Ein Kommentar zu Goethes Faust. 81 nung und ihr Stelldichein werde zu einem bloßen Zwischen fall zusammenschrumpfen, verblassen und mit der Zeit ver gessen werden. „Der Gott in ihm," sagt Kreißig,*) — „ist noch nicht unterlegen im Kamps mit dem Thiere," der Keim seines Wesens ist noch unverdorben. Die Stimme des Gewissens ist noch nicht durch die Stimme der Leiden schaft übertäubt und znm Schweigen gebracht worden; seine bessere Natur macht sich mit erneuter Kraft wieder geltend. An hoher und erhabener Energie des Ausdrucks und Tiefe des Sinnes steht die Scene in „Wald und Höhle" im ganzen Drama unübertroffen da. Faust ruft den Erd geist an, welcher ihm, wie er fagt, alles gegeben, um was er ihn gebeten habe. Die Natur, welche ihm früher den Eindruck einer Wildniß voll vereinzelter und riithselhafter Erscheinungen machte, liegt nun in ihrer großartigen Ein heit und Ganzheit enthüllt vor ihm da. **) Er kann „nun in ihre tiese Brust wie in den Busen eines Freundes schauen". Er hat die fortschreitende Entwickelung aller lebenden Ge- Kreißig, Vorlesungen über Goeths's Faust, S. 07. **) Soret lder damalige Erzieher des ErbgroßherzogS von Sach sen-Weimar) gibt in Eckermanns Gesprächen mit Goethe eins sehr in teressante Schilderung des Besuchs, welchen der Natursorscher und Anatom d'Alton (1803—1854) bei Goethe machte. In Verbindung mit der vorliegenden Scene ist das Folgende ganz besonders werth- voll: „Goethe, der in seinen Bestrebungen, die Natur zu ergründen, gern das All umfassen möchte, steht gleichwohl gegen jeden einzelnen Naturforscher von Bedeutung, der ein ganzer Leben einer speciellsn Richtung widmet, im Nachtheil. Bei diesem findet sich die Beherr schung eines Reiches unendlichen Details, während Goethe mehr in der Anschauung allgemeiner großer Gesetze lebt. Daher kommt nun, daß Goethe, der immer irgend einer großen Synthese aus der Spur ist, dem aber aus Mangel an Kenntniß der einzelnen Facta >ie Be stätigung seiner Ahnungen fehlt, mit so entschiedener Liebe jedes Ver- hältniß zu bedeutenden Naturforschern ergreift und festhält. Denn bei ihnen findet er , was ihm mangelt; bei ihnen findet er die Er gänzung dessen, was ihm selber lückenhaft geblieben. Er wird nun in wenigen Jahren achtzig Jahre alt, aber des Forschens nnd Erfah- 6