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Zwei Schnellzüge Luzern, 13. Dezember. Ein schweres Eisenbahn unglück ereignete sich bei Luzern im EUtschtunnel, durch den die Eisenbahnlinie aus dem Stadtbahnhof Luzern hinter der Stadt herführt, um dann nach Bellinzona einerseits und nach Basel—Zürich andererseits abzuzweigen. Der Gott hard-Schnellzug 554 stieß hier mit dem Züricher Schnellzug zusammen. Bisher sind neun Tote geborgen worden. Vier Menschen werden noch vermißt. Zwölf Personen wurden schwer verletzt. Die Lokomotivführer der beiden Züge be finden sich ebenfalls unter den Toten. Die Rettungsarbei ten in dem dunklen und engen Tunnel sind sehr schwierig. Die Ursache des Zusammenstoßes liegt darin, daß der Züri cher Schnellzug bei der Signalstelle Sentimatt das ge schlossene Einfahrtssignal überfuhr und dadurch in die auf den Gotthard-Schnellzug gestellte Ablentungsweiche hin- einsuhr. Die beiden Lokomotiven rasten dann mit einer Stundengeschwindigkeit von etwa 7V Kilometern gegenein ander. Der Arm des einen Lokomotivführers ragt noch wie ein furchtbares Warnungssignal aus dem zertrümmerten Führerstand heraus. Der Postwagen des einen Zuges wurde senkrecht aufgestellt und der Stuttgarter Personenwagen türmte sich auf ihn hinauf. Die Aufräumungsarbeiten werden sehr erschwert, weil sich die Trümmer der Lokomotiven und Wagen bis zur Tun neldecke türmen. Die Schweißapparate sind ununterbrochen in Tätigkeit, um die ineinandergepretzten Eisenteile zu lösen. Die Aufräumungsarbeiten werden noch die ganze Nacht in Anspruch nehmen. Nach dem Zusammenstoß entstand im Tunnel durch Kurzschluß ein Brand, der aber bald gelöscht werden konnte. Am 19 Uhr befanden sich köine Verletzten mehr unter den Trümmern. Durch den Zusammenstoß wur den beide Lokomotiven, die Gepäckwagen und zwei Perso nenwagen zertrümmert, die glücklicherweise nur schwach be setzt waren. Die Verletzten weisen Schädelbrüche, Schenkel- vnd.Ellenbogenbrüche und Quetschungen auf. Erschütternd war es, wie die unverletzt gebliebenen Passagiere einer nach dem anderen wie aus einer Hölle entronnen aus dem Tun nel kamen. Mehrere hatten einen Nervenschock erlitten. Unter den Getöteten befindet sich auch einDeutscher, und zwar der Berliner Geschäftsreisende Türke. Er be fand sich in dem Stuttgarter Dritteklassewagen des Züricher rasen ineinander. Schnellzuges, in dem sich nach Angaben von Augenzeugen etwa zwanzig Fahrgäste befunden haben sollen. Bericht eines Verletzten. Luzern, 13. Dezbr. Ein Verletzter, der bei dem Eisen bahnunglück einen doppelten Beinbruch davongetragen hat, gibt eine Schilderung davon, wie er drei Stunden lang ein geklemmt in einer fürchterlichen Lage unter den Trümmern ausharren mußte, bis er befreit werden konnte. Auch ein Teil der übrigen Verletzten mußte zwei bis drei Stunden unter den Trümmern aushalten. Die Rettungsmannschaft konnte nur mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen, weil die Wagen so geborsten waren, daß sie jeden Augenblick völlig zusammenznbrechen drohten. Die Dunkelheit machte das Rettungswerk im Tunnel noch schwieriger. Insgesamt 13 Tote in Luzern? Luzern, 14. Dezbr. Die Zahl der Toten des Eisenbahn unglücks bei Luzern hat sich erhöht. In den Abendstunden sind drei Schwerverletzte gestorben, so daß die Zahl der Toten jetzt neun beträgt. Außerdem werden noch vier Per sonen vermißt, von denen man annehmen muß, daß sie tot unter den Trümmern liegen; hierdurch würde sich die Zahl der Toten aus 13 erhöhen. In dem von Luzern nach Bellinzona fahrenden Zug befand sich auch Viehtransport. In die Hilfeschreie der Ver wundeten mischte sich auch das Angstgebrüll der Tiere. So weit diese lebend geborgen werden konnten, mußten sie mit großer Mühe einzeln aus dem Tunnel geführt werden. Eiiterzugzusammenstoß im Saargebiet. — Zwölf Wagen zertrümmert. Saarbrücken, 13. Dezbr. Am Dienstagmittag stießen auf dem Bahnhof Luisenthal zwei Eüterzüge, die auf der Strecke Bous—Saarbrücken bezw. Saarbrücken—Merzig verkehrten, aus bisher ungeklärter Ursache zusammen. Da bei entgleisten etwa zwölf Wagen. Sie wurden fast voll kommen zertrümmert Die Maschinen wurden nur gering fügig beschädigt. Von dem Zugpersonal erlitten ein Loko motivführer und ein Zugführer schwere Quetschungen. Sie mußten dem Krankenhaus zugeführt werden. Der Perso nenverkehr mußte mehrere Stunden hindurch nngleisig durchgeführt werden. zuführen haben, die auf Grund der gekürzten Lohnsätze hereingenommen wurden, und denen nachweislich bei so fortiger Aufhebung der Verordnung ein Schaden entstehen würde, auf Antrag vom Schlichter bis 3t. Januar 1933 verlängert werden können. Außerdem habe die Reichs regierung die Absicht, die inzwischen ergangenen Ausfüh rungsverordnungen außer Kraft zu setzen. Der Ausschuß nahm diese Mitteilung zur Kenntnis. Der Ausschuß beschäftigte sich dann mit den Anträgen, die eine Milderung oder Aufhebung der Notverordnung vom 14. Juni verlangen. In der Abstimmung wurde darauf mit 24 Stimmen der Nationalsozialisten, Sozialdemokraten und Kommu nisten unter Annahme eines sozialdemokratische» und eines kommunistischen Antrags beschlossen, die Notverordnung vom 14. Juni außer Kraft zu setzen. Alle anderen Ab geordneten hatten sich an der Abstimmung nicht beteiligt. Angenommen wurde ein deutschnationalcr Antrag mit sämtlichen Stimmen bei Nichtbeteiligung des Zentrums und der Bayrischen Volkspartei, wonach die Härten aller sozialpolitischen Notverordnungen, insbesondere der vom 8. Dezember 1931, beseitigt werden sollen. Mit dem glei chen Stimmenverhältnis wie bei der Aufhebung der Not verordnung wurde dann noch ein sozialdemokratischer Eventualantrag angenommen, der eine Wintcrbeihilfe auch für die alleinstehenden Arbeitslosen sowie die Wohlfahrts- rrwerbslosen vorsieht. Diese Wintcrbeihilfe darf von den Fürsorgeverbänden auf die Zusatzunterstützung nicht unge rechnet werden. Ministerialdirektor Weigert wies vor der Abstimmung darauf hin, daß.dieser Beschluß für. die Tauer des Winters eine Ausgabe von. 140 Millionen Mark bedeuten würde. Der Ausschuß vertagte sich auf Mittwvchvormittag. Elf Kinder beim Schlittschuhlaufen ertrunken. Roxheim (Pfalz), 13. Dez. Am Dienstag brachen sechs Mädchen im Alter von fünfzehn bis sechs Jahren aus dem Altrhein beim Schlittschuhlaufen ein. Nach etwa ein stündigen Rettungsarbeiten konnten alle verunglückten Kinder nur als Leichen geborgen werden. Am schwersten von dem Unglück betroffen wurde die Familie des erwerbs losen Schlossers Jakob Weintz, die allein fünf Mädchen bei dem Unglück verlor. Das 15jährige Mädchen der Familie Weintz hatte sich bei dem Einbruch der sechs Kinder an das Ufer retten können und versuchte nun, den anderen Ge schwistern Hilfe zu bringen. Dabei wurde es aber von einem der Geschwister, das sich an die 15jährige geklammert hatte, wieder in das Wasser gezogen und ertrank. Frankenthal, 13. Dezbr. Zu dem furchtbaren Unglück, das sich am Dienstagnachmittag auf dem Roxheimer Alt rhein ereignet hat, werden noch folgende Einzelheiten ge meldet: Die auf so tragische Weise ums Leben gekommenen Kinder befanden sich nach 12 Uhr auf dem Heimweg von der Schule. Etwa fünfzig Meter von der elterlichen Be hausung entfernt begaben sie sich auf die etwa zwei bis drei Zentimeter dicke Eisdecke des Altrheins. Als die Kinder etwa 30 bis 40 Meter vom Ufer entfernt waren, brachen sie ein. Das älteste der Mädchen, die 15jährige Helene Weintz, rettete jein dreijähriges Schwesterchen, das sich ebenfalls auf dem Eise befand, ans Ufer. Bei dem Ver such, den anderen Geschwistern zu Hilfe zu kommen, wurde es von einem der Kinder, das sich an das Mädchen geklam mert hatte, ins Master gezogen. Die Feuerwehr nahm so fort Bergungsarbeiten vor. Wiederbelebungsversuche waren jedoch in allen Fällen erfolglos. Die Familie Weintz bat von insgesamt zehn Kindern fünf durch das entsetzliche Un glück verloren. Die Familie Graber hatte zwei Kinder. Koblenz, 13. Dez. In Senheim a. d. Mosel brachen am Dienstag auf einem zugefrorenen Tümpel zehn Kin der durch die dünne Eisdecke. Auf ihre Hilferufe eilten einige Leute herbei, denen es unter größten Anstren gungen gelang, fünf Kinder lebend zu retten. Die übrigen fünf Kinder konnten nur tot geborgen werden. Es handelt sich um vier Mädchen und einen Knaben im Alter von 9 bis 14 Jahren. Mus aller Welt. * Kein politischer, sondern Selbstmord. Aus Schwerin wird gemeldet: Der SA.-Trupp-Führer Thomas Kroll, der am Montag mit einem Schläfenschuß auf der Landdstraße bei Rehna tot aufgefunden worden war,' hat, wie die Un tersuchungen der Staatsanwaltschaft und des Landeskrimi nalamtes sowie der Eauleitung der NSDAP, einwandfrei ergeben haben, Selbstmord verübt. Kroll soll die Tat aus Liebeskummer begangen haben. * Dammbruch beim Elektrizitätswerk Fröndenberg. Aus Dortmund wird gemeldet: Aus bisher unaufgeklärter Ursache entstand am Damm ses Elektrizitätswerkes Frön denberg ein Bruch von etwa 15 Meter Breite. Gewaltige Wassermassen ergossen sich in die Ruhrweiden und über fluteten die Straße. In der Nähe des Kraftwerkes ent stand ein Trichter von etwa 25 Meter Durchmesser. Die in der Nähe befindlichen Gartenanlagen wurden fortge schwemmt. Mehrere Jndusrriewerke mußten den Betrieb einstellen, da infolge Zerstörung des Hauptkabels kein Strom zur Verfügung stand. Die Ausbesserungsarbeiten dürften längere Zeit in Anspruch nehmen, doch hofft man, die Arbeit in den Betrieben schon in den nächsten Tagen wieder aufnehmen zu können. Der Direktor der Gesellschaft hält es für möglich, daß der Dammbruch seine Ursache in den Erdstößen hat, die vor kurzem in Westdeutschland zu verzeichnen waren. * Nölle zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. In dem Prozeß gegen Rölle und Dobrionka fällte das Elei- witzer Sondergericht am Dienstagabend das Urteil. Rölle wurde wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von sieben Jahren Zuchthaus, Dobrionka wegen Begünstigung zu vier Monaten Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft verbüßt sind, verurteilt; Dobrionka wurde auf freien Fuß gesetzt. — Bekanntlich hatte es sich im Rölle-Prozeß um die zwei Nationalsozialisten Rölle > nd Dobrionka gehandelt, die im Auto durch die Straßen ge fahren waren und sinnlos um sich geschossen hatten. Dabei waren Polizeibeamte verletzt worden. * Das Urteil im Görlitzer Sondergerichtsprozetz. In dem Görlitzer Sondergerichtsprozeß wurde am Dienstag der Angeklagte Engmann wegen Vergehens gegen 8 5 des Sprengstoffgesetzes in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einem Jahr sieben Monaten Zuchthaus und Zahlung einer Geldbuße von 250 RM. verurteilt. Gegen Fischer erkannte das Gericht auf vier Monate Gefängnis, gegen Pätzold auf drei Monate Gefängnis und gegen die Angeklagten Schiel und Kühn auf je einen Monat Gefängnis. Kejschnik er hielt zwei Wochen Gefängnis und Paeschke wurde freige sprochen. In der Urteilsbegründung wurde darauf hinge wiesen, Engmann habe sich darüber klar sein müssen, daß die Handgranate, die er in die Wohnung des Neichsbanner- führers Altmann warf, explodiere. * Der Attentäter von Doorn. Der am Dienstag früh den deutschen Behörden übergebene Eindringling von Doorn, Heinrich Fuecker, ist in das Gefängnis des Grenz kommissariats in Emmerich eingeliefert worden. — Er ist 33 Jahre alt, ledig und Sohn achtbarer Eltern. In jungen Jahren war er einmal Hilfsbeamter bei der Reichs bahn. Später war er einmal bei Eisenbahnbandendieb stählen zwischen Köln und Neuß beteiligt und wurde dann in mehreren Strafen zu insgesamt 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, lieber die Hälfte der Strafe hat Fuecker ver büßt und wurde bor einigen Monaten bis 1935 mit Bewäh- rungsfrrist begnadigt. Vor der letzten Verurteilung war er einmal 14/? Jahr in der Irrenanstalt Dülken zur Untersuchung. Bei Festnahmen ist er mehrfach entsprungen und war immer schwer bewaffnet. Nach Ansicht maß gebender Kreise kann er Wohl kaum einen Anschlag beab sichtigt haben. Es handelt sich vielmehr um einen Queru lanten mit großem Geltungsbedürfnis. Und dann hält er plötzlich, mit einer Geste, wie ein Polizeikommissai-dem Mörder die gefundene Mordwaffe zeigt, dem entsetzt zurückweichenden Fred einen Gegen stand dicht vor die Äugen: Einen Parfümzerstäuber oder vergleichen, scheint es, an dem wohl irgend etwas nicht in Ordnung ist: „Wissen Sie, was die gnädige Frau ist - empört ist sie — empört!" zischelt er und zerhackt die Worte in einzelne Buchstaben. . „Und wissen Sie noch etwas — nein? Nein? Sie wissen nichts mehr? Dachte ich es mir doch, dachte ich es mir doch. Nun: mit vollem Recht ist die gnädige Frau empört." Die letzten Worte Hal er ganz dicht an Freds Gesicht, aber mit solch einer Eindringlichkeit und Veinehmbar- keit geflüstert, daß sich Fred keinem Zweifel mehr dar über hingeben kann, daß Lendicke in seiner Jugend Schau spieler hatte werden wollen Die Dame, für die das alles geschieht, erschaudert wohlig bis ins Mark: das ist end lich mal ein gerechter Vorgesetzter, denkt sie, bei dem ist man -in guter Hut, der läßt nichts durchgehcw. bei den jungen Leuten, die heutzutage — das >var doch früher alles ganz.anders! . Alle, auch noch so entfernt Stehende, müssest Leudickes „Flüstern" gehört haben, aber Fred allein konnte das unmerkliche Zwinkern des linken Auges sehen das bei Lendicke „All right" heißt. — Starr aber bleibt das rechte Auge, das bedeutet: Mund halten, nichts reden, mich machen lassen! Aber was für ein Schauspieler ist auch Fred: Maß steht er da, krümmt sich verlegen, weicht dem funkelnden Blick der empörten, jetzt triuinphierenden Dame aus Er ist von Kopf bis Fuß nichts als ein zerknirschter, er tappter Sünder Wie ein Anfänger auf der Bühne, zum erstenmal im Hellen Rampenlicht, weiß er seine Hände nicht unterzubringen, fuchtelt nervös, zupft sich schließlich verlegen am Schlips. Aber darüus, gerade darauf scheint Lendicke nur ge wartet zu haben: „Eine wundervolle Krawatte haben Sie, junger Mann, eine wirklich geschmackvolle Krawatte — und ich freue mich, daß Sie in der glücklichen Lage sind, sich so eingehend mit dem Sitz derselben beschäftigen zu können!" Und dabei bricht er in ein geradezu beängstigend atemloses Gelächter aus, das er plötzlich abbricht, um ganz ernst und sachlich zu werden: „Wenn ich Ihnen aber einen Rat geben dürfte, junger Freund, so wäre es der, die Sorgfalt, die Sie auf Ihre Garderobe verwenden, lieber auf die Bedienung unserer Kunden zu verwenden Nun, darüber fprechen wir nach her noch — für jetzt genug." Aber in dem Augenblick, da er gesagt hat, daß es für jetzt genug sei, fängt er erst richtig an: „Ihretwegen muß sich die gnädige Frau noch ein mal hierherbemühen, Ihretwegen noch einmal eine Wahl treffen, Ihretwegen sich aufregen." Sein kleiner, dicker Körper zittert bei diesen Worten vor verhaltener Wut und Erregung, wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch — und nun bricht er aus: „Ich wünsche Sie jetzt nicht mehr zu sehen, keine Sekunde, und die gnädige Frau wünscht dasselbe nicht minder!" Diese letzten Worte waren gebrüllt, gebrüllt in den geheiligten Räumen von Hendrick) und Fehring! Fred macht kurz auf dem Absatz kehrt, auch nicht eine Silbe des Widerspruchs, der Entschuldigung der- sucht er. Nur ganz aufmerksame Ohren — und mindestens vier Ohren waren ganz aufmerksam: die Lendicks und der „beleidigten" Dame hören einen ganz, ganz leisen Seufzer durch den Raum schweben. Aber dieser eine kleine Seufzer genügte: der Zorn der Dame verraucht und löst sich aus in das wohlige Gefühl der Genugtuung, und Lendicke weiß, daß der „Ausfresser" seinem Namen und den an ihn geknüpften Erwartungen Ehre machen wird „Darf ich die gnädige Frau jetzt bitten, sich an diesen Tisch zu bemühen?!" bemerkt Lendicke abschließend und wischt sich diskret mit seinem seidenen Tuch den Schweiß von der Stirn. Fred geht langsam, mit gesenktem Kops, von den staunenden und verständnislosen Blicken seiner Kollegen begleitet, ab und verschwindet in Lendickes Büro. Fünf Minuten später kommt Lendicke selbst, und als ganz kurz darauf eine Verkäuferin den Gewaltigen etwas fragen will, sieht sie zu ihrem grenzenlosen Erstaunen, daß der eben fürchterlich Abgekanzelte und sein brutaler Vor- gesetzter einander gegenübcrsitzen und die vergnügtesten Gesichter der Welt machen. Vierundzwanzig Stunden später ist die Sache be kannt, bei allen Angestellten zum Begriff, zur Parole, zum Feldgeschrei geworden: Der Beruf des „Ausfressers", des Sündenbocks, den Fred ausübt, hat ihn mit einem Schlage populär gemach!, freilich ahnt bis heute weder er noch Lendicke. noch gar das Publikum, wie populär er noch werden sollte. Schon am zweiten Tage stellt es sich heraus, vaß du Sache nicht so einfach ist, daß nicht alle Fälle gleichliegen, daß Freds Rolle mannigfaltiger gestaltet werden muß, als man annahm. Schließlich Hai Lendicke jo auch nur zwei Beine und kann nicht immer zur Stelle sein, wenn ein Verkäufer in Bedrängnis kommt. Das wird schlagend im Falle Schliephake bewiesen Da kommt ein Rauschebart ins Haus, dessen blonde Kinn zier an die denkwürdige Schlacht im Teutoburger Walde erinnert, schreitet knarrenden Stiefels in die Silberwaren- Abteilung, zum Tisch mit den Zigarettenetuis, schält schweigend, aber mit einem vor Erregung zitternden Kinn - der Bart schlägt sanfte, kurze Wellen — aus einer Reihe von Hüllen eine flache, silberne Dose, ein hier ge kauftes Etui, wiegt es in ver Hand und sieht den Ver käufer drohend und gekränkt an. „Mein Name ist Schliephake." Das genügt, denkt der Angestellte, dieser Bart ist nicht mit friedlichen Absichten hergekommen — wie heißt die Parole? „Herrn Reiling, Fräulein Nebel — das ist wohl das Ressort von Herrn Reiling!" Fräulein Rebel rennt — eine halbe Minute später er scheint Fred und verneigt sich vor dem erzürnten Bart, der sofort wieder beginnt: „Mein Name ist Schliephake, Herr!" „Sehr angenehm!" „Sie irren sich, junger Manu! Sehen Sie den Gegen stand in meiner Hand?" „Ein Zigarettenetui, Herr Schliephake!" „Allerdings, ein bei Ihnen vor einigen Tagen von meiner lieben Frau erstandenes Zigarettenetui — ich rauche nämlich Zigaretten." Wie macht er das mit diesem Bart? — muß Fred denken — er kann es doch nicht vermeiden, sich anzitsengen, falls er nicht eine Zigarettenspitze wie Wallace benutzt. Aha, das wird es sein! (Fortsetzung folgt.)