidet aber der Nervöse unter der Disharmonie zwischen bewußtem und unterbewußtem Streben. Die am Tage mühsam versteck ten Gedanken und Wünsche finden des Nachts im Traum ihre Erfüllung. Es sind vielfach Regungen, die mit dem über- moralischen Empfinden des Betreffenden nicht vereinbar sind und diese Zerrissenheit muß natürlich sich auf die Seele aus, wirken. Der Nervöse hat also viel mit seinem Innern zu tun, er verbraucht innerlich viel Kräfte, denn er wird mit den Dingen nicht so leicht fertig, wie der Gesunde und dabei soll er nach außen hin noch, dasselbe leisten wie der gewöhnliche Sterbliche. Er soll also das Doppelte leisten, was eine fort, gesetzte Ueberbiirdung ist, die sich eines Tages auswirken muß. Man kann sagen, der Nervöse verbraucht seine Kräfte am un richtigen Ort, denn er ist gar nicht so schwach, wie vielfach die Meinung besteht. Die Nervosität ist in den allermeisten Fällen seelisch be dingt und deshalb kann auch diese Störung nur auf dem Wege der seelischen Beeinflussung wieder behoben werden. Was soll man von den „schwachen* Nerven halten, die heute kräftig sind, um morgen dann wieder elend zu sein? Aller dings hält man es in vielen Fällen für sehr schwer, den Ner vösen dazu zu bringen, daß er seine Idee von den schwachen Nerven aufgibt. Alles nimmt er ernst und rennt sich dadurch immer weiter ins Unglück. Ist er einmal auf dem Wege der Besserung, dann fürchtet er immer wieder «inen Rückfall. Vielfach wird dem Nervösen vorgeworfen, daß es ihm an dem nötigen Willen fehle. Er brauche ja nur zu wollen und die Energie aufzubringen, dann könne er auch gesund werden. Wenn die Nervosität der Deckmantel für ein Ziel ist, das sich der Nervöse gesteckt hat und das er auf geradem Wege nicht erreichen kann, so kann er nicht gleichzeitig gesund sein wollen. Man darf den Nervösen nicht als willensschwaches Wesen bezeichnen, denn im Mittelpunkt der Nervosität steht die seelische Zerrissenheit, dem äußerlichen- Ja steht ein viel stärkeres inneres Nein entgegen. Der Wille kann erst dann wieder Erfolg haben, wenn im Leben des Nervösen ein neues Ziel geschaffen ist, auf das er seine Kraft konzentrieren kann. Es gilt also, ihn von dem ganzen Gebiet seiner seelischen Zer rissenheit abzulenken, was aber große Geduld erfordert.