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Ein Kommentar zu Goethes Faust. 145 Dämonen an den Zipfeln, möchten gern Zur Unterwelt es reißen. Halte fest! Die Göttin ist'S nicht mehr, die du verlorst, Doch göttlich ist's. Bediene dich der hohen Unschätzbarn Gunst und hebe dich empor! ES trägt dich über alles Gemeine rasch Am Aether hin, so lange du dauern kannst. Was dies alles bedeuten soll, ist nicht zu verkennen. Der wirklich belebende Geist der griechischen Lultur, welchen Faust (wie Goethe selbst) sich wieder erobert hatte, vermochte es nicht, lange bei ihm auszuhalten. Nur in den begei stertsten Augenblicken seiner schöpferischen Periode, als er „Actäon gleich, auf die nackte Lieblichkeit der Natur schaute", vermochte er ihre volle Bedeutung zu ergründen; allein der halb durchsichtige Schleier, durch welchen der Geist durch- schimmert, und das Gewand, welches im Verhüllen doch des Körpers Schönheit enthüllt, d. h. die edle classische Form, welche uns in der Bildhauerkunst und Literatur der alten Griechen vererbt worden, diese dürfen wir noch immer behalten und zu neuen Verwandlungen gebrauchen, ihnen den neuen Geist der modernen, germanischen Cultur ein hauchen. Mit welchem nachdrücklichen Ernst sordert uns nicht Goethe hier auf, das große Vermachtniß seines eige nen Lebens, die edle classische Form, zu bewahren und zu Pflegen I Ist es auch nicht die Göttin selbst mehr, sagt er, so ist es doch göttlich. DaS beharrliche Studium derselben, das unaufhörliche Werben uin ihren Besitz haben ihn über die Gemeinheit und Armseligkeit der kleinlichen reactionären Periode erhoben, in welcher er lebte, und werden jeden, welcher nach ihm sich würdig um deren Besitz bewerben will, in eine hehrere, edlere Daseinssphäre emporheben. Ich glaube kaum, daß Goethe hier beabsichtigte, einer absoluten Nachahmung der classischen antiken Form das Wort zu reden, wie Winckelmann gethan hat. Als das lebendige Resultat einer Bildung, welche unwiderruflich vor über ist, kann sie niemals wieder lebendig reproducirt wcr- lO