Ein Kommentar zu Goethes Faust. 153 Wird zum persönlichen Feinde, dessen Zwecke selbstsüchtig und für den Frieden der Gemeinde gefährlich sind. Keine Strafe kann für ihn zu streng sein. Die konservative Klasse kann ihm niemals Gerechtigkeit widerfahren lassen, und so gar das Gute, was er vollbringt, muß mit unrechtmäßigen Mitteln zu Stande gebracht sein. Unser eigener traulicher und behaglicher Winkel am häuslichen Herd ist uns weit näher und theurer als die Wohlfahrt der Gesellschaft im Großen; im kühnen Zweifel über die Kraft der Strömung, welche die Welt eilends vorwärts treibt, schmeicheln wir uns, wir können der Flut Halt gebieten und sie stauen, und werden erbarmungslos überflutet und hingerissen sammt dem häuslichen Herd, dem Behagen und allem. Und doch haben wir es nicht böse gemeint; gleich Philemon und Baucis waren wir ganz wackere Leute, welche nur das Recht verlangten, in unserer engen zufriedenen Verborgenheit fort zuleben, unberührt von den Veränderungen der Zeit. Diesen Vorgang, so grausam und (bei oberflächlicher Betrachtung) ungerecht gegen den Einzelnen er auch sein mag, wiederholt die Geschichte fortwährend. Er ist das wohlbegründete Gesetz, krast dessen der große Körper der Menschheit sich stetig erneuert; aller todte und verbrauchte Stoff wird ausgestoßen und neue und lebenskräftige Ge webe treten an seine Stelle. Der Pfad des Fortschritts — so könnte man beinahe mit einem Gemeinplatz sagen, — ist mit den Leichen unschuldiger Schlachtopfer bestreut, welche mehr auf das Gefühl als auf die Wahrheit vertrauten und deren einziges Unrecht darin bestand, daß sie eigentlich schon lange todt gewesen waren. Es herrscht bei mir kaum ein Zweifel, daß Faust nur in seiner symbolischen Eigenschaft, als Repräsentant des Menschengeschlechts, in der folgenden Scene den Befehl gibt, Philemon und Baucis aus ihrem Erbgute zu vertreiben; und wir sollten uns daher vorsichtig davor hüten, hieraus irgend einen Schluß auf seinen persönlichen Charakter zu