80 Ein Kommentar zu Goethe'? Faust. lichen Pflichten und Sorgen, und er hört ihr mit einer ernsthaften, des Liebhabers würdigen Hingebung und An dacht zu, als ob ihre Worte die tiefste Weisheit enthielten. Von dem Standpunkte seiner eigenen stubenhockerischen Er fahrung aus erscheint ihm alles ganz wunderbar und schön. Gretchens beschränkter Jdeenkreis, ihre bescheidene Meinung von ihrem eigenen Werth und selbst die Ungeschicktheit und Unrichtigkeit ihrer Sprache überraschen ihn im Lichte rei zender und erfrischender Neuheit. Er hat niemals geahnt, daß eine solch schlichte, einfache, ungekünstelte Existenz, so durchaus unberührt und ungequält von Zweifeln und Be strebungen, in einer Welt möglich wäre, welche so viele verwickelte Probleme darbietet. Seine Liebeserklärung läßt daher nicht lange auf sich warten und ihr unverschanztes, weiches Herz ergibt sich ihm leicht. Dann folgt der erste Kuß und das Versprechen des Wiedersehens. Wie reizend, wie köstlich naiv ist daun das kleine Selbstgespräch Gret chens, nachdem Faust von ihr weggegangen ist: — „Du lieber Gott! was so ein Mann Nicht alles, alles denken kann! Beschämt nun steh' ich vor ihm da, Und sag' zu allen Sachen ja. Bin doch ein arm unwissend Kind, Begreife nicht, was er an mir find't." Nachdem Faust seine unrühmliche Eroberung vollendet hat, zieht er sich wieder einmal in seine alte Beste erhabe nen Nachdenkens und stiller Betrachtung zurück, oder, wie Mephistopheles cö ausdrücken würde, der Professor erwacht wieder in ihm. Er fühlt undeutlich, daß seine Beziehung zu Gretchen dieser niemals irgend ein dauerndes Glück bringen kann, und er zaudert daher, ehe er ihr Verderben vollendet. Wenn er sich nun von ihr zurllckzieht, während ihre Liebe zu ihm noch nicht mehr ist als eine zärtliche mädchenhafte Empfindung, wird ihr Leben bald wieder seinen gleichartigen ebenen Verlanj nehmen; ihre Begeg-