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Lin kleines Lied Von Elly Salbach. Als Holger Wendt an diesem Morgen aufwacht, bleibi er noch ein Weilchen still und nachdenklich im Bett liegen Die Arme unter dem Kopf verschränkt, liegt er und sinnt Der vierzigste Geburtstag ist nicht wie andere Ge burtstage. Di« hübsche runde Zahl fordert zum Nach denken auf. Vierzig Jahre sind keine zwanzig. Aber Hol ger verlangt auch nichts Unmögliches. Jedes Lebensalter hat seine Vorzüge. Er weiß nicht einmal, ob er, selbst wenn es möglich wäre, noch einmal zwanzig sein möchte. Nein, ihn schreckt nicht die 40 und die 20 reizt auch nicht be sonders. Es sind die Jahre, die dazwischen liegen, die ihn nachdenklich stimmen. Das, was er in diesen Jahren erreicht und noch mehr das, was er dafür aufgegeben hat. Was er erreicht Hai — — Zeichnung: Elsner Seine Blicke wandern durch das Zimmer. Sehr etc gant alles. Die Möbel aus teurem Kirschholz, echte Tep piche und Brücken, wertvolle Bilder. Tapeten aus Seide. „Firlefanz', denkt Holger spöttisch „Kientopp!" Aber die Geste, mit der er über die dicke Seidendecke auf sei nem Bett streicht, ist doch nicht so sehr ablehnend. Ange nehm ist's doch. Der Mensch gewöhnt sich eben schnell und — - - vergißt schnell. Denn früher Holger ist einmal aus der stillen Heide in die große Stadt gekommen. Er Hal sich nicht nur durch die üblichen Schwierigkeiten durchbeibell müssen, die jeder Künstler kennt, der wie Holger Wendt unbekannt, ohne Freunde, ohne Geld, ohne Protektion angefangen hat. Für Holger war die Well, die er sich erobern wollte, eine fremde Welt und eine recht böse dazu. Er stand wie vor Mauern und stieß überall an. Er mußte erst einmal gründlich umlernen, vieles vergessen, bevor er das Neue begreifen konnte. Aber er war zäh. WaS er wollte, setzte er auch durch, und Schwierigkeiten waren dazu da, um überwunden zu werden Und er schaffte es auch. Heute war er ein be kannter und beliebter Komponist, und seine Filmoper, die vor einem halben Jahr herausgekommen ist, hat seinen Namen ganz groß und berühmt gemacht. Leicht war der Weg bis dahin nicht gewesen, und . wenn Holger es richtig überdachte Zu den Men- ! scheu, zwischen denen er heute lebte, die sich seine Freunde, Verehrer oder sonstwas nannten, zu denen paßte er noch immer nicht recht. Manchmal, mitten im fröhlichen Kreis mitten in einer angeregten Unterhaltung, überfiel ihn der Gedanke: „Was mache ich eigentlich hier? Zwischen die sen Leuten? Ich gehöre doch gar nicht dazu. Ich der Bauer.' Und wenn Suzanne nicht wäre „Suzanne', denkt Holger sehnsüchtig. „Meine Su zanne.' Eigentlich ein Märchen. Holger Wendt und Suzanne Bernier. Der schwermütige Heidejunge und die elegante, berühmte und viel gefeierte Filmschauspielerin. Aber ein Wirklichkeit gewordenes Märchen. Denn Su zanne ist wirklich seine Braut. Was kümmern ihn da noch die anderen. Holger sitzt etwas später am Frühstückstisch. Da kom men auch schon die ersten Glückwünsche. Und dann geht es ohne Pause. Briefe und Telegramme. Blumen Blumen und viele Menschen, die heute alle Holger unbe dingt selbst die Hand drücken wollen. Er ist ein wenig müde und abgespannt, als es endlich Abend ist, und recht froh. Jetzt wird es erst nett. Der große Schwarm der Besucher ist fort. Zum Abend bleiben nur die Freunde, ein paar gute Bekannte und natürlich Suzanne. Endlich wird er sie ein bißchen für sich haben. Suzanne will nach Hollywood. Sie hat ein neues, sehr glänzendes Angebot bekommen. „Und ich?" fragt Holger leise, und unsere Ab machung?" „Du? Du kommst natürlich mit. Ich habe für drei Filme abgeschlossen. Du wirst die Musik dazu schrei ben. Es ist alles schon fest abgemacht. Wir fahren in vierzehn Tagen. Zunächst nach New Bork. Kennst du New Bork?' — — — Nun, ich war schon ein paarmal drüben. Ich kenne genug einflußreiche Leute, die auch du unbedingt kennenlernen mußt. Sie werden dir viel hel fen. Aber überlasse das nur mir." Sie plaudert ganz ungeniert darüber, mit lauter Stimme. Der ganze Tisch hört zu. Holger antwortet nicht. Er ist sehr nachdenklich geworden. Irgend etwas stört ihn. Suzannes Worte? Oder — — geht nicht ein kleines Schmunzeln über die Gesichter am Tisch? In Holger ist aus einmal alles voller Abwehr. Suzanne hält sein Glück in ihrer Hand. Das nimmt er gern von ihr entgegen. Aber — „überlaß das nur mir" — — — wenn es sich um seinen Beruf, um seine Arbeit handelt? — Ach nein. Er weiß wohl, daß Suzanne sehr viel und auch länger berühmter ist als er. und daß sie glänzende Verbindungen hat. Nie ist ihm eingefallen, das für sich auszunutzen. Es tut direkt weh, zu sehen, wie sie das scheinbar alle als sicher annehmen, und Suzanne findet es noch in der Ordnung. Nein! — Nie Ihm ist beiß geworden. Er muß unbedingt ein paar Augenblicke allein sein. Leise sagt er seiner Braut ein paar Worte und gehl schnell aus dem Zimmer. Vorhin, als er aus dem Zimmer ging, hat er ein paar sehr häßliche Worte aufgefangen: — — mehr wie das. Sie sehen doch, daß sie alles allein besorgt. Sie Hal ihn doch auch bei der Allianz durchgesetzl. Oder was glauben Sie, warum seine Filmoper so schnell angenom men und mii so viel Tamtam herausgebracht wurde. Hal alles die Bernier gemacht." Das sind bitterböse Worte. Holger möchte gern glau ben, daß nur Neid sie sprechen läßt. Neid redet viele Lügen. Aber da ist noch etwas anderes. Der Zweifel sitzt einmal in seinem Herzen und frißt sich weiter wie Schlangengift. Wie war das mit seiner Oper? Er und Suzanne waren damals schon gute Freunde. Er hatte ihr oft dar aus vorgespielt. Einmal kam Direktor Kronfeld dazu. Zufällig, hatte Holger geglaubt. War's wirklich ein Zu fall gewesen? — — — Und dann war alles sehr schnell gegangen. Annahme der Oper — Proben — Aufnahmen - Uraufführung Ueberraschend schnell. Und der Narr Holger Wendl hatte sich noch darüber gefreut, war stolz gewesen narr Wie er noch so steht und böse Gedanken spinnt, kling' auf einmal leise v'on irgendwoher zartes, halb verwebtes Saitensptel zu ihm herüber, und dann setzt eine weiche, süße Frauenstimme ein: Ueber die Heide geht mein Ge denken " Die klare Nachtluft trägt jeden einzelnen Ton deutlich zu ihm Ueber die Heide .... Holger hat vergessen, was ihn quälte. Das ist ja so Heide! — Heide, Heimat — — Liebe, geliebte Heide. Er holt ein paarmal tief Luft, weil er auf einmal Heide geruch in der Nase hat. Dieses Eigenartige, Süßherbe, das es auf der ganzen Welt nicht ein zweites Mal gibt. Heide braune Heide Bienendurchsummte, pur purdurchglühte — — — „Ueber die Heide ", singt die Frauenstimmc weiter, und auch Holger träumt weiter. Er sieht den alten Eichenhof, das Elternhaus, die beiden Alten — Vater und Mutter — wie es ihnen wohl gehen mag? — Und der Bruder, der Vater hat ihm sicher schon längst den Hof übergeben — — Ach Heide — — Heimat — — — Holger hatte vergessen, was ihn quälte. Das ist ja so lächerlich, so unwichtig. In ihm ringt etwas ganz ande res, etwas Großes, Starkes und eine neue Sehnsucht. Aufgeweckt durch ein kleines, langvergessenes Lied. Er ist nicht böse, als ihn die Freunde aufstöbern und mit Hallo wieder in ihren Kreis ziehen. Er könnte jetzt keinem böse sein. Still lächelt er zu ihrem Ueber- mut und zu allem, was sie bei der fortgeschrittenen Stim mung anstellen. Aber zwischen Scherz und lautem Lachen klingt immer wieder das kleine Lied — — — Später muß Suzanne singen. Holger betrachtet sie prüfend. Ist das die Frau, von der er das Höchste für sich, die Erfüllung alles Seins, erhofft hat? — Er Hörl nichts von ihrem süßen, lockenden Liebesgesang. Seine Gedanken sind weit, weit von ihr. Auf dem kleinen Hof in der Heide. Könnte er da wohl ebenso gut arbeiten wie hier? — Besser wahrschein lich. Besser und Besseres. Wenn er nur daran denkt, daß er in der schönen, großen Eckstube sitzt mit dem wun derschönen Altväterhausrat. Er Höri tausend neue, unge ahnt köstliche Melodien in sich, wenn er nur daran denkt Da gehört er hin. Da patzt er hin. Nicht in dieses moderne, überelegante Haus. Hatte ihm nicht immer etwas gefehlt? Das Letzte, ganz Große? Auch für seine Kunst. Ach Heide Heimat — Suzanne steht das Leuchten in seinen Augen und bezieht es natürlich auf sich und ihren Gesang. Sie glaubt an ihre unbesiegbare Macht über ihn und meint natürlich, seine Sehnsucht sei bei ihr. Sie hat vorhin wohl gemerkt, daß er nicht mit ihr zufrieden war. Aber Suzanne liebt keine Auseinandersetzungen. Wozu auch? — — Es ist doch selbstverständlich, daß er sich nach ihr richtet. Sie weiß es doch besser. Und er ist ja auch sehr schnell wieder vernünftig geworden. Der gute Junge. Aber ihre Zuversicht erhält einen ziemlichen Stotz, als sie am nächsten Morgen seinen Abschiedsbrief in den Hän den hält. Zuerst ist sie erschrocken — empört. So etwas von Undank! Dann zuckt sie die Achseln. „Nun gut. Dann eben nicht." Sie zerreißt den Brief in lauter kleine Stücke und läßt sie langsam einzeln in den Papierkorb fallen. Vorbei! — — — Ein Weilchen steht sie in Gedanken versunken aus dem Fenster. Wie der Sturmwind die Bäume zaust! — Und den Menschen will er fast die Sachen vom Leibe reißen. Sie schüttolt sich. Das ist kein Wetter, das sie liebt. „Vielleicht ist es doch gut so", sagt sie einmal laut aus ihren Gedanken heraus. Aber sie meint nicht das Wetter. Und derselbe Sturm, vor dem Suzanne sich schüttelt, braust ungehemmt und zehnmal stärker über die Heide. Holger findet ihn herrlich. Er wirft sich ihm entgegen und horcht mit allen Fasern auf das mächtige Brausen und Klingen. Es ist ein gewaltiges Lied und das schönste, das er kennt. „Zu Hause", singt der Sturm. „Zu Hause ' Nach Jahr und Tag Von George Gal weit. Ein Jahr war vergangen Sogar mehr als ein Jahr, denn der erste Jubiläumslag ihrer Trennung lag nun schon zwei Monate und dreizehn Tage zurück. Am Abend dieses dreizehnten TaaeS hielt Vincent es nicht mehr aus. Er setzte sich hin und schrieb einen Brief Dabei achtete er sorgfältig darauf, daß in keiner Zeile das Wort „Liebe" erwähn, wurde. Er erreichte damit, daß es um so öfter zwischen den Zeilen zu lesen war. Aber das merkte er nicht Am nächsten Morgen klingelte im Büro das Telephon. Es meldete sich Marias tiefe, klangvolle Stimme Vincent spielte den Uebcrraschten. während er seine Hände merk würdig feucht werden suhlte. Mit erzwungener Ruhe fragte er nach ihrem Befinden. „Danke!" sagte Maria. Und dann, nach einer kleinen Pause: „Ich habe deinen Brief bekommen!" „Ja?", fragte Vincent zurück. „Heute früh. Sag, ist es wirklich wahr, daß du mich brauchst?" Vincenz überlegte, wie sie darauf gekommen sein könne In seinem Brief hatte davon bestimmt nichts ge standen. Ehe er sich eine diplomatische Antwort hätte aus denken können, hatte er bereits bejaht. Darauf fragte Maria, ob er sie sehen wolle. Vincent dachte, nun sei doch schon alles gleich, und sagte noch einmal ja. Sie verabredeten, zusammen ein Varietö zu besuchen und anschließend in einem ruhigen Cafs zu plaudern. Eicher gäve eS doch eine Menge zu erzählen. So meinte Maria. Den ganzen Tag über befand sich Vincent in einer Stimmung, die er schon längst nicht mehr kannte. Eine Arbeit, die ihm seit Tagen schwere Kopfschmerzen bereitete, kam in wenigen Minuten über den kritischen Punkt hinaus und gelang wider Erwarten gut. Es wurde ein regel rechter Gluckstag. Zur verabredeten Zeit betrat Vincent die Vorhalle des Theaters. Maria war schon da Er erkannte sie sofort an der Fülle kastanienfarbenen Haares, das unter dem Rand eines kleinen modischen Hutes hervokquoll. Marta hatte sich nicht verändert. Noch immer besaß sie dieselben strahlend blauen Augen, das gleiche bezau bernde Lächeln. Plötzlich begann Vincent die Wirkung beider zu fürchten ... Sie saßen in der vierten Reihe nebeneinander. Vincent langweilte sich. Oft streiften seine Blicke ihr klares Profil, Manchmal merkte sie es und lächelte. In der Pause spa zierten sie rauchend dnrch die Gänge und sprachen von ge meinsamen Bekannten. Nach Schluß der Vorstellung regnete es in Strömen. In einem Taxi fragte Maria, wie es ihm ergangen sei. Nachdem sie das Thema ihrer gegenseitigen Tätigkeiten während des vergangenen Jahres erschöpft hatten, schwie gen sie. Zum erstenmal kam es Vincent in dem fremden Auto zum Bewußtsein, daß sie schwiegen, weil es eigentlich zwischen ihnen nichts mehr zu sagen gab. In der stillen Ecke eines kleinen Cafss wollte Maria wissen, mit was für Frauen er zusammengewesen sei. Vincent mutzte lachen. Eine echte Marta-Frage. Sie war immer sehr elserlucyng gemein, aucy oamcuo nocy. c- eigentlich längst aus zwischen ihnen war. „Eine ganze Menge Enttäuschungen", antwortete er. Aber nicht von ihm sollte gesprochen werden, sondern sie möge erzählen. Maria erzählte. Von Gesellschaften, Bällen, Tanztees und Einladungen, von neuen Kleidern und Hüten, von Theater- und Filmpremieren, von Männern mit Heirats anträgen und ohne solche . . . Vincent fand es entsetzlich. Was sie sagte, unterschied sich durch nichts von den Erzählungen, die er ein Jahr lang in verschiedenen Versionen von fremden Lippen ge hört hatte. Während Maria weiter sprach, dachte er an die vielen Abende, die er allein verbracht harte und bei denen mehr oder weniger gegen seinen Willen Maria bei ihm gewesen war. Er dachte an all jene Enttäuschungen, die ihn unrettbar zu den Gedanken an Maria zurückge zwungen hatten ... Gedanken, bei denen es seltsamerweise immer Trost gegeben hatte ... und dann dachte er flüchtig daran, was er von diesem Abend erwartet hatte. „Schade!" sagte er plötzlich müde und zusammenhang los mitten in eine Erzählung Marias, die von einem Rekordflieger handelte, hinein. „Was ist schade?" fragte das Mädchen überrascht. „Was hast du eigentlich, Vin? Du bist so merkwürdig." Vincent schüttelte den Kopf und steckte sich eine neue Zigarette an. „Nichts!" sagte er. „Und schade ist, daß du so schreck lich oberflächlich und arrogant geworden bist, Maria." Er sagte es ohne jede Feindschaft, ohne jeden Vorwurf in der Summe. Maria zuckle zusammen. „So?" meinte sie dann gedehnt. „Bin ich das?" „Ja, leider! Vergiß nicht, ich kenne dich auch anders.' „Du bist sehr ehrlich, Vin!" Vincent zog die Schultern hoch. „Es wird auch allmählich Zeit dazu, meinst du nicht?" sagte er nur. Und dann: „Wollen wir gehen?" Sie gingen zu Fuß. Es hatte aufgehört zu regnen. Die Luft war klar und rein wie nach einem Gewitter. Man spürte die Nähe der Erde selbst hier in der Stadt. Unwillkürlich dachte Vincent an Stunden in der Ver gangenheit, in denen sie gemeinsam im Sommer auf Wiesen und Feldern der Erde nahe gewesen waren, und fühlte, wie er sich jetzt mit jedem Schritt mehr von dieser Vergangenheit entfernte. Mehr als es ihm ein ganzes Jahr vorher gelungen war. Er war nicht einmal sicher, ob er es bedauern sollte oder nicht. Vor Marias Hanstür blieben sie stehen. Ein wenig unentschlossen wie es schien, reichte sie ihm die Hand. „Wenn du mich jemals wieder brauchen solltest. . sagte sie leise. Vincent beugte sich lächelnd über die Hand. „Es liegt wohl gar nicht so sehr daran, daß man wirkliche Hilfe braucht", sagte er langsam. „Mir scheint, man tut manchmal zuviel Ueberflüssiges! Nicht wahr? Gute Nacht, Maria!" Dann ging er. Zu Hause blieb er eine Weile vor dem , Bilde Marias, das noch immer über seinem Schreibtisch hing, stehen und starrte es an. Er hatte das Gefühl, daß es Zeit sei, es zu entfernen, wie etwas Ueberflüssiges- Aber er war zu müde, es zu tun. Kannliäres von Bedeutung verkündet man stets durch die Zeitung'