Volltext Seite (XML)
Lop^rigkt 1937 b> ^uttvsrts-VsrlaL, Lerlin 3W 68 1 Nachdruck verboten. Und gerade die hinterlistige Gehässigkeit, mit der der Dauer ihr in den nächsten Tagen das Leben zu verbittern pachtete, die lauernde Geschicklichkeit, mit der er ihr kleine Freuden vergällte und das tägliche Brot versalzte, ließ diese Vermutung in ihr beinahe zur Gewißheit werden, „Was ist das?" hatte Rocke den Amtsrichter gefragt, Us sie wieder allein waren. „Jeder Mensch in der Um hegend kennt doch das Geranne über den Weidenhof. Und du stößt mich ans Schienbein. Weißt du denn da Bescheid? sind ist da ein dunkler Punkt dabei?" „Bescheid", sagte langsam der Amtsrichter, „weiß Wohl rur Klein. Aber der sagt nichts. Dunkler Punkt ist ein veiter Begriff. Ehrenrühriges gewiß nicht... Aber Dartholomee kriegte ja einen Kopf wie ein Truthahn, als du damit heraustolpatschtest. Er will nichts davon hören, s'iebe Zeit, so gerade nach dem Kriege, da ist wohl manches dassiert. Schwamm drüber! Du in deiner überlebens- ;roßen Taktlosigkeit..." „Na, erlaube mal", verteidigte sich Rocke, während sie ich zum Aufbruch rüsteten. Und sie begaben sich in ihre nahe beieinander gelegenen Wohnungen mit dem geruhsamen Humor und der frag losen Zufriedenheit jener glücklichen Menschen, denen das lllltägliche vollauf genügt. Siebentes Kapitel 6k!!Ik:ilMI88k:? Das adelige Gut, dessen Aecker an Weidenhof grenzten und dessen Herrenhaus keine Viertelstunde vom Wohnhaus der Bartholomees entfernt lag, hatte wieder einmal den Besitzer gewechselt. Es war diesmal ein älterer Herr, der es erworben halte; er ließ sich mit seinem Offiziersrang anreden — Rittmeister — und trat, ob ihm gleich die Gutmütigkeit auf dem roten, runden Gesicht geschrieben stand, gern martialisch-gespreizt auf. Er war bürgerlich, trug den nicht sonderlich schönen noch vornehmen Namen Grotekirl, hatte den Bauer neulich auf dem Felde getroffen und, als er hörte, daß auf Weidcnhof eine junge Tochter sei, den Besuch seiner Mädels in Aussicht gestellt, die, wie er sich ausdrückte, „nach etwas Verkehr lechzten". An einem Werktagnachmittag, während Heiliken eben feste bei der Arbeit war, stürmten die drei Grotetirlschen Jungmädels, die es vor Neugier nicht mehr hatten aus halte» können, auf den Hof, um die Nachbarin kennen zulernen. Die jätete gerade im Garten Unkraut und kam nur zögernd auf Frau Lüttmanns aufgeregten Rus — braun gebrannt, in einem nicht mehr sauberen Arbeitskleid und in Holzpantoffeln — nacktbeinig ins Haus. Da standen nun im Eßzimmer, dem Heiliken längst eine wohnlichere Note gegeben hatte, die drei Mädchen in ihren feinen, Hellen Besuchskleidern, in Seidenstrümpfen und zartem Schuhzeug, bereit, sich lustig zu machen, bereit aber auch, sich herzlich anzufreunden — je nachdem. Heiliken grüßte lachend und ohne jede Verlegenheit. „Fein, daß ihr kommt! Setzt euch! Im Augenblick bin ich wieder da. Nur, daß ich mich eben menschlich mache..." Sie war — in frischem Kleid und in gutem Schuh werk — wieder unten, ehe die drei sich entschlossen hatten, ob sie diese Art formloser Begrüßung bäurisch oder reizend finden sollten. „Wie heißt du eigentlich?" fragte sie die älteste der Grotekirls-Mädchen. „Mr wissen nur deinen Vaters namen." „Anna Dorothea", gestand Heiliken beinahe beschämt wegen der anspruchsvollen Bezeichnung einer so anspruchs- losen Person, wie sie war, „aber im Kloster und von meiner Mutter wurde ich niemals-so genannt. Da hieß ich einfach Heiliken!" Die drei brachen in Hellen Jubel aus. > „Das ist ein reizender Name. Wir nennen dich auch so!" „Vater hat's nicht gern", wandte das junge Mädchen ein. - . Aber die andere» ließen es nicht gelten. „Ich glaube, es paßt zu dir", meinte die eine von ihnen. „Nun ich den Namen gehört habe, möchte ich dich mit keinem anderen mehr anreden." Heiliken ließ es sich gefallen. Nach Bauernart, die ihr im Blut lag, wies sie den Gästen Haus und Hof, Stallungen, Scheunen und Garten. ! Im Kuhstall trafen sie Bartholomee. Der sah nicht ungern die Töchter des vornehmen Nach bars als Gäste auf seinem Hof. Er gab sich heiter, höflich und neckisch-väterlich. „Hast du einen reizenden Vater", schwärmten die drei. Und Heiliken nickte überzeugt. Sie hatte im Augenblick vergessen, wie vieles zwischen ihm und ihr sich ausgehäuft in den wenigen Wochen nach ihrer Heimkehr. Die drei Mädels, alle älter als Heiliken, lärmte» und lachten lustig durch das stille Haus. Sie schlossen eine schnelle und enthusiastische Freundschaft mit der Tochter des Bauern, ließen sich von ibr durch die Wiesen beim- begleiten und ruhten nicht mit ihren Bitten, bis Heiliken, ein wenig peinlich berührt von so viel jäh über sie herein brechender Zuneigung, aber mit der ruhigen Sicherheit der Umgangsformen, die ihr mehr angeboren als an erzogen war, nachgab, mit ihnen das Gutshaus betrat, sich dem Rittmeister wie seiner Frau vorstellen und sich von ihnen wohlwollend bewundern ließ. Wiederum brachten nun die jungen Grotekirls sie ein Stück zurück. Es kam Heiliken, wie sie so zu viert durch die Wiesen, über die sich schon die silberne Nebelfeuchte des Abends zu legen begann, hin und her tollten, in den Sinn, daß ein kühler Beobachter sie mit ungezähmten, von der Kette losgelassenen Hunden vergleichen konnte. Und so mäßigte sie ihre Lustigkeit unmerklich, gab sich stiller und gehauener und versuchte doch, es ihre Gefährtinnen nicht merken zu lassen. „Wann sehen wir uns wieder?" fragten die, abschied nehmend, dringend, in ungeduldiger Vorfreude auf eine Wiederholung dieses heiteren Nachmittags. „Sobald es geht", erwiderte Heiliken entgegenkommend, „aber freilich habe ich meine Arbeit..." „Zu der dich niemand treibt und zwingt! Dein Vater hat mir gesagt, du hättest keine Pflichten auf dem Hof. Was du tätest, geschähe nach deinem eigenen Willen und deinem eigenen Ermessen", trumpfte in zärtlicher Tyrannei die älteste Grotekirl auf. Heiliken errötete. „Vielleicht", sagte sie bescheiden, „aber sind selbst gewählte Aufgaben nicht auch Aufgaben?" Die Grotekirls lachten. „Ach, du bist süß, wenn du so ernsthaft bist", sagte die Jüngste und umhalste Heiliken stürmisch. „Komm doch am Sonntag zu uns. Und dein Vater muß auch kommen. Ich werde Papa so lange quälen, bis ^r ihn besucht und einlädt. Nein, Heiliken, verliebt — regelrecht verliebt bin ich in ihn, beinahe so verliebt wie in dich..." „Es ist nicht langweilig bei uns, das kannst du glauben", schmeichelte die andere. „Meine Vettern kommen aus Münster. Werden die staunen, wenn sie dich sehen: daß es so wüs gibt hier auf dem platten Lande — eine Bauerntochter, die wie eine Prinzessin wirkt!" Heiliken lachte. „Ihr könnt schmusen!" wehrte sie unberührt und un gerührt. „Aber wißt ihr: Männer? Danach frage ich gar nichts! Ich heirate später einmal einen Bauern, hier aus der Umgegend. Aber nicht ehe ich dreißig Jahre alt bin. Mein Vater ist noch nicht alt und..." Nachdenklich ging Heiliken den Wiesenweg zurück. Er führte hart an der Lippe entlang, deren Ufer hier von ragenden Pappeln begleitet wurde. Sie standen im ersten, knospenhaften Grün, das goldig leuchtete, und die Luft schien wunderbar gewürzt vom Harz dieser saftigen Bäume. Di" sinkende Sonne malte die Wolken bunt: gelb, lila, hellgrau, rosa. Und das Wasser gab die leuchtenden Farben nicht nur getreu wieder. Blanker noch und reiner schienen sie im Spiegelbild des Flusses. Das Land aber lag im Nebeldunst wie in einem Schleier. Hinter den Weiden, deren Köpfe schon in krausem, üppigem Grün standen, lag der Hof. Leichter Rauch zog weiß und kerzengerade aus dem Schornstein des Wohn hauses in die reine Luft empor. Schön war die Welt, schön... Herrlich war es, Heimat zu haben. Boden unter den Füßen, der einem gehörte, aus den man Anrecht hatte, den schon die Eltern und Großeltern und viele Generationen vor einem gewandelt waren. Heiliken empfand das mit Stolz und warmer Innigkeit. Und doch konnte sie nicht hindern, daß sich der Schatten des strahlend heiteren Nachmittags, jene drückende Lebens angst, auf sie niederließ und ihr Herz schwer und trübe machte — jene seltsame Lebensangst, die sie im Kloster nie gekannt und die sie seit ihrer Heimkehr so oft und so plötz lich anfiel, ohne daß sie sich ihrer zu erwehren vermochte. Warum konnte sie nicht sein wie die anderen? Fraglos heiter, gedankenlos... Ach ja! Gedankenlos... Es erschien ihr eine erstrebenswerte Eigenschaft zu kein, die Vorbedingung zu jedem Glück. Weil sie unter einem Schicksal stand! Stand sie unter einem Schicksal? Was hieß das überhaupt? Und wenn sie unter einem Schicksal stand - warum? Wieso? „Schuld", hatte die Oberin damals gesagt, „bringt S^'cksal. Es braucht nicht immer eigene zu sein." Heiliken konnte es nicht vergessen. Aber jetzt tröstete sie dies Wort. Vor Schuld konnte man sich bewahren, hüten. Sie wollte sich schon in acht nehmen, daß sie nicht in Schuld geriet. Sie nickt! —- - - Wenn aber fremde Schuld ... Unwillkürlich dachte Heiliken an den Vater. Wenn er... Nein, dachte sie trotzig, um des Vaters willen würde sie nicht leiden. Der mochte, wenn es not tat, seine Fehler selbst austragen und büßen. Um des Vaters willen würde sie keine Lasten und keine Leiden auf sich nehmen. Das hätte er um ihretwillen nicht verdient. Ei, wie er heiter und liebenswürdig mit den jungen Grotekirls gewesen war! Und kam sie jetzt heim, so würde er ihr wieder die alte, zugeschlossenc, brummige Art zeigen. Um des Vaters willen — nein! — würde sie kein Schicksal auf sich nehmen. Freilich. Der Vater war zwar ein launenhafter und grilliger, aber eiu ehrenfester und durch und durch an ständiger Mensch. Er war viel zu klug und auch wohl zu ehrbegierig, um sich irgend etwas Ernstlicheres zuschulden kommen zu lassen. Er, gewiß, wußte nichts von Schuld und würde keine auf sich laden. Und dieser Gedanke erfüllte sie denn doch wieder mit tröstlichem Vertrauen, machte sie zuversichtlich und stolz, und rasch und fröhlich schritt sie dem Hause zu. Es war noch Zeit bis zum Abendbrot. Sie huschte daher wieder einmal in das alte HauS hinein. Die laute Fröhlichkeit der vergangenen Stunden ließ sie Sehnsucht nach Einsamkeit empfinden. Im Flur links wohnte ein verheirateter Knecht, dem der Bauer die alte, große Küche und ein Zimmer daneben angewiesen hatte. Die vier anderen Räume, rechts von der Diele, unmöbliert bis auf das Schlafzimmer, das der Vater wohl um der Erinnerung willen in seinem alten Zustand belassen uno bewahrt hatte, waren für Heiliken das Heimatlichste und Geheimnisvoll-Vertrauteste auf dem ganzen Hof. So hübsch das neue Haus war und vor allem ihr reizendes, geräumiges Schlafzimmer — es hafteten für sie keine Erinnerungen daran, und sie fühlte sich immer ein bißchen fremd darin, wie in Pension oder gar in einem Hotel. Des Paters Art mit ihr trug viel dazu bei. Hier aber wurde ihr die Kindheit wieder lebendig. Erinnerungen an die Mutter, die im Meer der Tage, fern von der Heimat verbracht, untergegangen waren, tauchten aus der Tiefe des Vergessens heraus und brachten ihr die Tote, an die sie im Kloster nur wenig noch gedacht, seltsam lebensvoll nahe. Dies oder jenes, wenn auch gewußt, so doch nur ver schwommen gewußt, würde sie gern vom Vater erfragt haben. Doch eine unüberwindliche Scheu, die sie empfand, ohne sich Rechenschaft über sie abzulegen, machte cs ihr unmöglich, mit ihm über die Verstorbene zu sprechen. Zs risse ja nur alte Wunden wieder auf, sagte sie sich; wozu? Sie konnte sich das Wesen des Vaters gegen sich ja nur aus dieser Erwägung erklären und nur aus ihr heraus ertragen: Du gleichst ihr so sehr und bist doch nicht sie - das erbittert ihn gegen dich... In eines der leeren, Hinteren Zimmer hatte sich Heiliken vom Boden, auf dem es unbenutzt und ungepflegt stand, einiges Mobiliar gestellt: einen kleinen, viereckige» Tisch, einen Korbstuhl... Sie hatte den Naum gereinigt und die Fenster geputzt. Vor einem derselben standen Tisch und Stuhl. Dort pflegte sie sich zu verbergen, wenn sie fühlte, daß ihr Selbstbesinnung not tat; dort schrieb sie lange Briese an ihre mütterliche Freundin, die Oberin, in denen sie nur schlecht ihr tiefes Enttäuschtsein über das, was sie in der Heimat gefunden, verhehlte. AVer die gütige und kluge Frau verstand, daß es ver hehlt werden sollte und wußte Trost und Rat wie unwill kürlich in ihre Erwiderungen einzuflechten. Hier saß Heiliken wohl mit einem Buch oder mit eine: Handarbeit, wenn sie ganz, ganz allein sein wollte. Hier träumte sie in die Landschaft hinaus, die sich lieb lich hinter dem Garten dehnte. Den Mittelpunkt bildete» die Türme von Kappel in einem Kranz von Bäumen, du eben jetzt in voller Blüte standen. Hier rang sie mit sich selbst in schwerem, heißem Kampl um Geduld, Liebe, Verständnis, wenn ihres Vaters ver schlossene, harte Art, die, allem guten Willen ihrerseits zum Trotz, von ihr doch immer wieder als Bosheit, Ge hässigkeit und Mißgunst empfunden wurde, ihre Seele bis zum Zusammenbrechen bedrückte. Ihrer im Kloster emp fangenen Erziehung gemäß suchte und fand sie Schuld auch bei sich, und durch diese Erkenntnis erleichtert — denn sie wies Wege zum Bessermachen! — trat sie dann aus der Verborgenheit des von anderen fast vergessenen Gemachs mit neuem Mut und frischer Kraft wieder in ihren Alltag hinein. Leise schritt sie jetzt über den Flur, tastete sich durch das Schlafzimmer, dessen Fensterläden geschlossen waren, uno öffnete die Tür zum Hinterzimmer, die sich genau am Fuß ende ihres Kinderbettchens befand. Der Abendhimmel hatte eben den Gipfelpunkt seinei goldroten Pracht erreicht und glühte, wie in leidenschaft licher Begeisterung ein sehnsuchtsvolles Herz glühen mag Sie öffnete das Fenster. Die laue Mailuft, abendlich gewürzt, strömte herein. Eine Nachtigall schlug. Es klang friedevoll, sicher und glückgewiß. Heiliken atmete tief. Eine große, ernste Gelassenheit kam über sie, ein aus geprägtes Gefühl des Gcborgeuseins, ein deutliches Wisse» davon, daß das Leben ihr einstmals ein schönes und be ständiges Glück schenken werde, daß aber auch... Ja, daß, wie es ihr ihr Traum gezeigt, noch rauh uni öde der Weg vor ihr lag und daß er auf einen Abgruni zuführe, in dem nicht zu versinken höchste Kraft erfordert werde. »Flieg, Heiliken, fliege!" hatte die Stimme im Traun ihr ratend und helfend zugeruzen. Ihrer Seele Flügel mußten stark, sehr stark werden, uu sie hinüberzutragen. lKorttebuna kolau